„Das ist doch keine Liebe“ – Was von einer toxischen Beziehung übrig bleibt

Ich sehe wie wir streiten, in deinem Kinderzimmer im Haus deiner Eltern. Manchmal ist es wirklich gemütlich dort, mit dir. Aber dieses Mal streiten wir uns, schreien uns an, du beleidigst mich. Ich höre deine Mutter aus der Küche zu uns heraufschreien: „Das ist doch keine Liebe!“ Ich höre sie, weil sie so schreien kann wie du und weil dein Zimmer direkt über der Küche liegt. Wir schreien und du verletzt mich mit deinen Worten. Ich will aus diesem Zimmer raus, du lässt mich nicht, hältst mich fest.

Man sagt, wer liebt, gibt ein kleines Stück seines Herzens. Und man sagt, Liebe und Glück seien die einzigen Dinge, die mehr werden, wenn man sie teilt. Wir haben etwas geteilt, doch ich glaube nicht, dass es Liebe war. Es fühlt sich so an, als hätte ich dir etwas mitgegeben, etwas, das ich doch gerne zurück fordern würde, etwas, das sich nicht vermehrt hat, nachdem wir es geteilt haben.

Ich schweige und du schreist. Ich will gehen, doch du hältst mich fest.

Ich sehe uns in deinem Zimmer, in der Stadt, in der du studierst. Besser gesagt mitten im Nirgendwo, in der Nähe deiner Unistadt. Ich schweige und du schreist. Ich will gehen, doch du hältst mich fest. Wohin sollte ich auch gehen, so mitten im Nirgendwo? Ich schaffe es trotzdem aus der Tür, du rennst mir nach und packst mich, schüttelst mich und ich schweige – hier würde mich eh niemand hören, selbst du nicht.

Ich lasse einen Film vor meinem inneren Auge ablaufen. Ich stelle mir vor, wie ich dich packe, dich schüttele und schlage, dich anschreie. Ich stelle mir vor, wie ich dir klar mache, was es bedeutet, angeschrien, gepackt und geschüttelt zu werden. Diese Gedanken geben mir eine gewisse Befriedigung, doch sie reißen auch die Wunde wieder auf, beißen sich in ihr fest.

Als ich aufhörte, meine Bedürfnisse zu artikulieren 

Ich sehe mich. Es ist dunkel. Ich liege in deinem Kinderzimmer, in deinem Bett mit dem Rücken zu dir und weine. Ich weine leise, weine stumm, damit du nichts bemerkst und endlich einschläfst. Du hast dein Recht eingefordert, damit du einschlafen kannst. Ich habe aufgehört „nein“ zu sagen. Habe aufgehört mich zu erklären, mich zu wehren, weil du mich sonst wieder anschreist, packst und schüttelst und mich nicht gehen lässt, obwohl ich doch so gern verschwinden würde.

Ich habe es über mich ergehen lassen, habe meine Tränen zurückgehalten. In diesen Momenten schreit deine Mutter nicht aus der Küche zu uns nach oben, dass das, was wir haben, doch keine Liebe sei.

Du hast einen schwarzen Fleck hinterlassen. Einen Fleck aus Wut und Hass und Schmerz.

Du hast nicht nur einen Teil von mir mitgenommen, der nicht mehr wurde, nachdem wir ihn geteilt hatten. Du hast auch etwas dort gelassen, bei mir. Du hast einen schwarzen Fleck hinterlassen. Einen Fleck aus Wut und Hass und Schmerz. Es ist jetzt 5 Jahre her, dass wir ein Paar waren. 5 Jahre, dass wir miteinander gesprochen haben. Und noch immer ist meine Wunde frisch.

Das erste Mal ist sie ein halbes Jahr nach unserer Trennung aufgerissen. In dem Moment, als mir plötzlich, wie aus dem nichts, klar wurde, dass wir nicht einfach nur heftige Auseinandersetzungen hatten. Sondern dass du mich zum Sex genötigt hast, weil du nur danach einschlafen konntest. Bis heute kann ich Sex nicht auf die Weise genießen, wie ich es gerne würde. Ich fühle mich selbst nach liebevollem, zärtlichem und hundertprozentig einvernehmlichem Sex schmutzig und leer. Ich weine noch immer jedes Mal danach.

Liebe anstelle von Hass

Ich weine so wie damals, nachdem ich es habe über mich ergehen lassen, nachdem du endlich eingeschlafen warst, meinen Rücken dir zugewandt, in deinem dunklen Kinderzimmer. Und auch der Fleck aus Hass, den du in meinem Herzen hinterlassen hast, ist noch da. Der Fleck aus Hass, der mich in Gedanken Rache an dir üben lässt. Diese Gedanken, die jedes Mal von neuem meine Wunde aufreißen. Ich hasse dich für das, was du mit mir gemacht hast und ich hasse dich dafür, dass du es nie begriffen hast, nie mein „nein“ akzeptiert hast.

Ich hasse auch mich, dafür, dass ich all das zugelassen habe. Ich will diesen Hass und die Verbitterung nicht mehr in mir spüren. Ich will lieben, leidenschaftlich lieben und leidenschaftlichen Sex haben, ohne danach weinen zu müssen, außer vielleicht vor Freude.

Ich möchte verzeihen, wenigstens mir. Verzeihen, dass ich all das zugelassen habe.

Ich möchte nicht mehr hassen, weil dieser Hass den Fleck in meinem Herzen nur dunkler werden lässt. Ich möchte verzeihen, wenigstens mir. Verzeihen, dass ich all das zugelassen habe. Ich weiß noch nicht wie, aber mit jedem Tag, den ich kämpfe, kommt ein kleines bisschen mehr Licht in mein Herz.

Anm. d. Red.: Wenn ihr von solchen Taten betroffen seid oder jemanden kennt, der mit solchen Situationen konfrontiert ist, scheut euch bitte nicht, euch damit an zuständige Beratungsstellen in eurer Nähe zu wenden. Du kannst dich zum Beispiel an das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ wenden, Beratungsangebote in deiner Nähe auf www.gewalt-gegen-frauen.de finden, zur Polizei gehen oder die Polizei anrufen und dich hier über alle Gewaltformen im Netz informieren. Du bist nicht allein.

Merlin hat schon viele Texte geschrieben. Auf langen Zugreisen, an regnerischen Nachmittagen im Bett oder bei Cappuccino und Zigarette im Café. Aber meistens mitten in der Nacht, nach einem berauschenden Film oder Buch, nach zu viel Bier oder Wein und auf jeden Fall mit zu vielen Gedanken. Die müssen dann raus aufs Papier und das kommt dabei heraus.

Headerfoto: Annie Spratt via Unsplash. („Gedankenspiel“-Button hinzugefügt.) Danke dafür!

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