In der momentanen Situation kann die vermeintlich einfache Aufgabe des #socialdistancing für einige Leute zur harten Belastungsprobe werden. Beispielsweise dann, wenn sie ohnehin schon anfällig sind für depressive Verstimmungen und Gefühle der Einsamkeit. Vor allem Alleinwohnende und Singles sind aktuell besonders von fehlender Nähe – körperlich und mental – betroffen.
Wir von im gegenteil haben uns diesbezüglich zum zweiten Mal mit Dr. Alena Rentsch, Psychologische Psychotherapeutin bei HelloBetter.de, unterhalten und ihr acht Fragen zum Thema Einsamkeit und Singledasein gestellt, die uns die Community, also ihr, zuvor zugesandt habt. Das Gespräch aus der Vorwoche findet ihr hier.
1. Was macht das langfristige Alleinsein mit meiner Psyche? Wie kann ich mich davor schützen, aus dieser Krise eine Depression davonzutragen? Ich muss derzeit alle Nachrichten und News alleine verarbeiten.
Dr. Alena Rentsch: Beginnen wir grundsätzlich mit dem Thema “Alleinsein”. Ich glaube, dass man erstmal zwischen Alleinsein und Einsamkeit unterscheiden muss. Viele Menschen leben alleine, fühlen sich aber nicht unbedingt einsam, und andere Menschen leben mit anderen zusammen und sind in der Tat einsam.
Den Menschen, die gerade alleine leben und sich zwar ab und an einsam fühlen, aber grundsätzlich auf ein Netzwerk an Menschen und sozialen Kontakten zurückgreifen können, würde ich raten, ihr Leben so gesellig und lebendig wie nur irgendwie möglich zu gestalten. Sorgt dafür, dass ihr regelmäßig einmal am Tag mit jemandem Kontakt habt, verabredet euch zum digitalen Essen oder Kaffeetrinken. Schreibt Briefe. Nutzt das Netzwerk, das ihr habt!
Verabredet euch zum digitalen Essen oder Kaffeetrinken. Schreibt Briefe. Nutzt das Netzwerk, das ihr habt!
Manchmal wirkt das vielleicht nicht ausreichend, es ist ein schmaler Grat, daher kann man auch überlegen, ob die Quarantäne alleine mittelfristig das Richtige ist. Ich habe zum Beispiel ein Interview mit Nora Tschirner gehört und weiß daher, dass sie gerade eine kleine vorübergehende WG ins Leben gerufen hat für die Zeit der Quarantäne. Weil sie Sorge hatte, nach einer Weile alleine zu leiden.
Natürlich sollte man auf keinen Fall jemanden – zum Beispiel aus der eigenen Familie oder andere Risiko-Kandidat*innen – gefährden, aber vielleicht besteht die Möglichkeit einer vorübergehenden Zwecks-WG. Oder, wenn es die Gesundheit der anderen Familienmitglieder zulässt, sich für eine Weile wieder mit der Familie zusammen zu tun und nach Hause zu fahren, wenn man merkt, es geht nicht anders.
Diese Schutzmaßnahmen, die zur Zeit getroffen werden müssen, um sich und andere zu schützen, sind natürlich immens wichtig und richtig – aber sie machen auch etwas mit unserer psychischen Gesundheit. Und wir müssen uns gut überlegen, was das Äquivalent zum gründlichen Händewaschen für die seelische Gesundheit ist. Denn die müssen wir auch gut pflegen.
2. Wenn sich jemand fürs Alleinsein entscheidet oder keine Möglichkeit für eine vorübergehende WG mit Freund*innen oder Familie hat, wie kann diese Person mit dem Gefühl der Einsamkeit besser umgehen?
Dr. Alena Rentsch: Mit dem Gefühl der Einsamkeit als einem gemeinhin negativen Gefühl umzugehen, ist immer so eine Sache. Denn jedes Gefühl – angenehm wie unangenehm – hat seine Berechtigung und will uns etwas sagen. Das Gefühl der Einsamkeit klärt uns über etwas auf, was uns momentan fehlt: Beziehungen – auch wenn wir Kontakt zu anderen haben. Einsamkeit beschreibt meist die Diskrepanz zwischen den gewünschten und den tatsächlich vorhandenen Beziehungen. Und da können viele Dinge fehlen: die Tiefe der Bindungen mag nicht ausreichend sein oder manchmal auch die Anzahl der Beziehungen zu anderen Menschen, die man gern hätte.
Einsamkeit beschreibt meist die Diskrepanz zwischen den gewünschten und den tatsächlich vorhandenen Beziehungen.
Diejenigen, die dieses starke Gefühl von Einsamkeit haben, sind meine „Sorgenkinder“, weil ich glaube, dass diese Menschen eine besondere Veranlagung haben, in einer solchen Situation Depressionen zu entwickeln oder Substanzmissbrauch zu betreiben (wie Alkohol oder Medikamente). Es ist oft schwer, gegen dieses Gefühl anzugehen. Mein Rat wäre daher, dass man aktiv wird und sich eine Aufgabe sucht, die Bedeutung hat.
Wenn man das Gefühl hat, dass es nicht genug Menschen gibt, die einen lieben oder einem nah sind, besteht die Möglichkeit, sich vor Augen zu führen, dass es so viele Menschen im näheren Umfeld gibt, die einen gerade richtig gut gebrauchen können. Denn wenn man sich für andere engagiert, zum Beispiel in der Nachbarschaftshilfe, sich selbst um jemand anderen kümmert, der vielleicht auch gerade alleine ist, hilft das auch gegen das eigene Gefühl der Einsamkeit. Indem ich was für andere tue, tue ich auch ganz oft für mich selbst.
3. Und sonst? Was kann ich tun, um speziell zu mir gut zu sein?
Dr. Alena Rentsch: Was ausnahmslos überall Konsens zu sein scheint, ist das Thema der Tagesroutine. Man sollte sich dringend einen festen Tagesablauf anlegen, der die Zeit der Quarantäne strukturiert. Ich beispielsweise war jahrelang nicht mehr joggen, aber jetzt gehe ich jeden Morgen. Auch wenn ich keine Lust habe. Ich denke da nicht drüber nach, sonder mach es einfach – und wenn es nur 15 Minuten sind.
Das muss nicht das Joggen sein, man kann auch jeden Mittag nach dem Essen eine halbe Stunde spazieren. Man sollte sich einen Anker setzen: Immer nach dem Mittagessen, morgens, nachmittags – wann auch immer, einer bestimmten Tätigkeit nachzugehen. Am besten draußen.
4. Ist die Corona-Situation mit Partner*in einfacher?
Dr. Alena Rentsch: Da gibt es keine pauschale Antwort. Wer den Wunsch nach einer tiefergehenden Beziehung hat, aber kein*e Partner*in hat, ist natürlich gerade mit einer besonders belastenden Lücke konfrontiert. Dieser Wunsch nach Verbundenheit ist völlig nachvollziehbar – allerdings sollte man sich dann auch selbst die Frage stellen, wie sich eine zumindest ähnlich tiefgehende Beziehung mit jemand anderem herstellen lässt.
Wer den Wunsch nach einer tiefergehenden Beziehung hat, aber kein*e Partner*in hat, ist gerade mit einer besonders belastenden Lücke konfrontiert.
Man kann mit Freund*innen oder Familie aktiv über die Situation und die eigenen Ängste sprechen – im Skype Call oder am Telefon, den Austausch mit anderen Leuten suchen, wenn man das nicht ganz alleine durchstehen will. Wer sagt also, dass es unbedingt ein*e Partner*in sein muss, mit dem/der man sich austauscht und Emotionen teilt? Freund*innen und Familie sind genauso geeignet.
5. Wie gehe ich mit der Sehnsucht nach körperlicher Nähe – und Sex – um?
Dr. Alena Rentsch: Ich fürchte, man muss gerade ein bisschen Expectation Management betreiben. Natürlich gibt es jetzt die Möglichkeit, auch wenn das auf den ersten Blick nicht unbedingt befriedigend sein mag, in den Kontakt mit dem eigenen Körper zu treten. Wie kann ich die angenehmen Gefühle, die körperliche Nähe auslöst, mit mir selbst herstellen? Ich hatte das letzte Mal schon über Meditation gesprochen oder den sogenannten Bodyscan. Das ist ein Verfahren, bei dem man lernt, die verschiedenen eigenen Körperbereiche genauer zu betrachten und die Gefühle in ihnen zu analysieren – ohne diese dabei zu bewerten.
Ein ganz pragmatischer Weg ist die Selbstbefriedigung – auch das kann man ja schön gestalten mit viel Selbstliebe und Wellness für die Seele.
Es geht dabei rein um eine Bestandsaufnahme. Diese kann uns jedoch schulen, gerade im Bezug auf unser eigenes Körpergefühl sensibler zu werden und dementsprechend auch für Reize, die nicht so stark sind wie eine körperliche Umarmung oder Sex. Ansonsten ist Yoga auch eine tolle Möglichkeit oder auch Tanzen. Leute, die tanzen, sind oft nicht so sehr traurig. Ein ganz pragmatischer Weg ist natürlich die Selbstbefriedigung – auch das kann man ja schön gestalten mit viel Selbstliebe und Wellness für die Seele. Zum Beispiel mit einem schönen Körper-Öl oder einem Bad. Nehmt euch die Zeit, euch selbst etwas Gutes zu tun.
6. Die Möglichkeiten, jemanden kennen zu lernen, sind ja erst einmal beschränkt. Wie soll ich das die nächsten Wochen oder Monate aushalten ohne Dates und die Chance auf eine Beziehung im Nachgang der Krise?
Dr. Alena Rentsch: Ja, das ist jetzt gerade eine – verzeih bitte die Ausdrucksweise – wirklich beschissene Situation für jede*n auf Partner*innensuche. Insbesondere, wo der Frühling jetzt vor der Tür steht und die Stimmung, andere Leute kennen zu lernen, steigt oder man sich nach einer blöden Trennung vielleicht wieder bereit dafür gefühlt hat. Es ist wichtig, dass man sich auch erlaubt, darüber frustriert zu sein. Das ist völlig verständlich und gerechtfertigt!
Es gibt allerdings auch den pragmatischen Ansatz: Vielen Leuten geht es jetzt so und viele sehnen sich nach Nähe. Ein Weg wäre es, sich trotz eingeschränkter Möglichkeiten auf den favorisierten Dating-Portalen nach Menschen umzusehen. Es ist eine besondere Zeit und und vielleicht kann man kreativ werden und diese Zeit, so blöd sie im ersten Moment zu sein scheint fürs Dating, auch zum Connecten mit anderen nutzen. Ob nun beim Dating oder vielleicht bei der Pflege bereits bestehender Beziehungen zu Freund*innen.
Vielleicht entstehen jetzt besonders schnell besonders tiefgehende Verbindungen, auch beim Onlinedating, weil weniger Platz für Oberflächlichkeiten ist.
Visualisiere doch einmal auf einem Blatt Papier deine sozialen Beziehungen und überlege dir, wer dir am nächsten steht und mit wem du Beziehungen intensivieren möchtest. Vielleicht entstehen jetzt besonders schnell besonders tiefgehende Verbindungen, auch beim Onlinedating, weil gerade weniger Platz für Oberflächlichkeiten ist. Vielleicht begegnet man sich jetzt auf einer ganz anderen Ebene.
7. Wie kann ich psychisch kranken Menschen aus meinem Umfeld unterstützen?
Dr. Alena Rentsch: Natürlich sind das Menschen, die besonders unter der Zeit momentan leiden. Wenn jemand Depressionen hat, wird sich das wahrscheinlich gerade jetzt in der Isolation in besonders starker Antriebslosigkeit äußern. Oder jemand mit einer Angststörung, z. B. mit einem Waschzwang aufgrund von Krankheitsängsten und der ohnehin schon eine übertriebene Handhygiene betreibt, könnte nun extreme Rückfälle oder Verschlimmerungen der Symptome erleiden. Die Liste ließe sich ewig fortsetzen.
Das Wichtigste an dieser Stelle ist es, auf jeden Fall zunächst eine Kontaktaufnahme zu diesen Menschen, und ihre Gefühle, sei es Angst, Trauer oder Wut, ein Stück weit zu normalisieren. Sprich: ihnen zu sagen, dass diese Gefühle gerade okay und auch absolut angemessen und nachvollziehbar sind – und dann zu versuchen, weiter ins Gespräch zu kommen. Nachzufragen, wie es ihnen darüber hinaus geht, was sie tun und sich vielleicht auch mal den Tagesablauf konkret erzählen zu lassen und nicht nur an der Oberfläche zu kratzen.
Es fällt Leuten in psychischen Krisensituationen oft schwer, selbst Entscheidungen zu treffen.
Auch von sich selbst zu erzählen, was man den Tag über so tut – und vielleicht auch der betreffenden Person Anregungen zur Tagesgestaltung zu geben. Es fällt Leuten in psychischen Krisensituationen oft schwer, selbst Entscheidungen zu treffen. Da kann es für eine regelmäßige Kontaktaufnahme hilfreich sein, keine offenen Ja-Nein-Fragen zu stellen, sondern konkrete Angebote zu machen wie: “Wollen wir heute telefonieren oder sollen wir morgen skypen?” Man kann auch einen festen Termin einmal die Woche ausmachen, an dem man sich für eine halbe Stunde unterhält und sich gegenseitig ein wenig Stabilität gibt, wenn die betroffene Person das möchte. Man sollte nichts aufzwingen.
Wenn man als Freund*in oder Angehörige*r nicht weiterhelfen kann, besteht für diese Menschen die Möglichkeit, telefonische Hilfsangebote wahrzunehmen, wie das von der Telefonseelsorge oder auch von HelloBetter.de – oder sich online Hilfe zu suchen. Wir von HelloBetter.de haben eine Facebook-Gruppe initiiert, die von Psycholog*innen betreut wird und über eine ganz tolle Community verfügt. Weiterhin kann man versuchen, einen Kontakt zu Psychotherapeut*innen herzustellen – oder wenn man bereits in Behandlung ist, diese fortzusetzen. Das geht seit letzter Woche auch auf digitalem Wege. Wenn man sich darüber informieren möchte, kann man das über den Health Innovation Hub oder über die Seite der Bundespsychotherapeutenkammer.
Im allerschlimmsten Notfall sollte man über die 112 einen Krankenwagen rufen, der einen in die nächste Ambulanz bringt, wo man weiter beraten wird.
In einer Notfallsituation oder akuten Krisensituation kann man dann zuletzt auch bei den psychiatrischen Ambulanzen Halt suchen. Diese bleiben geöffnet und man wird dort immer eine*n Ansprechpartner*in finden. Im wirklich allerschlimmsten Notfall sollte man über die 112 einen Krankenwagen rufen, der einen dann in die nächste Ambulanz bringt, wo man weiter beraten wird. Tageskliniken oder ambulante Psychotherapeut*innen können derzeit allerdings nicht wie gewohnt in Anspruch genommen werden, weil das aufgrund der Beschränktheit des Platzes ein zu hohes Ansteckungsrisiko darstellen würde.
8. Wie kann ich verhindern, dass ich alleine zuhause verwahrlose?
Dr. Alena Rentsch: Natürlich ist die “Gefahr” jetzt besonders groß. Aber auch hier hilft das, was wir eben angesprochen hatten: einen festen Tagesablauf anzulegen. Jeden Tag zur gleichen Zeit aufstehen und ins Bett gehen und das auch durchzuziehen, sich duschen und sich anzuziehen und sich wenn gewünscht auch zu schminken. Man sollte versuchen, sich eine Umgebung zu schaffen, in der es leicht fällt, gesunde Gewohnheiten umzusetzen.
Natürlich kann man eine Woche nur auf der Couch liegen – wenn man das gebraucht hat. Wichtig ist es, dass es danach weitergeht mit dem wirklichen Leben.
Das kann beim Füllen des Kühlschranks mit gesunden Produkten anfangen, damit man nicht in die Versuchung kommt, jeden Tag nur Pizza und Pommes zu essen. Man kann auch mit Freund*innen – ohne sich zu treffen – Verabredungen zum Sport abmachen und das wie eine Art Challenge gestalten, über deren Verlauf man sich täglich gegenseitig updatet. Das Gefühl, dass jemand “kontrolliert”, hilft dabei, das durchzuziehen. Auch Luft und Licht hereinzulassen hilft sehr. Natürlich kann man eine Woche auch nur auf der Couch liegen und netflixen, das ist völlig okay – wenn man das gebraucht hat. Wichtig ist es, dass es danach wieder weitergeht mit dem wirklichen Leben.
Vielen lieben Dank für eure Fragen. Das erste Gespräch mit Dr. Alena Rentsch findest du hier. Alle unsere Artikel zum Thema Corona findest du hier.
Werbung: Diese #zusammenzuhause-Reihe entsteht gemeinsam mit den Fachleuten von HelloBetter. Bei HelloBetter gibt es wissenschaftlich geprüfte psychologische Online-Trainings und Online-Psychotherapie via Computer und Smartphone-App, auf Wunsch mit psychologischer Begleitung. Und ab diesem Jahr auch auf Rezept, mit dem Digitale-Versorgung-Gesetz. Danke, dass ihr da seid und uns in dieser instabilen Zeit emotional und finanziell unterstützt. <3