Unsere Generation hat ein Bindungsproblem. Das lese ich, das höre ich und meistens schauen alle Augen auf mich. So ne richtige Beziehung über mehrere Jahre hatte ich genau eine – mit zwanzig, zwei Jahre lang. Danach fiel ich vor allem hin, stand wieder auf, um noch mal zu fallen und mich wieder aufzurappeln. Ich bin nicht auf Mitleidssuche, ganz im Gegenteil. Ich bin froh über jedes noch so große Arschloch und all jene, die eigentlich so gar nicht mein Ding waren. Wir Frauen sind manchmal etwas zu wenig stolz und wollen etwas nur weil man lernt, es wollen zu müssen. Ich meine nicht, dass Männer das nicht tun, nur kann ich als Frau schlecht für sie sprechen.
Als Kind hätte ich geglaubt, mittlerweile verheiratet zu sein, auf dem Land zu wohnen und voll viele Tiere und Pflanzen zu haben. In Wahrheit wohne ich alleine in einer viel zu großen Wohnung mitten in der Stadt, hab zwar viele Pflanzen aber kein einziges Tier. Alles gut wie es ist, mir geht es bestens. Immer öfter jedoch stelle ich fest, dass andere mich für frustriert halten. Klar wünsche ich mir einen Mann, für den ich die Beste und Einzige bin. Wer nicht? Ich wünsche mir aber auch einen ebenbürtigen Partner, einen Freund, mit dem ich alles teilen kann und der mich von Grund auf versteht. Und das, liebes Publikum, ist gar nicht mal so einfach zu finden. Und mit finden meine ich nicht, dass ich danach suche, wie Kinder an Ostern den Hasen und die Eier. Mit finden meine ich: per Zufall auf dem Gehsteig ein Fünffranken-Stück oder ein vierblättriges Kleeblatt in einer Wiese. Ich gebe vielleicht zu vielen Männern eine Chance und sehe in ihnen zu viel Gutes, obwohl das Schlechte überwiegt. Ich bin gutgläubig – manch einer nennt es naiv – doch so negativ ist das nicht.
Ist es denn das Einzige, was einen beschäftigen soll in meinem Alter? Das Finden des Richtigen? Was ist schon richtig? Und verändert sich das nicht von Zeit zu Zeit? Ich bin der Meinung, in erster Linie geht es darum, sich selbst zu kennen. Woher will ich wissen, was ich will, solange ich nicht weiß, wer ich bin? Ich hatte Exfreunde von ganzem Herzen geliebt, wobei ich heute nicht mehr sagen kann, woran es lag. Ich glaube nicht, dass ich mich verändert hab. Viel eher glaube ich, dass ich immer mehr zugelassen habe ich selbst zu sein. Mich zu akzeptieren wie ich bin und niemand anderes sein zu wollen. Je eher ich das erfahre, desto eher ziehe ich auch Männer an, die genau das wollen, mich. Mich, mich phasenweise melancholisch abschweifenden Dummkopf, der unkontrolliert Geräusche und Laute von sich gibt. Stundenlang kann ich auf einem Hügel sitzen und in die Welt hinaus schauen ohne ein Wort zu sagen. Aber auch ich kann quasseln ohne Unterbruch. Kurios, aber durchaus liebenswert. Ein kleiner Fast-Alleskönner mit einer ausgeprägten Bewegungslegasthenie. Und genau so wird mich eines Tages einer lieben – so wie ich ihn. Ob es daraus Kinder gibt oder nicht, wichtig ist, dass ich immer bin, wer ich bin. Das Geheimnis glücklicher Liebe ist absolute Zufriedenheit mit sich selbst und viel Geduld und Annahme seines Partners. So ist es in Freundschaften, so soll es auch in der Liebe sein. Lieber nichts haben als Lügen zu müssen.
Was ich damit sagen will ist, unsere Generation hat nicht in erster Linie ein Bindungsproblem, viel eher nicht die Zeit und Geduld sich selber zu finden und kennen zu lernen. Dies verkleinert den passenden Partner-Radius enorm. Es geht nicht mehr in erster Linie darum einen guten Zug zu machen und sich als Frau durch den Mann finanziell abzusichern. In einer Beziehung, zumindest einer die ich anstrebe, sind beide Partner gleichwertig. Es geht vor allem darum vom Gegenüber verstanden zu werden und am gleichen Strick zu ziehen.
Eine Rolle spielt sicherlich auch die beinahe unerschöpfliche Auswahl. Die Welt ist einfach erschlossen und der passende Partner-Radius wächst gleichermaßen wie er kleiner wird. Dies mag manch einen rastlos machen und aus Angst Entscheidungen zu bereuen, macht man lieber gar nichts außer sich von einem lockeren Gebinde in das nächste zu manövrieren.
Ich empfinde es allerdings auch oft als ein voreiliges Schlüsse ziehen. Platzangst. Oftmals recht unbegründet, in dem Sinn, dass der Flüchtige gar nicht erst beim Hinterbliebenen nachfragt, wie er sich eine Beziehung vorstellt. Nur das Wort Beziehung an sich schnürt ihnen den Hals zu, auch dann, wenn sie es selbst aussprechen. Es braucht sehr viel Mut sich die Chance zu geben, sich zu verlieben. Denn dies kann nur geschehen, wenn man sich komplett öffnet und somit auch verletzbar macht. Viele haben genau davor Angst. Meiner Meinung nach keine neuzeitige Erscheinung, wir lehnen eine reine Zweckbeziehung ohne wirkliche Liebe vielleicht eher ab als die Generationen vor uns.
Headerfoto: Nicholas Gercken via Unsplash License! („Gedankenspiel“-Button hinzugefügt.) Danke dafür!
Toller Artikel, trifft es absolut…
Grundsätzlich stimme ich zu, aber: abzuwarten und auf den Zufall zu warten („irgendwann stehen wir beide zufällig nebeneinander am Milchregal und dann macht es peng“) ist auch keine Lösung. 😉
Das mag mit 27 alles auch noch so sein, mit 44 aber, nach gescheiterter Ehe und erwachsenen Kindern, sieht die Welt doch ein wenig anders aus. Klar kennt man sich selbst, liebt seine Vorzüge und die eigenen Macken besonders, weiß was man will bzw definitiv nicht mehr will. Man wird vorsichtiger, besonders mit dem Öffnen und Zulassen von Gefühlen. Man tut Verletzungen nicht mehr „einfach so“ ab. Es wird schwieriger, jemanden kennenzulernen, der nicht sonderlich „beziehungsgestörter“ ist als man selbst. JETZT wird ein Bindungsproblem daraus…
Immer wieder faszinierend, dass es andere scheinbar genauso erleben, auch wenn man oftmals irrtümlicherweise denkt, keiner versteht einen, keiner weiß, wie es wirklich ist.
Danke liebe Autorin!
Gefällt mir sehr gut der Text. Ich bin zwar nicht so, aber ich habe schmerzhafte Erfahrungen mit Menschen gemacht, die anscheinend eine Riesenangst haben, sich voll und ganz auf den anderen einzulassen, sich verletzbar zu machen und der Liebe dadurch eine faire Chance zu geben.
Love hurts sometimes. But it ain’t no love without pain!
In meinen Augen ein sehr schöner Text. Ich finde mich derart darin wieder, dass ich, wär ich des Schreibens mächtig, es selbst so geschrieben hätte. Danke!
Geht mir genauso. Ganz wunderbar auf den Punkt gebracht!