Auslöser für diesen schriftlichen Erguss ist diesmal ein recht bodenständiger und temporärer Zwischenstand meiner eigenen unwichtigen Person im großen Universum, das sich Jobsuche nennt. Ich stehe mit meinen kurzen Beinen und zerknitterten Blusen derzeit nicht auf dem deutschen oder österreichischen Arbeitsmarkt, sondern auf dem schottischen.
Schottland, das ist das Land des Whiskys und der Schafsmägen, des Tees und der Shetlandponys.
Noch in Wien, meiner Wahlheimat, arbeitete ich in einer Hostelbar. 2013 hatte mich eine Trennung durch die gläserne Automatiktür dieser wunderschönen Beherbergungsstätte, direkt in die Arme der nettesten Chefs, liebevollsten Kollegen und lustigsten Gäste der Welt getrieben. Ich stünde wohl noch immer nächtelang hinter dem hölzernen Tresen, hätte mich nicht ein Mann (wie soll es anders sein) durch die gläserne Automatiktür heraus, direkt in ein Abenteuer geführt.
Wien gegen Schottland zu tauschen, das klang im Jahr 2016 so aufregend, so kosmopolitisch, so erwachsen. Endlich mal das nächste Land sehen, endlich mal Whisky statt Spritzer.
Als mentales Sensibelchen durchdachte ich schon Monate vorher jeden nur erdenklichen Zwischenfall. Was, wenn ich keinen Job finde? Was, wenn ich einen Job finde, aber die Kollegen mich nicht mögen? Was, wenn ich krank werde? Verstehe ich den schottischen Dialekt? Reicht mein Englisch überhaupt? Was heißt eigentlich Brexit und ist das auch wichtig für mich? Was, wenn unser Flugzeug abstürzt?
Ihr seht, ich bin gedanklich immer auf alles vorbereitet und nur durch Unmengen beruhigender Ansprachen der besten Freundin, konnte ich dem Abflug irgendwann gelassener entgegensehen.
Ich möchte fast meinen, ich war zum Schluss schon überdurchschnittlich ermuntert und dank des ganzen Zuspruchs irgendwie auch geblendet vom eigenen Lebenslauf. Die nehmen mich da überall mit Kusshand, dachte ich mir. Eine, die mehrere Sprachen spricht, eine Studierte ist und jahrelang fleißigst gearbeitet hat, werden die Schotten wohl nicht lange unberührt auf dem Arbeitsmarkt stehen lassen.
Ich malte mir mein zukünftiges Arbeitsleben in schillernden Farben aus, sah mich im Museum neben Gemälden stehen und freundlich lächelnd meine (gut bezahlte, nein, korrigiere: äußerst gut bezahlte) Arbeit machen. Ich sah mich Erfahrungen sammeln, die mich bei meiner temporären Wiederkehr in die Wahlheimat auch dort unabdingbar für eine ganze Reihe verschiedenster Unternehmen machen würden.
Im Nachhinein schlage ich mir mit der Hand gegen die Stirn. Klatsch.
Wer hätte es gedacht, die Schotten haben nicht Konfetti werfend am Flughafen auf mich gewartet. Sie haben tatsächlich selbst bestens ausgebildete, freundliche und arbeitswillige menschliche Wesen vor Ort und sind nicht im Geringsten auf die 20-Something-Möchtegern-Kosmopolitin, der beim Blick auf den eigenen CV die Freudentränen in die Augen schießen, angewiesen. So kam es, dass meine Bewerbungen an Museen, an Zeitschriften und größere Verlage unbeantwortet blieben. Was lange währt, wird endlich gut, und so ging ich anfangs noch erhobenen Hauptes an Cafés und Restaurants vorbei, die tagtäglich über Aushänge nach Personal suchten.
Ich habe doch nicht jahrelang studiert, um im Ausland Erfahrung in Restaurants zu sammeln, oder? Als Anthropologin und Autorin gehöre ich doch zumindest in einen Buchladen, oder? In einen Verlag? In ein Museum? Um aus Shakespeares Hamlet Akt 4 Szene 5 Vers 28 zu zitieren: „Nein.“
Die Erkenntnis traf mich vor einigen Wochen wie ein Schlag, als auch die vorerst letzte Antwort auf eine Bewerbung mit: „Dear Ms Hesse, Unfortunately“ begann, und ich die Mail nicht mal mehr öffnete, sondern gleich in den Papierkorb schob.
Was ist bloß falsch mit mir? Falsches Studium? Rächt sich meine vor Jahren gefällte Entscheidung, nicht Unmengen unbezahlter Praktika zu machen, nun doch? Zeigt mir Schottlands Arbeitsmarkt jetzt den Stinkefinger, weil ich als geldgeile Studentin heimlich über Kommilitoninnen lachte, die pflichtbewusst das x-te Praktikum absolvierten, während ich mein Trinkgeld in einem Sparschwein sparte, um mir in Indonesien die Sonne auf den Bauch scheinen zu lassen?
Vielleicht.
Wahrscheinlicher ist jedoch, dass meine Erwartungen zu hoch waren (und wenn ich schreibe „zu hoch“, meine ich eigentlich „überdurchschnittlich hoch und sich komplett diametral zur Realität verhaltend“) und ich notwendigerweise vom hohen Akademikerross auf den harten, kalten, glanzlosen Boden der Wirklichkeit klatschen musste.
Zu realisieren, dass ein Studium nicht automatisch mit einem Traumjob einhergeht, dass Mehrsprachigkeit heutzutage keine Auszeichnung, sondern eher eine Notwendigkeit ist und „Fleiß“, „Arbeitswille“, „eine hohe Auffassungsgabe“ und „Teamfähigkeit“ nicht nur auf mich zutreffen, ist wahrscheinlich die härteste Einsicht, der man sich direkt nach der Uni beugen muss. Ich frage mich, ob sie deshalb vor jede Universität ellenlange Treppen bauen. Ob der jahrelange Aufstieg die Studentinnen darauf vorbereiten soll am letzten Tag, mit dem Zeugnis in der Hand, auch wieder herabzusteigen?
„Hättest halt ´ne Ausbildung machen müssen“, sagte mir vor einiger Zeit jemand ins Gesicht. „Da lernt man wenigstens was Anständiges und bemitleidet sich nach vier lockeren Jahren in der Uni nicht unnötig selbst.“ Bäm. Ich weiß ja nicht, was besagte Dame studiert oder gelernt hat, aber ich kann mit absoluter Sicherheit nicht auf vier lockere Jahre zurücksehen. Regelstudienzeit ist erstens wie das Monster von Loch Ness (#erfunden) und zweitens muss so ein Studium auch bezahlt werden (#Teilzeitstudium). Aus vier Jahren werden dann schnell mal acht und aus locker wird sauanstrengend.
Ich kann nicht bestreiten, dass ich stets glaubte, meine Zeit an der Uni wäre eine direkte Eintrittskarte in die Zeitungsredaktionen und Verlage dieser Welt und ich weiß, dass viele, die bis zu dieser Stelle gelesen haben (#danke), die Augen über so viel Naivität verdrehen werden, aber ich denke, dass ich nicht die erste Studentin bin, die ihr Studium für das Größte und Teilzeitjobs in Restaurant nach der Uni für unnötig hält.
Schottland sollte der Start in ein Leben sein, von dem ich immer geträumt hatte, das ich mir erarbeitet habe.
Kein schottisches Museum hat sich bei mir gemeldet, kein Verlag hat einen Schreibtisch für mich freigehalten und keine Zeitung hat Verwendung für meine Texte. Ich bin für die Schotten eine Studienabgängerin mit Barerfahrung. Als Bonus scheine ich ganz gut mit Schrift und Sprachen zu sein, das war´s.
Die Universität hat mich nicht nach bestem Wissen und Gewissen auf das spätere Leben, die Realität, vorbereitet und meine Fahrkarte in den Berufseinstieg habe ich wohl im Flieger liegen lassen. Egal. Durchbeißen, würde Papa sagen.
Nun war „durchbeißen“ noch nie wirklich eine meiner Stärken, und während ich mich hier durch Jobagenturen kämpfe und Stellenausschreibungen übersetze, vergieße ich auch schon die ein oder andere (oder 3281) Träne(n). Gleichzeitig aber lerne ich wohl gerade die wichtigste Lektion meiner bisherigen „Karriere“.
Niemand wartet auf dich, keiner wird bei dir klingeln und sagen: „Schön, dass du da bist. Ich habe einen Job für dich und hier sind deine Visitenkarten.“ Nach dem Studium ist irgendwie auch vor dem Studium.
Headerfoto: Mädchen mit Rucksack via Shutterstock.com. Danke dafür. (Gesellschaftsspiel-Button hinzugefügt.)
Was zur einerseits den Älteren passiert ist auf der anderen Seite das Thema der Jungen.
Es trifft leider der nicht mehr der Gedanke „gehe in die Schule und bringe gute Noten heim“, „mach eine ordentliche Ausbildung auf einer Universität und suche dir einen gescheiten Job den du dann bis zu deiner Rente ausüben kannst“. Leider wird immer noch dieses Bild vermittelt, was nicht mehr stimmt.
Trotz dem Umstand in Schottland nur hinter den Tresen zu stehen, genieße die Zeit. Dein Leben steht erst am Anfang und nur du alleine entscheidest darüber. Viell. will das Leben nicht das du Karriere machst…Und unter uns; ein Hamsterrad sieht von innen aus wie eine Karrireleiter…
Ich fühle mit dir. Liebe Grüße aus Kanada von einer Dame, die auch auf dem Boden der Tatsachen angekommen ist.