Draußen schneit es. Es ist dunkel und ich sitze dicht an meine Heizung gepresst vor meinem Fenster. Schaue hinaus. In die Nacht der Stadt, die seit Herbst letzten Jahres wieder mein Zuhause ist. Wieder, weil ich hier geboren wurde, meine Kindheit hier verbracht habe.
Seit kurzem ist mein Studium vorbei und obwohl ich eigentlich überall hinwollte, außer wieder nach Berlin, so zog es mich letztendlich doch zurück an diesen Ort. Und seit ich hier bin, weiß ich auch warum. Hier ist Zuhause. Mehr als irgendwo sonst.
Doch gleichzeitig ist hier noch ganz und gar nicht Zuhause. Schön für mich vielleicht, dass mich die Stadt mit vergleichsweise offenen Armen empfangen hat. Dass hier bereits ein paar Freund:innen, Bekannte und Familie auf mich warteten. Gut. Und gleichzeitig bin ich hier doch erst mal wieder „die Neue“. „Die Neue“ im Job. Im Kiez. In den Straßen, in den Parks, den Cafés, den Bars.
Wie so viele andere auch bin ich im vergangenen Jahr umgezogen. Raus aus der kleinen Uni-Stadt und rein in die großen Weiten. Alles möglich. Alles… – nicht. Denn Corona.
Niemand hier hat mein Gesicht schon oft und gerne gesehen. Ich muss erst mal wieder die Orte finden, an denen ich jetzt nun oft und gerne gesehen werden will. Zu denen ich gehen möchte, wenn ein bestimmtes Gefühl mich durch die Gegend treibt. Von denen ich weiß: „Puh, hier kann ich mich auf meinen Lieblingsplatz fallen lassen und die Welt sieht schon gar nicht mehr so durcheinander aus.“
Das Ganze am liebsten hier und da auch gerne mit Menschen, von denen ich weiß, dass sie ganz besonders gute Gefährt:innen für einen beherzten Plumps auf den Lieblingsplatz sein würden. Mit denen man vertraute Routinen zelebrieren kann. Doch hier kommt der Knackpunkt: Das mit den neuen Lieblingsplätzen und den zugehörigen Menschen dazu ist gerade gar nicht mal so leicht. Um nicht zu sagen quasi unmöglich.
Wie so viele andere auch bin ich im vergangenen Jahr mit dem großen Wunsch nach und der großen Freude auf einen neuen Lebensabschnitt umgezogen. War bereit, neuen Raum einzunehmen. Raus aus der kleinen Uni-Stadt und rein in die großen Weiten. Alles möglich. Alles… – nicht. Denn Corona. Eine Pandemie, die vielen von uns den Rückenwind und jegliche Euphorie auf Neues geraubt hat. Dafür Sorgen, Ängste und vor allem ein großes Gefühl von lost sein hinterlassen hat.
Frei schwebend. Irgendwo zwischen Vermissen und Ankommen.
In den Straßen pfeift der Wind, es wirbeln Schneeflocken, der letzte Sonnenstrahl liegt gefühlt 1000 Jahre zurück und nach zwei bis drei Stunden an der frischen Luft freue ich mich letztendlich auch schon wieder aufs Warme. Meine Motivation, für einen Spaziergang mit halbwegs vertrauten Gesichtern durch die halbe Stadt zu fahren, nur um sich dann auch nichts wirklich Interessantes erzählen zu können (weil halt auch nichts passiert, duh), sinkt.
Die Kontakte, die ich hier aktuell so habe, sind welche, für die ich wahnsinnig dankbar bin und gleichzeitig solche, mit denen man sich erst mal einpendeln muss. Sich eine Alltagsvertrautheit erarbeiten.
Diese Art von Selbstverständlichkeit und Vertrautheit teile ich vor allem mit Leuten, die hunderte Kilometer von mir entfernt leben.
Da ist noch nicht viel mit alle paar Tage kommentarlos in Jogginghose auf dem Sofa zusammenrollen und den dritten Film in Folge anmachen. Mit denen ich mal kuscheln kann. Diese Art von Selbstverständlichkeit und Vertrautheit teile ich vor allem mit Leuten, die hunderte Kilometer von mir entfernt leben.
Ich vermisse sie. Ich vermisse, wie ich mit ihnen sein kann, weil es da nicht mehr um die Basic-Steps geht, die man sich am Anfang von Freundschaften erarbeiten und/oder wieder aufleben lassen muss.
Diese Leute vermisst man bei einem Umzug so oder so immer schon viel zu sehr und jetzt kann man sich nicht mal mit dem Gefühl trösten, gerade wenigstens schon aktiv an vielversprechenden Neubeginnen zu arbeiten. Kann sich nicht ablenken mit ein bisschen Musik, Kunst und Kultur im Außen.
Ich hinke hinterher. Alles ist wieder neu. Ich stehe an der Startlinie mit bibbernden Knien. Dinge sind ungewiss.
Ich denke zu viel über mich selbst nach. Verzweifle daran. Frage mich, wie das Leben nach dem Lockdown hier überhaupt für mich aussehen kann. Andere, die können dann endlich wieder in ihre alten Kreise zurückkehren. An ihre alten Lieblingsplätze. Das Hoch der wiedergewonnenen Freiheit ganz selbstverständlich mit denen feiern, die sie lieben und mit denen sie sich ein Leben in dieser Stadt bereits aufgebaut haben.
Ich hinke hinterher. Alles ist wieder neu. Ich stehe an der Startlinie mit bibbernden Knien. Dinge sind ungewiss. Ich kann mein Leben nur in der Theorie planen. Und zwischenmenschliche Beziehungen kann man eh nicht planen. Die passieren einem. Wenn man Glück hat, erwischt man welche von den Guten. Ob das jetzt neue Freund:innen sein mögen oder eine neue Liebe.
Das mit der Zuversicht fällt mir gerade schwer. Alles steht still. Die Pausetaste bleibt gedrückt. Niemand weiß, wann und wie es weitergehen wird. Alles ist erstarrt. Meine Gedanken rasen trotzdem durch den Tag und durch die Nacht. Wirbeln mit den Schneeflocken umher, sind nur schwer zu greifen, lassen mich innerlich frieren und wühlen mich auf. Das mit der Ungewissheit ist schon einfach ne schwierige Sache. Das mit der Geduld auch. Fieslinge.
Anm. d. Red.: Wir finden es wichtig, einzelne Perspektiven von Betroffenen und die damit verbundenen Belastungen in der Corona-Pandemie zu zeigen. Wir sind alle auf unsere ganz persönliche Weise betroffen. Die meisten Maßnahmen sind aus unserer Sicht berechtigt und notwendig, um die Pandemie einzudämmen – auch wenn das Einhalten schwerfällt. Alle Artikel zum Thema Corona findest du hier.
Headerfoto: Jakob Owens via Unsplash. (Kategorie-Button hinzugefügt, Bild gecroppt.) Danke dafür!