Nur in der Stille, wenn die äußeren Ablenkungen fehlen, kommen Gefühle und Gedanken an die Oberfläche, die sonst im Verborgenen brodeln. Unsere Autorin weiß, wie kraftvoll und wichtig diese Momente der Reflexion für sie sind.
„Die Wahrheit liegt oft in der Stille. Ich schätze, man muss nur aufmerksam zuhören.“ (Zitat Lady Whistledown in der Serie „Bridgerton“)
Allein mit meinen Gedanken
Ist man mit sich und den eigenen Gedanken allein, kommen Dinge zu Tage, die man oftmals selbst nicht richtig auf dem Schirm hatte: tiefliegende Eindrücke, Emotionen und Gefühle, die unter der Oberfläche schlummerten und in der Stille mit einem Mal nach oben brodeln. Ein bisschen wie ein Topf mit Wasser, der auf kleiner Flamme erhitzt wird. Die ersten Minuten lang geschieht nichts und mit einem Mal fängt das Wasser zu kochen an, wirft Blasen und hat den Siedepunkt erreicht.
Siedepunkt. Das trifft es auch bei der Persönlichkeit bzw. dem Charakter – finde ich. Wir alle besitzen eine Form des Siedepunktes. Werden Trigger aktiviert oder auch bestimmte Erinnerungen wachgerufen, verändern sich unsere Verhaltensmuster rapide. Das kann etwas Unbewusstes sein, weit in der Erziehung zurückliegend, es kann aber genauso etwas Gelerntes sein. Etwas, das wir über Jahre hinweg eingeimpft bekommen haben, nie anders kannten oder durch andere Weise durch unser Umfeld wahrgenommen und verinnerlicht haben.
Ist man mit sich und den eigenen Gedanken allein, kommen Dinge zu Tage, die man oftmals selbst nicht richtig auf dem Schirm hatte.
In diesen stillen Momenten, in denen unser Gehirn mit nichts anderem beschäftigt ist als der bloßen Durchlässigkeit von Gedanken, der Verarbeitung von Eindrücken oder Gefühlen, schaffen es diese tiefer liegenden Ebenen an die Oberfläche zu gelangen und werden für uns spürbar. Bei mir gehen diese Momente mit einer Zurückgezogenheit oder einer „isolierten“ Phase einher, treten in den Abendstunden auf, wenn ich im Bett liege und versuche zur Ruhe zu kommen – den Tag abzuschütteln.
Wenn äußere Einflüsse fehlen
Äußere Einflüsse fehlen zur Gänze und jegliche Ablenkung, die sonst durch elektronische Geräte oder Personen erfahren wird, bleibt aus. Dadurch sind wir gezwungen, diesen Gedanken Raum zu geben und uns damit auseinanderzusetzen. Intensive Isolation oder langanhaltende Einsamkeit gehen bei mir mit einer verstärkten Wahrnehmung der eigenen Existenz im großen Ganzen sowie der Erkenntnis von zurückliegenden Fehlern, getroffenen Entscheidungen, aber auch glücklichen Fügungen einher.
Äußere Einflüsse fehlen zur Gänze und jegliche Ablenkung, die sonst durch elektronische Geräte oder Personen erfahren wird, bleibt aus.
Haben die Gedanken erst mein Bewusstsein erreicht, findet ein kleiner Kampf zwischen der Vernunft und der emotionalen Ebene statt. Ein Teil von mir weigert sich, diese zuzulassen, ein anderer ist sich bewusst über die ständige Existenz dieser Ebene und der Zu- oder sogar Notwendigkeit derselben. Denn nur dadurch erlange ich einen tieferen Einblick meiner eigenen Persönlichkeit und meiner Verhaltensmuster.
Ihnen liegen tiefsitzende Traumata oder sogar Verletzungen zugrunde. Und hier offenbaren sich unterbewusste Handlungen, die im Alltag als völlig selbstverständlich wahrgenommen und ausgeführt werden. Ohne weiter zu hinterfragen. Erst wenn Zeit vergangen, Dinge geschehen sind, fragen wir uns, warum wir dies oder jenes getan haben.
Die Vorteile der Isolation und Reflexion
Dieses bewusste Nachspüren, Nachsinnen und Reflektieren birgt für mich einen enormen Vorteil: Ich kann aus meinen eigenen Fehlern lernen. Mich in einer ähnlichen Situation daran erinnern und es dieses Mal besser machen. Versuchen herauszufinden, warum es mir in dieser oder jener Situation schwerfällt, eine Entscheidung zu treffen oder warum ich immer wieder Schwierigkeiten damit habe, unbefangen in manche Situationen zu gehen und mich stattdessen völlig verkopfe.
Dieses bewusste Nachspüren, Nachsinnen und Reflektieren birgt für mich einen enormen Vorteill: Ich kann aus meinen eigenen Fehlern lernen.
Ich finde Lösungen, probiere aus und dann passiert es plötzlich: Etwas ist geschehen und ich habe kein schlechtes Gewissen. Oder ich bin aus einer mir unangenehmen Situation selbstbewusst heraus gegangen und fühle mich gut und bin stolz, dass ich den Mut dazu aufgebracht habe.
Und an den Tagen, an denen mein Kopf einfach nicht stillzukriegen ist, die Gedanken mich völlig übermannen und ohnmächtig zurücklassen, da denke ich genau an diese Momente. In denen es mir gelungen ist, aus eigener Kraft etwas zu überwinden und das stolze Gefühl des Erfolges.
Julia, 31, fährt viel zu oft auf ihrem Gedankenkarussell. Um dem Chaos mit dieser ominösen Gefühlswelt Herrin zu werden, nutzt sie die therapeutische Wirkung des Schreibens und der Musik. Wenn sie nicht gerade mit Freund:innen bei einem Bier über dieses und jenes philosophiert und die Herausforderungen und Widersprüchlichkeiten des menschlichen Seins ergründet, stillt sie ihre Reiselust oder isst was Leckeres. Mehr von ihr gibt es bei Instagram.
Headerfoto: Alesia Kozik. (Kategorie-Button hinzugefügt.) Danke dafür!