„Angels“ von Robbie Williams spielt. Das Lied, das den letzten verbliebenen feiernden Menschen signalisiert, dass dieser Abend nach den nächsten vier Minuten vorbei sein wird. Aber nicht für uns. Ich sitze schon seit ein paar mehr Liedern auf der Couch, trinke mein letztes Bier, sehe zu, wie sich Menschen verabschieden und den Heimweg antreten.
Er ist sichtlich gerührt von den lieben Worten und den vielen Menschen, die er so bald nicht mehr zusammen sehen würde. Aber ich bin fast sauer auf diese Menschen, die so traurig tun. Sätze wie „Ich werde dich safe mal im Ausland besuchen!“ oder „Meld´ dich auf jeden Fall, wenn du mal wieder hier bist“ wirken wie leere Hüllen.
Sätze, die zur Hälfte ernst gemeint sind, zur anderen Hälfte aber auch nur gesagt werden, weil es sich gut anfühlt. Nicht wie ein gänzlicher Abschied. Ein Abschied mit Limitationen.
Er hat schon immer davon geredet, dass er sich an Deutschland nicht gebunden fühlt. Dass er schon immer wusste, dass er mal im Ausland leben würde.
Diese Menschen hatten nicht geweint so wie ich, als ich zum ersten Mal hörte, dass er für seinen Master ins Ausland gehen würde. Ich saß damals in einer Videokonferenz, eine Freundin schrieb mir die Neuigkeit und ich schaltete das Video aus, damit niemand sah, wie sich meine Augen mit Tränen füllten.
Tränen der Enttäuschung, weil ich es über eine Freundin erfahren hatte und nicht von ihm. Enttäuschung, weil ich wusste, dass er sich auch im Ausland nicht bei mir melden würde. Weil er einfach nicht so ist. Für ihn ist das ein neuer Abschnitt, ein Teil seines Lebens, dem er sich voll und ganz widmen wird.
Tränen der Wut, weil mich diese Neuigkeit bestürzte. Wut, weil diese Information gar nicht so neu für mich war. Er hat schon immer davon geredet, dass er sich an Deutschland nicht gebunden fühlt. Dass er schon immer wusste, dass er mal im Ausland leben würde. Und als dann sein Vater nach Spanien zog, hätte es mir eigentlich schon klar sein müssen.
Ich glaube, er fühlt sich hier sehr eingeschränkt und die Erwartungen des Lebens erdrücken ihn. Unsere Vorstellungen vom Leben weichen so voneinander ab und trotzdem hatte ich bis zu dem Moment, als feststand, dass er wegziehen würde, immer daran geglaubt, dass wir es eines Tages schaffen würden, zueinander zu finden.
Lass uns eine für Nacht so tun als ob.
Unsere Geschichte ist so lang, schon mit sechszehn empfanden wir etwas füreinander, konnten es aber weder zeigen noch formulieren. Nachdem ich für einige Monate im Ausland war, war die Situation ähnlich. Und auch als wir herausfanden, dass wir zu diesen zwei Zeitpunkten etwas voneinander gewollt hatten, ohne es vom anderen zu wissen, konnten wir unsere Zuneigung zueinander nicht leugnen. Aber zu dem Zeitpunkt war er in einer Beziehung. Und seine Freundin… die wohnte im Ausland.
Einige Monate später war die Zeit nicht richtig oder irgendetwas anderes stimmte nicht, ich weiß es gar nicht so richtig. Vor einiger Zeit fragte mich eine Freundin im Auto: „Wann kommt ihr denn endlich zusammen?“ Die Antwort wusste ich nun.
Tränen der Trauer, weil ich einen guten Freund verlor. Trauer, weil es vollkommen egal war, wie viel Kontakt wir gerade hatten oder wie viel wir vom Leben des anderen wussten, wenn wir uns sahen verstanden wir uns auch ohne Worte und waren fast wie Magnete, die einfach voneinander angezogen wurden.
Wenn wir uns sahen verstanden wir uns auch ohne Worte und waren fast wie Magnete, die einfach voneinander angezogen wurden.
Ich war traurig, weil ich nun nicht herausfinden würde, ob es zwischen uns funktioniert hätte. Diese Ungewissheit würde bleiben.
Als ich an unsere Zeit zurückdenke, kommen mir fast wieder die Tränen. Nein, nicht heute, nicht jetzt. „Morgen, wenn er im Flugzeug sitzt, dann kannst du weinen“, sage ich mir. Ich stehe auf, gehe zu den anderen und gemeinsam wiegen wir uns Arm in Arm im Rhythmus der letzten Sekunden des Liedes.
Zusammen räumen wir schnell ein wenig auf, dann gehen auch die letzten Gäste. Ich bleibe etwas abseitsstehen und warte, fast so als wäre es auch meine Abschiedsparty gewesen. Die Tür fällt in Schloss, er dreht sich um und sieht mir in die Augen.
Er fährt sich mit der Hand durch die langen blonden Haare, greift zu seiner Lederjacke und streckt mir die Hand entgegen. „Komm“, sagt er. Diese Nacht würden wir so tun, als hätten wir endlich zueinandergefunden.
Headerfoto: Felipe Bustillo via Unsplash. (Kategorie-Button hinzugefügt, Bild gecroppt.) Danke dafür!
Ich fühle das so sehr, bin in der gleichen Situation. Er wird auswandern, keine Beziehung, nur F+…eben weil er auswandern will. Egal was genau zwischen uns ist, und es ist schier unglaublich. Der Abschied steht bevor und ich lebe damit, weil es zu schön ist, um jetzt schon zu gehen. Fühl dich ganz doll in den Arm genommen, du bist nicht alleine.