Das erste, was mir jemand sagte, nachdem mein Vater starb, war: „Willkommen im Club, in dem niemand sein will!“ Damals schaute ich apathisch weg, setzte mich langsam auf den Hocker neben mich und versuchte die Beweggründe hinter dieser Botschaft, außer der Tatsache, dass wir beide offensichtlich ein Familienmitglied verloren hatten, herauszufinden.
Ich dachte weder: „Wow, die Person muss wirklich wissen, was ich gerade durchmache“, noch hatte ich wirklich das Gefühl, dass eine unausgesprochene Solidarität zwischen uns besteht. In einer Kultur, die uns lehrt, dass Worte der Affirmation, Geschenkkarten, Geld und Blumen angemessene Reaktionen auf den Tod sind, sollte ich mich doch dankbar fühlen, aber ich war wütend. Wütend, dass „Willkommen im Club“ so beiläufig ausgesprochen wird, als wäre es ein Lebensziel, dazugehören zu wollen und wütend darauf, dass jemand offenbar glaubte zu wissen, was ich fühlte.
Man sagt, Trauer äußere sich in fünf Phasen: Verdrängung, Wut, Verhandeln, Depression und Akzeptanz. Wer dieses Modell aufgestellt hat, hat die Komplexität meiner eigenen Gefühle definitiv nicht verstanden. Ich habe die Phasen nicht chronologisch abgearbeitet. Stattdessen habe ich welche ausgelassen, bin wieder auf Anfang gegangen. Wenn ich glaubte, die Situation endlich akzeptiert zu haben, fiel ich wieder in ein Loch aus Verdrängung, Wut und Depression.
In dieser Zeit habe ich einige Dinge gelernt, die mich zu der Person machen, die ich heute bin. Dinge, die man nur verstehen kann, wenn man auch getrauert hat.
Vor acht Jahren habe ich meinen Vater verloren. Vor acht Jahren hat sich mein Leben für immer verändert.
Vor acht Jahren habe ich meinen Vater verloren. Vor acht Jahren hat sich mein Leben für immer verändert. Ich erzähle es niemanden, wann der Tag ist. Die Wahrheit ist, ich bin mir nicht sicher, wie ich mich an diesem Tag fühlen soll – selbst wenn ich immer weiß, dass er bevorsteht. Ich versuche ihn nicht zu verheimlichen.
Aber was bringt es denn, wenn ich davon erzähle? Andere würden mich sofort bemitleiden und sich unwohl fühlen und peinlich versuchen, die richtigen Worte zu finden. Es gibt keine richtigen Worte. Wenn man Dinge hört, wie „Oh, schon so lange her…“, wirkt es belanglos, obwohl es für mich immer wichtig bleiben wird. Dieser spezielle Tag im Kalender ist nicht schlimmer als irgendein anderer.
Viele verstehen nicht, dass der Tod eines geliebten Menschen nicht mehr das ist, worin die anhaltende Traurigkeit liegt. Es ist wahr, dass mit der Zeit der Schmerz abebbt. Es wird leichter, mit dem Verlust zu leben und es wird einfacher, sich an die glücklichen Momente zu erinnern, ohne gleich in Trauer zu versinken.
Die Traurigkeit, die nach all den Jahren noch immer nachhallt, liegt nicht darin, dass mein Vater von uns gegangen ist, sondern vielmehr in den Dingen, die er verpasst hat. All die Erinnerungen, Erlebnisse und Meilensteine, die wir in den letzten acht Jahren gesammelt haben und die er nie miterleben wird.
Acht Jahre später tritt der Schmerz oft aus dem Nichts auf – an Tagen, die nicht vom Kalender bestimmt sind.
Acht Jahre später tritt der Schmerz oft aus dem Nichts auf – an Tagen, die nicht vom Kalender bestimmt sind. Wenn ich bestimmte Songs höre oder Fußball schaue, wenn meine Freunde an den Wochenenden bei ihren Familien zum Essen eingeladen sind und ich alleine zuhause sitze, an Feiertagen, wenn ich in Portugal bin oder wenn ich etwas geschafft habe, worauf ich stolz bin und gerne seine Bestätigung hören würde. An Tagen, an denen ich mich zurückerinnere und realisiere, dass ich das Glück hatte, achtzehn Jahre lang Erinnerungen sammeln zu können, während mein Bruder gerade mal neun hatte.
“Grief, I’ve learned, is really just love. It’s all the love you want to give, but cannot.” – So fühlt es sich an, sein Leben weiterzuleben, eine Person zu lieben, der man das nicht mehr zeigen kann. Eine Person nicht anrufen, um nach Rat zu fragen und wichtige Momente nicht mehr teilen zu können.
Wenn ich heute wieder darüber nachdenke, bin ich reflektiert genug, das Schöne an all dem zu erkennen. Ich bin nicht dankbar für die Erfahrung, ein Elternteil verloren zu haben, aber genau diese Erfahrung hat mich Lektionen gelehrt, die ich in so jungen Jahren vermutlich noch nicht verinnerlicht hätte. Ich bin dankbar für all die Liebe, die ich in meinem Leben bekomme. Ich bin dankbar für meine Familie, für meine besten Freunde, für die Tatsache, dass ich ein Leben habe und dass ich gesund bin.
Ja, das Leben ist nicht fair und Schicksalsschläge treffen einen immer dann, wenn man es am wenigsten erwartet; man wird mit aller Kraft des Universums in ein schwarzes Loch gesogen, aus dem man nur schwer selbst wieder herausfindet. Ohne familiären und freundschaftlichen Rückhalt hätte ich die Zeit vermutlich nicht überstanden. Genau aus diesem Grund hege und pflege ich die Verbindung zu meiner Familie und meinen Freunden so gut ich kann. Bin immer für sie da, so wie sie es für mich waren und noch immer sind.
Das einzige, was man für den Verstorbenen tun kann, ist sein Leben so weiterzuleben, als wäre er noch immer da.
Das einzige, was man für den Verstorbenen tun kann, ist sein Leben so weiterzuleben, als wäre er noch immer da – glücklich, schön, positiv und voller Emotionen!
Obwohl es heute bereits acht Jahre her ist, beeinflusst mich die Erfahrung, ohne Vater zu leben, weiterhin in vielerlei Hinsicht. Ich bin dankbar für alle, die ein offenes Ohr haben, wenn ich es brauche und genau aus dem Grund schreibe ich diese Zeilen, weil ich weiß, dass da draußen jemand ist, der darin Trost findet, zu wissen, dass er nicht alleine ist. Dass jeder anders trauert, wir aber irgendwie doch alle miteinander verbunden sind. Dass die Person nicht von uns gegangen ist, sondern in uns – in meinen Geschwistern, in mir und in meiner Mutter – weiterlebt.
Ich schaue aus dem Fenster, genieße die hereinbrechenden Sonnenstrahlen und realisiere, dass aus dem apathischen Mädchen auf dem Hocker, das so tief in seiner Trauer steckte, eine reflektierte junge Frau geworden ist, die im Moment lebt, das beste aus dieser kurzen Zeit, die wir haben, macht und die viel und oft lacht. Und darauf wäre mein Vater sicher stolz!
Dieser Text ist ursprünglich hier erschienen.
Headerfoto: Linh Koi via Unsplash.com! (Wahrheit-oder-Licht-Button hinzugefügt.) Danke dafür.
Danke, du sprichst mir aus der Seele und dein Text gibt mir richtig Kraft, dass ich mit meinen Gedanken und Gefühlen nicht alleine bin.
Vielen Dank!
Gott tröstet uns! Auch wenn der Schmerz oft bitterlich ist sind es die schönen Dinge die uns bleiben.
Ich mache mir Vorwürfe für Dinge die ich gesagt aber auch nicht gesagt habe… aber mein Papa wusste immer das ich ihn liebe!
Gott gibt und Gott nimmt, wir Menschen haben da ein anderes Denken aber wir werden und wieder sehen <3
Lg
Christoph
Es ist schön und wichtig darüber zu schreiben. Mein Vater ist vor über einem Jahr gestorben und ich habe ihm folgende Zeilen geschrieben:
Mein geliebter Papa!
Der ewige Schmerz hat sich in mir eingegraben. Es ist etwas passiert, was hätte niemals passieren dürfen. Ich bin untröstlich, mein lieber Papa, denn ich brauche Dich! Ich habe Dich immer mehr denn je gebraucht und brauche Dich heute mehr denn je! Du warst und bist nicht nur ein Vater gewesen, Du bist das Licht, das mir hat immer den Weg geschienen, mir so vieles aufgezeigt, mich zu dem geformt, was ich bin. Dein Sohn zu sein, ich bin so froh darüber! Du, mein Vater, mein Glück! Du warst immer für mich da! Es gab keine Sekunde der Unaufmerksamkeit! Du warst die Säule in meinem Leben, die mir die Kraft gegeben hat das Leben, mit all seinen Tücken, zu überstehen. Du hast mir den so nötigen und tiefen Halt gegeben, den ich für das Leben brauchte, um existieren zu können. Familie und Geborgenheit. Das wertvollste im Leben. Ein in sich geschlossener Verbund. Das Leben mit Dir zu teilen, vor allem die Freude und das Glück – ein Geschenk! So wie Du mir auch dieses selbstverständliche Vertrauen geschenkt hast! Nie wurde es enttäuscht! Und Du warst zugleich der wahre und beste Freund für mich. Nur Du warst dazu in der Lage. Nur Du. Nun bist Du nicht mehr da und es zerreißt mich unaufhaltsam. Denn ich brauche Dich. Ich brauche Dich mehr denn je, wie ich Dich auch zuvor mehr denn je gebraucht habe. Wir waren in ständiger Kommunikation, dabei bedrufte es nicht vieler Worte, denn es reichten nur ein paar Worte, um ganze Bücher zu füllen. Erfüllt von der Liebe, die im Herzen geboren. Doch warum ist etwas passiert, was hätte niemals passieren dürfen? Warum hatte ich nicht alles bei Hand, um zu verstehen, damit ich Dich hätte retten können? Wollte es das Schicksal so? Habe ich etwas übersehen, habe ich Dich übersehen, weil ich noch nicht die Reife habe? Ich habe Dich der Obhut anderer überlassen, denn Du brauchtest Hilfe und ich dachte Dich somit zu schützen. War ich im Irrglauben? Hätte ich einfach mehr auf die Signale achten sollen, die Du hast versucht zu übermitteln und dafür die anderen, die vermeintlichen Fachleute, ohne Wenn und Aber ausblenden sollen? Du wolltest doch nach Hause! Wärest Du denn dann genügend geschützt gewesen und ich hätte jetzt weiterhin den nötigen Halt, den ich immer gebraucht und bekommen habe, den ich immer brauchen werde? Denn ich brauche Dich mehr denn je, so wie ich Dich mehr denn je immer gebraucht habe – und Du warst immer für mich da, weil ich Dich brauche. Und Du wusstest das und hast immer intelligent agiert. Wie ich Deine intelligente Denkensweise schätze und bewundere, dieser unermüdliche und starke Geist in Dir.
Ich fühle mich schuldig, denn ich denke, es fehlte mir das richtige Bewußtsein, um zu erkennen, was nötig gewesen wäre, um Dich zu retten. Oder wäre sonst alles noch schlimmer gekommen? Konnten die Hilferufe mich deswegen nicht erreichen? Es gibt einfach keine Antwort. Aber eine Antwort auf das Jetzt gibt es, ich brauche Dich mehr denn je, so wie ich Dich auch früher immer mehr denn je gebraucht habe. Durch Dich bin Ich. Ohne Dich fehlt mir mein Ich. Ich möchte nicht mehr sein, aber ich weiß, Du würdest sein und darum bin ich bei Dir, wie ich es immer gewesen bin, wie ich es heute bin und auch immer sein werde.
Vorher war Leben, jetzt gibt es nur noch ein Überleben. Mein Leben, nun gefüllt mit den Tränen der unendlichen Traurigkeit. Im Wissen, dass mein Leben nie wieder so schön sein wird, wie gewesen, wie es immer durch Dich getragen, denn ich brauche dieses schöne Leben, diese tiefe Geborgenheit und das Gefühl von Familie. Ohne Dich, mein lieber Papa, ist mein Leben nicht mehr mein Leben. Ich brauche doch das Früher auch im Jetzt und im Später.
Immer habe ich vom Glück gesprochen Mutter und Vater zu haben. Ein festes und wertvolles Gebilde, unantastbar, das mir stets eine innere Stärke gegeben hat, mit der ich das Sein verstehen konnte, ein Fundament, das mich aufblühen ließ. Ich war und ich bin stolz Dein Sohn zu sein. Ich werde es immer sein, denn ich brauche Dich für immer. Und ich weiß, jetzt wird Dich kein Leid und kein Schmerz mehr heimsuchen. Du bist jetzt umgeben von der wahren Schönheit, geboren aus Dir. Du bist jetzt umhüllt von Leichtigkeit, von den schönsten Farben und den schönsten Klängen, die es im Irdischen nicht gibt und nicht mit Worten zu beschreiben sind. Es gibt nicht den geringsten Schatten, dafür aber die absolute, die vollkommene und unendliche Liebe.
Danke Papa, ich liebe Dich
Wow! Genau so fühle ich mich, mein Vater ist erst vor wenigen Wochen gestorben. Einfach so, morgens ist er noch aufgestanden und in die Küche, die Kaffetasse stand noch im Kaffeautomat als ihn meine Mutter fand. Ich bin mehr als dankbar für 23 gemeinsame Jahre, in denen ich mir nie einen besseren Vater hätte vorstellen können. Traurig macht es mich in die Zukunft zu schauen und an die Erlebnisse zu denken, die er alle nicht mehr miterleben darf. Ich glaube er wäre ein toller Opa gewesen.
Kraft spendet mir der Gedanke, dass ich diese Person begleiten durfte und er mir in der Kurzen Zeit soviel mitgegeben hat, trotzdem bleiben Fragen, es fehlt die Bestätigung. Und auch der Umgang mit meinen Großeltern hat sich verändert, er war ihr einziges Kind und immer für sie da. Schwierig finde ich die richtigen Worte am Telefon zu finden. So normale Fragen am Telefon wie „wie geht es euch“ können nicht mehr gestellt werden, denn ich werde nie mehr ein „Gut“ als Antwort bekommen…
Der Vater meiner Frau ist vor 2 Jahren verstorben, und dieser Verlust hat sie sehr sehr schwer getroffen! Vorher war sie aktiver im Alltag, gemeinsam gingen wir raus, sie ging zu ihrer Familie, oder holte Lebensmittel aus dem Supermarkt etc. … aber Heute!? Nichts! Ihr ist alles und jeder egal. Raus gehen möchte sie nicht, auch nicht mal kurz zum Frische Luft schnappen! Sie ist tief verschlossen und lenkt sich mit Serien im Internet ab ! Nach aussen hin ist sie völlig isoliert! Wir sind bald 11 Jahre (mit einer Unterbrechung von 6 Monaten) zusammen ! Manchmal bin ich , so wie Jetzt, völlig verzweifelt und überfordert mit allem! Möge der Allmächtige uns Allen Kraft geben ! Danke für den obigen Text, die Tränen konnte ich nicht mehr halten 🙁
Du hast meine Gefühle auf den Punkt beschrieben. Den link werde ich meinen Freunden schicken, damit sie mich besser verstehen können 🙂
Danke!
Ein Clubmitglied