Bleib, wie du bist? Warum ich keine Angst mehr vor Veränderungen habe

Ich schlage nach langer Zeit mein eingestaubtes Freundschaftsbuch auf, das nur so überquillt vor alten Erinnerungen, längst beendeten Freundschaften, liebevollen Gemälden und bunten Diddl-Stickern. Ich lese von Hobbies, Augenfarben und Co, von Lieblingsfächern in der Schule und fantasievollen Berufswünschen. Dabei blicke ich in die Gesichter auf den Fotos, die aus einer längst vergangenen Zeit stammen ­– der Grundschulzeit und herrje, ist das lange her!

Was mich nachhaltig beschäftigt, ist die Rubrik “Was ich dir noch sagen möchte”. Hier finden sich Sammlungen an Weisheiten, die wir wohl als Kinder gar nicht begreifen konnten und immer wieder ein Satz, der mich stutzig macht: “Bleib, wie du bist.”

Ich will nicht bleiben müssen, wie ich bin

Ich denke, ich weiß ziemlich genau, wie der gemeint ist. Nämlich so, dass ich eben gut bin, wie ich bin. Dass ich gemocht werde aufgrund dessen, was mich ausmacht. Lieb gedacht und dennoch nicht nützlich, denn: Ich will nicht bleiben müssen, wie ich bin, nicht stehen bleiben ­– ich verändere mich. Wir alle tun das. Tag für Tag.

Herausforderungen, Schicksalsschläge, Beziehungen und Freundschaften, Erlebtes und Erfahrenes. All das formt uns Stück für Stück zu dem Menschen, der wir im Heute sind.

Wir verändern uns, denn uns prägen Herausforderungen, Schicksalsschläge, Beziehungen und Freundschaften, Situationen und Stationen, Erlebtes und Erfahrenes. All das formt uns, bringt uns weiter, Stück für Stück ­– zu dem Menschen, der wir im Heute sind. Und es verändert uns, unser Denken und unsere Prioritäten zwangsläufig!

Das ist gut so und wichtig, denn wir lernen dazu, gewinnen an Selbstvertrauen, nabeln uns ab, beginnen irgendwo und erfinden uns selbst neu. Ein Prozess, der in mir stattfindet und mal beständig, mal im Wandel ist.

In der Schulzeit war ich keine große Freundin von Handarbeit. Häkeln lernen? Nein danke! Oma, deine Stricknadeln interessieren mich nicht. Ich hatte auch kein großes Interesse an Kochen und Backen. Beides hat sich in den letzten Jahren geändert – ich übe mich in Makramee und Sticken, backe fast jede Woche einen Kuchen, Muffins oder Brot. Meine Interessen haben sich also verändert und ich finde das ganz großartig.

Veränderung kann beängstigend sein, denn das Vorhersehbare ist doch letztlich das, was uns Sicherheit und Beständigkeit gibt.

Veränderung kann beängstigend sein, denn das Vorhersehbare ist doch letztlich das, was uns Sicherheit und Beständigkeit gibt. Etwas, auf das wir uns verlassen können im trubeligen Alltag. Veränderungen können uns verunsichern. Besonders die, die einfach so passieren, statt dass wir bewusst daran gearbeitet haben – und ebenso hat der eigene Wandel oft Auswirkungen auf unser direktes Umfeld.

Veränderungen sind ein Teil des Lebens

Genau daher kommt meiner Meinung nach auch die Floskel “Bleib, wie du bist”. Zum einen aus dem Wunsch, unserem Gegenüber wertschätzend zu begegnen und so eine Form von Anerkennung für dessen Sein auszudrücken. Und zum anderen spielt möglicherweise unbewusst die sanfte Forderung mit rein, dass wir uns wünschen, unsere Mitmenschen mögen sich doch bitte nicht verändern. Denn so, wie es gerade ist und wie sie gerade sind, ist es doch gut.

Ich selbst bin ein Mensch, der Beständigkeit braucht. Ich schätze es, wenn ich beim Essen den immer gleichen Stuhl nutzen kann, außerdem mag ich Routinen und Traditionen. Das an sich hat sich nicht geändert. Dennoch gab es bei mir im Inneren ein Umdenken in Bezug auf Veränderung. Denn die muss nicht immer angsteinflößend sein, sondern bietet so viel Raum für mehr: für neue Gedanken, für Inspiration, für Entwicklung und Fortschritt – wobei ich Rückschritte gar nicht ausschließen will und auch das ist okay.

Veränderung bietet den Raum, Dinge und vor allem (gesellschaftliche) Missstände anzusprechen, Meinungen zu ändern.

Veränderung bietet den Raum, Dinge und vor allem (gesellschaftliche) Missstände anzusprechen, Meinungen zu ändern. Ich bin unzufrieden mit einer Situation? Wie furchtbar einengend wäre der Gedanke und das Wissen, dass sich nichts ändern wird!

Du darfst deinen Kurs ändern

Du darfst deinen Kurs ändern – jeder Zeit. Du darfst dich, deine Prioritäten, berufliche Ziele, deine Sexualität, deine Meinung, Haarfarbe, deinen Kleidungsstil und die Art deiner Ernährung ändern – jeder Zeit. Du darfst dich neu orientieren und dabei im Austausch mit anderen, eng Vertrauten sein oder Menschen, die professionell von außen auf deine Situation blicken.

Dabei ist für mich der Gedanke hilfreich, dass ich in den meisten Fällen (ich sage bewusst nicht ‘immer’ – denn wir haben nicht immer eine Wahl) wählen kann zwischen zwei Wegen: zwischen dem, den andere von mir erwarten und dem, der mir selbst richtig erscheint.

Wie schön wäre es, wenn unsere Freunde und Freundinnen, unsere Familie und unser gesamtes Umfeld sagten: ‘Hey, geh deinen Weg! Ich kann dir Impulse aus meiner Erfahrung mitgeben, aber du darfst deine eigenen Entscheidungen treffen, dich ändern. Ganz gleich, welchen Weg du einschlägst und für wie geeignet ich diesen halte – ich bin da.’

Ich muss nicht bleiben, wie ich bin um jemandem zu gefallen.

‘Du hast dich verändert’ – ja, das hab ich. Und das ist gut so. Weil ich nicht bleiben muss, wie ich bin, um irgendjemandem zu gefallen. Denn zu wissen, dass ich mit Stillstand und Wandel geschätzt werde, ist viel schöner.

 Franzi, lebt in Münster und arbeitet als Pädagogin. In ihrem Kopf ist es niemals still, sie probiert gern neue Dinge und sich selbst aus, ist unheimlich neugierig und begeisterungsfähig. Ihr Gedanken- und Gefühlschaos bringt sie gern mit Stift zu Papier oder mit Tasten auf den Bildschirm. Sie setzt sich dafür ein, dass mehr fühlen total okay ist und spricht offen über Psychotherapie, Belastbarkeit und Soziales. Mehr über sie findet Ihr auf ihrem Instagram-Profil.

Headerbild: cottonbro (Wahrheit oder Licht-Button hinzugefügt und Bild gecroppt.) Danke dafür!

 

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