Im Sommer, da verliebe ich mich jeden Tag. An einem solchen Tag sind die Straßen voller schöner Frauen. Sie kommen von überall. Hinter jeder Ecke wartet schon die Nächste. Den Gemüsehändler auf dem Hermannplatz beobachte ich, wie er den Mädchen hinterherläuft und ihnen Erdbeeren schmackhaft redet. Die meisten lächeln zurück, viele kaufen welche. Der macht das richtig, denke ich mir. Der macht das einfach.
Auf der Sonnenallee sind es auf einmal drei hintereinander. Sie kommen so schnell angesaust, dass ich nur noch die letzte richtig anschauen kann. Auf ihrem Rennrad brettert sie vorbei und die langen, blonden Haare flattern im Fahrtwind. Ich betrachte ihre schönen Waden, die auf und ab schnellen. Sie hat mich nicht einmal wahrgenommen. Und doch bin ein kleines bisschen verliebt.
Auf der Hobrechtbrücke sehe ich die süße Kellnerin aus dem „Raumfahrer“. Im hellen Kleidchen steht sie und wartet. Genau als ich an ihr vorbeilaufe, weht ein laues Lüftchen über den Kanal und zerzaust ihr dunkles Haar. Sie schaut, nur ganz kurz, aber immerhin. Ich bin etwas verliebt.
An der Ohlauer Straße sitzt ein junges Mädchen im Schneidersitz und raucht eine selbstgedrehte Zigarette. Sie demonstriert und ruft „Kein Mensch ist illegal“. Sie hat dicke Zöpfe aus verfilztem Haar. Eigentlich mag ich das nicht so sehr. Heute finde ich das zauberhaft. Zweimal schaut sie rüber. Einmal glaub ich, hast sie fast gelächelt. Und ich bin verliebt.
In der U-Bahn steckt eine schicke Frau dem Motz-Verkäufer ein paar Münzen zu. Durch die hochhackigen Sandaletten blitzen ihre rotgemalten Zehennnägel, die nackten Beine sind übergeschlagen und schmiegen sich aneinander. An der rechten Hand trägt sie einen silbernen Ring. Unsere Blicke treffen sich – sie lächelt zurück. Jannowitzbrücke steigt sie aus und zwinkert mir zu. Ich bin schwer verliebt, frage mich, ob sie wohl verheiratet war.
Am Reuterplatz schaue ich abends noch Fußball am Späti. Die kleine Latina mit den schönen Locken blickt die ganze Zeit zu mir rüber. Sie lächelt, ich lächele. Gerade, als ich sie ansprechen will, ist sie verschwunden. Ich bleibe hoffnungslos verliebt zurück.
Inzwischen habe ich mich so oft verliebt, dass ich schon gar nicht mehr weiß, wie oft eigentlich. In meinem Kopf dreht sich alles. Überall nur noch Haare, Blicke, Beine, Düfte, Kleider, Brüste.
Als ich wieder zu Sinnen komme, liegst du auf einmal neben mir. Draußen regnet es und der Wind pfeift durch die alten Fenster. Wann ich dich gestern noch angerufen habe, weiß ich gar nicht mehr.
Eigentlich sollten wir uns nicht mehr sehen. Erst recht nicht, seit du einen neuen Freund hast. Ich war verliebt, was sollte ich tun? Heute bin ich es auf jeden Fall nicht mehr. Ich ziehe mich an und schließe die Tür hinter.
Es ist nass. Niemand lächelt. Nicht einmal der Gemüseverkäufer. Auf dem Hermannplatz liegt Kotze und die zertretenen Erdbeeren zerlaufen im Regen zu klebrigen, rotbraunen Pfützen. Ich frage mich, warum mir sowas immer nur im Sommer passiert.
„Alter, dit kann doch nich sein, dass ick völlich fernjesteuert durch die Jegend renne, jede Alte scharf find und so notjeil werde, dass ick ausjerechnet mit dir im Bett lande“, fluche ich laut.
Ich frage mich, wie ich aus dieser Nummer wieder rauskommen will, während der feine Nieselregen auf meiner Nase langsam Tröpfchen formt. Zum Glück ist der Sommer ja nicht so lange hier, denke ich mir und wische mir die Nase ab. „Alter, stell dir ma vor, dit wär hier Rio oda so. Ick würd ja durchdrehen.“
Headerfoto: Soragrit Wongsa via Unsplash.com. („Gedankenspiel-Button“ hinzugefügt.) Danke dafür.
<3 wunderbar. Meine Liebe fängt jedes Jahr wieder mit Bärlauchserwachen an und radelt durch die Monate bis ich in den Landwehrkanal abkühlen muss. Habe ich dich schon kommentiert? Du schreibst unwiderstehlich schön.
gefällt!
Dann hört auf anzurufen
Danke Matthias!
Mehr davon <3
Ganz viel Liebe aus Hamburg!
„Was ich alles will“ überzeugte mich mehr.
Aber dieses Sommergefühl kennt jeder. Alle sind schön und glücklich – flirten ist so viel einfacher im Sommer.