9 Tage im buddhistischen Schweigekloster – mit einem Geist, der nicht still sein will

Ich bin nach Thailand gekommen, um die Stille zu suchen und irgendwas zu finden, das vorher vielleicht noch nicht da war. Meine Erwartungen sind gemäßigt – ich habe zwar viele Erfahrungsberichte gelesen und weiß, dass von der Thrombose bis zur Erleuchtung ein breites Spektrum an Dingen passieren kann, aber ich will gucken, was bei mir ganz persönlich passiert.

In meinem Rucksack sind lange weiße Baggy-Klamotten, ein Timer (um ohne Handy die Meditationsintervalle zu stoppen), ein Wecker (gestellt auf 5 Uhr morgens), eine Taschenlampe (siehe Weckzeit), eine Rolle Klopapier (in Buddha-Weiß), eine Wasserflasche und eine Ration Teebeutel und Kakaopulver. Außerdem Durchfalltabletten, Insektenspray und ein Kompass – ich bin schließlich in Thailand.

Von Chiang Mai aus fahren meine Begleitung und ich (eine solche Reise sollte man eigentlich alleine machen, aber hey, ich bin auch nur eine Schisserein) mit einem Sammeltaxi die Serpentinen zum Kloster hinauf. Doi Suthep liegt in luftigen Höhen und hat deshalb im Sommer ein sehr angenehmes Klima, im Winter ist es einfach nur kalt. Der Tempel ist berühmt, gefühlte tausend Menschen quetschen sich mit mir in die Bahn Richtung Gipfel, um die 300 Stufen nicht laufen zu müssen.

Wir werden in den nächsten 19 Stunden nichts essen. Das macht mir Angst, deshalb habe ich Nüsse im Gepäck. Please don’t judge me.

Oben angekommen kaufen wir uns in einem kleinen Shop ein paar Packungen Nüsse und verdrücken sie auf ex, denn wir werden in den nächsten 19 Stunden nichts essen. Die Sache mit dem Essen macht mir Angst, denn nach dem täglichen Frühstück um 7 und dem Lunch um 11 wird es keine feste Nahrung mehr geben – ist so ein buddhistisches Ding. Aus lauter vorsorglichem Selbstmitleid – und Respektlosigkeit der Religion gegenüber – habe ich weitere Nüsse im Gepäck. Please don’t judge me.

Nachdem wir uns bei einem Büromönch angemeldet haben, gehe ich auf mein Zimmer, in dem nicht viel ist außer einem Bett mit einer Wolldecke, ein paar Meditationskissen auf dem Boden und einer Kleiderstange an der Wand. Zum Glück gibt es Fliegengitter an Fenstern und der Tür – neben der Panik vor dem Verhungern habe ich nämlich auch große Angst vor Insekten mit Schwerpunkt auf Spinnen.

Ich habe etwas Zeit, um kalt zu duschen und mich in die weißen Klamotten zu schmeißen. Mein Meditations-Lampenfieber weicht einer gewissen Zufriedenheit, denn dieser Ort ist toll. Die Aussicht von den in den Hang gezimmerten Wohnblöcken ist fantastisch: Palmen, Lianen, Bäume, Schmetterlinge, Vögel, Frösche – Dschungel-Sounds inklusive. Hier kann ich bleiben, hier wird es mir gut gehen, das fühle ich.

Bei einer kurzen Meditationseinführung erfahren wir Frischlinge die Grundlagen der Geh- und der Sitzmeditation, die wir abwechselnd praktizieren werden. Zehn Minuten müssen dafür reichen – es gibt ja auch nicht viel zu sagen: Setz dich hin, schließe die Augen, konzentriere dich auf das Heben und Senken deiner Bauchdecke, benenne Gedanken und Gefühle als solche, lass sie gehen und dich fallen. 15 Minuten Gehen im Schneckentempo, 15 Minuten Sitzen, Pause, Wiederholung, Pause, Wiederholung, und so weiter. Easy.

15 Minuten Gehen im Schneckentempo, 15 Minuten Sitzen, Pause, Wiederholung, Pause, Wiederholung, und so weiter. Easy.

In einer Eröffnungszeremonie, die ich mit drei anderen Meditator*innen und zwei Mönchen absolviere, zünde ich auf dem Boden sitzend eine Kerze an, stelle ein Blumentablett von A nach B, verbeuge mich mehrfach mit der Stirn zum Fußboden, versuche etwas zu singen, das ich nicht verstehe und dessen Melodie ich nicht kenne, und verspüre große Ehrfurcht vor unserem Lehrermönch, der namenlos bleiben wird, denn Namen sind hier im Kloster nicht wichtig.

Er gibt uns aufmunternde Worte mit auf den Weg und sofort zeigt sich seine Gutmütigkeit, sein Humor und sein Verständnis für unsere westlichen Wehwehchen. Wir haben es hier mit einem kleinen, zufriedenen Dalai Lama zu tun. Jeden Morgen, jeden Nachmittag und jeden Abend werden wir ihn sehen, einmal am Tag sogar kurz mit ihm sprechen dürfen.

Ich fühle mich sicher und zuversichtlich, auch wenn ich mich hier – so schweigend, demütig verbeugend, in Zeitlupe laufend und in gespenstisches Weiß gehüllt – wie ein Teil einer großen, weirden Sekte vorkomme. Ich bleibe wachsam – meinen Willen könnt ihr vorerst haben, mein Gehirn kriegt ihr nicht!

Unser Tag gestaltet sich wie folgt:

05:00 – Aufstehen
05:30 – Dhamma Talk (Vortrag über die Lehren des Buddha)
07:00 – Frühstück
08:00 – Meditation
11:00 – Lunch
12:00 – Meditation
13:00 – Kurzes, privates Gespräch mit dem Lehrer
13:30 – Meditation
18:00 – Chanting (gemeinsames Singen)
19:00 – Meditation
21:00 – Licht aus

Man solle nichts töten, nichts klauen, sich sexuell nicht ausleben (auch nicht mit sich selbst), nicht lügen, nicht saufen.

Die acht zu befolgenden Hauptregeln besagen, man solle nichts töten, nichts klauen, sich sexuell nicht ausleben (auch nicht mit sich selbst), nicht lügen, nicht saufen, rauchen oder Drogen nehmen, nachmittags nichts essen, generell nicht singen, tanzen, Musik hören, sonstige Dinge zum Entertainment tun, kein Parfüm tragen und sich weder auf luxuriöse Dinge setzen und generell nicht zu viel schlafen.

Außerdem solle man Respekt gegenüber dem Lehrer und allen anderen haben, nicht stören, nicht sprechen, keine elektrischen Geräte benutzen, das Gelände nicht verlassen, Weiß tragen und sauber bleiben. Okay, läuft.

Ich bin super motiviert. In der Meditationshalle, hat jeder eine zehn Meter lange Matte, auf der man gehen oder sitzen oder heimlich liegen kann. Ich polstere mir den Hintern mit Kissen, nehme einen Schluck Wasser, ziehe meine Leinenhose zurecht, stelle den Timer auf 15 Minuten, atme durch, richte meine Wirbelsäule auf, lege meine Hände in den Schoß, schließe die Augen und lasse mich fallen – in einen gesetzesfreien Raum, in dem die Gedanken in allen Dimensionen durch die Gegend schießen.

Es wird scharf geballert – und dabei bin ich doch Pazifistin. Also gehe ich dazwischen, sammle meine Gedanken in einer Ecke, gucke sie kurz an, trenne sie von mir und gehe zurück zu meiner Bauchdecke. Für etwa zwei Sekunden, dann sind die Störenfriede zurück und das Sortieren und Distanzieren beginnt von vorn. Die eigenen Gedanken sind lauter als jede Fernsehserie, jeder Deathmetal-Song, jede Familienfeier mit Tante Gisela kurz vor zwei Promille.

Die eigenen Gedanken sind lauter als jede Fernsehserie, jeder Deathmetal-Song, jede Familienfeier mit Tante Gisela kurz vor zwei Promille.

Eine ganze Weile später tut mir alles weh, meine Beine sind eingeschlafen, ich habe längst vergessen, mich auf meine Atmung zu konzentrieren. Ich bin mir sicher, dass der Timer kaputt ist. Hab ich ihn überhaupt richtig gestellt? Mein Wille versagt, ich öffne heimlich ein Auge und linse auf die Uhr. Es sind nicht mal sieben Minuten vergangen, ich fange fast an zu weinen. Wie herausfordernd die Stille doch sein kann.

Eins ist sicher: Das werden lange neun Tage und ich weiß nicht, ob dieser Konflikt friedlich zu lösen sein wird.

Teil 2 dieses Erfahrungsberichts gibt es hier.

Mehr Infos zum Kloster Wat Doi Suthep in Chiang Mai, Thailand, findest du hier. Die Kurse sind zeitlich flexibel (zwischen 4 und 21 Tage), auf Englisch und kostenlos, um Spenden wird aber gebeten. Jeder bekommt ein Einzelzimmer, die Verpflegung ist vegetarisch. Mehr über die Vipassana-Meditation kannst du zum Beispiel hier erfahren. Namaste!

JULE ist Gründerin von im gegenteil und Head of Love. Sie schreibt (hauptsächlich zu therapeutischen Zwecken über ihr eigenes Leben), fotografiert Menschen (weil die alle so schön sind) und hat sogar mal ein Buch verfasst. Mit richtigen Seiten! Bei im gegenteil kümmert sie sich hauptsächlich um Kreatives, Redaktionelles und Steuererklärungen, also alles, was hinter dem Rechner stattfindet. In ihrer Freizeit schläft sie gerne, sortiert Dinge nach Farben und/oder trägt Zebraprint. Wer kann, der kann. Inzwischen ist sie - entgegen ihrer bisherigen Erwartungen - glücklich verheiratet.

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