Nach einer Krebsbehandlung und einer ungewollten Schwangerschaft: Mein Körper gehört endlich wieder mir

Die Brustkrebsbehandlung war für unsere Autorin nicht nur wegen der Chemo und OPs hart, sondern auch weil sie die Kontrolle über ihren Körper verlor. Der unerwartet positive Schwangerschaftstest warf sie dann komplett aus der Bahn: Erfreulicherweise funktionierte ihr Körper wieder, aber wollte und konnte sie wirklich Mutter werden?

Triggerwarnung: Krebsbehandlung, Schwangerschaftsabbruch

Es war ein Gefühl. Ein Gefühl, das bestimmt jede Frau kennt, die ein aktives Sexleben hat und auch immer mal wieder mit dem Gedanken spielt: „Hoffentlich geht das gut.“ Und als meine Tage nicht kommen wollten, hat mir das Gefühl gesagt: „Da stimmt etwas nicht!“

Alles im Griff, aber der Griff geht ins Leere

Die Pille habe ich abgesetzt, als mir im Sommer 2020 Brustkrebs diagnostiziert wurde. Hormonelle Verhütung jeglicher Art ist seitdem tabu – natürlich ohne ein Eingeständnis der Ärzt:innen, dass diese Art der Verhütung eventuell zu meinem hormonell bedingten Tumor beigetragen haben könnte.

Die Zeit mit Chemo und Bestrahlung war hart. Dazwischen: zwei Operationen, Ungewissheit, Angst, das Gefühl, fremdbestimmt zu sein. Das war das Schlimmste: Ich hatte keinen Einfluss. Und das, obwohl Kontrolle schon immer eine große Rolle in meinem Leben gespielt hat. Das Gefühl, dass ich alles im Griff habe, war wichtig für mich. Mit der Diagnose wurde dieser Griff schlagartig und mit einer großen Wucht gelockert und ich hing in der Luft.

Die Zeit mit Chemo und Bestrahlung war hart. Dazwischen: zwei Operationen, Ungewissheit, Angst, das Gefühl, fremdbestimmt zu sein.

Dazu die Aufforderung, mich möglichst schnell in einer Fertilisations-Klinik einzufinden, um mich beraten zu lassen, ob ich Eizellen einfrieren lassen möchte. Ich musste diese Entscheidung innerhalb einer Woche nach der Diagnose treffen und hätte noch vor der ersten Chemo eine hormonelle Behandlung und den Eingriff über mich ergehen lassen müssen. Ohne sicher zu wissen, ob ich überhaupt jemals Mutter werden möchte.

Letztendlich habe ich damals entschieden, dass ich meinem Körper das Vertrauen schenke, dass er sich, wenn es sein soll, von der Chemo so erholt, dass ich fruchtbar bin und bleibe.

Auf und ab im Krebs-Karussell 

 Meine Prognose war gut. Die Angst blieb dennoch lange mein enger Begleiter. Immer mal wieder eine Stimme, die sagt: „Vielleicht streut er doch noch.“ Das erste Mal, als ich das Gefühl hatte, wieder selbstbestimmt zu sein, war der Punkt, als ich gesagt habe: „Ich mache nach der fünften Chemo Schluss.“ Sechs hätten es sein sollen. Der Jahreswechsel stand an und ich wusste: Noch eine Chemo im neuen Jahr möchte ich nicht!

Dann der Schock nach der ersten OP: Die Ränder sind „nicht sauber“ und es muss eine Nachresektion stattfinden. Außerdem die Empfehlung, zwölf weitere Einheiten einer speziellen Chemo verabreicht zu bekommen, die zwar nicht ganz so aggressiv und schwer verträglich ist, jedoch auch klarmachte: Ich bin noch nicht durch damit.

Ich habe nach insgesamt 17 Monaten sagen dürfen: Die Behandlungen sind vorbei. Ich gelte als tumorfrei und ich lebe.

Ich habe nach insgesamt 17 Monaten sagen dürfen: Die Behandlungen sind vorbei. Ich gelte als tumorfrei und ich lebe.

Neuanfang in den Bergen

Diese Zeit hat mir, aber auch meinem Freund, der sich intensiv um mich gekümmert hat, einiges abverlangt und wir haben eine Entscheidung getroffen: Wir wollten umziehen. Von Berlin in den Süden Deutschlands. Ins Voralpenland. In die Berge. Denn: Die beste Prävention gegen Krebs ist glücklich sein. Das ist meine Übersetzung der Mediziner:innen, die ein gesundes Leben als beste Vorsorge predigen.

Denn was ist schon ein gesundes Leben? Ich musste ja bereits lernen, dass es dem Krebs scheinbar egal ist, dass ich regelmäßig Sport mache, mich weitestgehend gesund ernähre und nicht rauche. Aber glücklich, das bin ich in meinem neuen Zuhause. Und ich habe das Gefühl, es dem Krebs so besonders schwer zu machen, wieder anzuklopfen. Die Krebs-Tür ist zu und das soll sie auch bitte bleiben.

Die beste Prävention gegen Krebs ist glücklich sein. Ich habe das Gefühl, es dem Krebs so besonders schwer zu machen, wieder anzuklopfen.

Der Weg zurück in den Alltag war jedoch kein einfacher. Sowohl was den Job, aber auch was das Sozialleben, das Gefühl zu mir und meinem Körper und vor allem, was die Beziehung zu meinem Freund anging. Wir brauchten eine Weile, um uns wieder „zu finden“ und auch unser Sexleben hat eine Weile gebraucht, um sich von den Strapazen der letzten Monate zu erholen.

Wir verhüten seitdem mit Kondom. Ich konnte mir nach der ganzen Prozedur und den Eingriffen nicht vorstellen, die Kupferspirale, einen weiteren Fremdkörper, einsetzen und einen weiteren Eingriff über mich ergehen zu lassen – wo ich doch gerade langsam, aber sicher wieder das Gefühl hatte, nur mir zu gehören. Nach etwa einem halben Jahr begann mein Zyklus wieder regelmäßiger zu werden. Ich bemerkte sogar meinen Eisprung. Ein weiteres kleines Wunder auf dem Weg raus aus dem Krebsalltag. Mein Körper war noch da, er „funktionierte“ noch.

Ich bemerkte sogar meinen Eisprung. Ein weiteres kleines Wunder auf dem Weg raus aus dem Krebsalltag. Mein Körper war noch da, er „funktionierte“ noch.

Doch ich möchte nicht funktionieren, ich möchte mein Leben leben. Möglichst nicht fremdbestimmt. Ich möchte mich fragen: Welche Wünsche, Vorstellungen und Gedanken kommen nicht unbedingt aus mir selbst heraus, sondern aus lang gelebten und gelernten Strukturen? Aus familiären Kontexten? Aus Wünschen und Vorstellungen meines Umfelds, die wiederum meine Wünsche speisten und formten?

Was passiert denn, wenn dir deine Mutter sagt: „Ich werde ja schon gefragt, wann ich endlich Oma werde.“? Wenn die Frauenärztin fragt: „Sie wollen doch bestimmt Kinder?“? Wenn man selbst in einer großen, katholisch geprägten Familie aufwächst? Wenn Freundinnen schwanger werden und man sowohl die Freuden, aber eben auch die harte Realität sieht? Es gibt Wunschkinder, verzweifelt gewollte Kinder, Kitt-Kinder, Geschwister-Kinder, „Es gehört-einfach-dazu“-Kinder und es gibt „Das-war-nicht-geplant“-Kinder.

Der positive Schwangerschaftstest

Als ich vor nun mittlerweile mehr als drei Monaten schließlich das Ergebnis des Schwangerschaftstests in den Händen hielt, wusste ich nicht so richtig, wohin mit meinen Gedanken, die sich überschlagen haben. Und dass, egal für welchen Weg ich mich entscheide, mein Leben erneut eine Wendung nimmt, die ich nicht habe kommen sehen und bei der ich nur erneut hoffen kann, nicht aus der Kurve zu fliegen.

Zumal die Ansage meiner Onkologin klar war: Eine Schwangerschaft kann, vor allem in den ersten Jahren nach dem Krebs, vermehrt zu einem Rezidiv, einem Rückfall, führen, denn eine explosivere Hormon-Bombe als eine Schwangerschaft gibt es wohl kaum.

Eine Schwangerschaft kann vermehrt zu einem Rückfall führen, denn eine explosivere Hormon-Bombe als eine Schwangerschaft gibt es wohl kaum.

Und ich wünsche keiner Frau den Weg, auf den sie sich in Deutschland machen muss, wenn sie eine Schwangerschaft beenden möchte – auch wenn ich dankbar dafür bin, in einem Land zu wohnen, in dem Frauen diesen Weg überhaupt einschlagen können.

Doch die Kontrolle über den Körper zu behalten, der angeblich mir gehört, ist schwer. Der Weg gleicht einem Spießrutenlauf und er ist voll mit Blicken, Meinungen derer, die sich keine Meinung erlauben sollten, Terminen, die man einhalten muss, Kilometern, die man zurücklegt, weil es zu wenig Ärzt:innen gibt, die Eingriffe durchführen, Papierwust, Umschlägen, in denen man Geld übergibt, weil man „zu viel“ verdient und selbst zahlen muss und nicht zuletzt voll mit Gedanken, Schuldgefühlen und der Frage: Tue ich das Richtige? Selbst, wenn es sich richtig anfühlt.

Der Weg gleicht einem Spießrutenlauf und er ist voll mit Blicken, Meinungen, Terminen, Papierwust, mit Gedanken, Schuldgefühlen und der Frage: Tue ich das Richtige?

Ich hatte Glück. Die Frau von der Beratungsstelle sagte: Ohne die Mutter geht nichts! Und am Ende bringt es dem Kind nichts, wenn die Mutter physisch oder psychisch überfordert ist oder, im schlimmsten Falle, gar nicht mehr da ist. Sie war eine sehr sympathische Frau, die mir und meinem Freund zu keinem Zeitpunkt das Gefühl gegeben hat, dass wir Unmenschen sind. Was sie auch noch gesagt hat, ist, dass wir den Prozess nicht verdrängen, sondern, so schmerzhaft er auch sein mag, ihn durchschreiten und bewusst wahrnehmen sollen.

Es bleibt die Dankbarkeit

Als ich damals die Diagnose Brustkrebs bekam, war eine meiner größten Ängste, dass ich nicht mehr fruchtbar sein würde. Dass ich mich dadurch weniger als Frau fühle. Ich bin dem kleinen Zellhaufen sehr dankbar, dass er mir gezeigt hat, dass es doch geht. Dass mein Körper über den Krebs gesiegt hat.

Ich bin dem kleinen Zellhaufen sehr dankbar, dass er mir gezeigt hat, dass mein Körper über den Krebs gesiegt hat.

Und ich habe etwas verstanden: Das Leben ist nicht planbar und schlägt manchmal Wege ein, die wir nicht gehen wollen, die aber für uns bestimmt sind. Vielleicht sogar genau dann, wenn man sich zu sehr an Rollen klammert und auf gar keinen Fall möchte, dass man die Dinge aus der Hand geben muss. Ich glaube, am Ende sollen uns diese Wege helfen.

Wir haben, wenn wir an diese Punkte kommen, immer eine Wahl. Selbst, wenn es erst einmal nicht so scheint. Denn es ist eine Gabelung, die sich auftut. Keine Einbahnstraße. Meine Wahl ist die: Ich kann den Weg des Selbstmitleids, den Weg der Schuld und der Scham und des Verdrängens gehen. Oder: Ich wähle den Weg der Selbstbestimmung und des Glücks, denn dafür bin allein ich verantwortlich, mit meinen Gedanken und meinen Gefühlen und meinem Selbstbild.

Maria hat es letztes Jahr, nach 13 Jahren Berlin, ins schöne Voralpenland verschlagen, wo sie sich erfolgreich von ihrer Krebserkrankung erholt, das Leben (noch mehr) zu schätzen lernt und, als Kommunikationsmanagerin, von Zuhause aus für ein Berliner Unternehmen arbeitet. Mit dem besten Ausblick, den sie je hatte. Sie kommt selbst aus einer großen Familie, ist große Schwester zweier Brüder und jemand, die sich viele Gedanken macht. Sie schreibt gerne, um diese Gedanken zu sortieren.

Headerfoto: Maria Orlova. (Kategorie-Button hinzugefügt.) Danke dafür!

 

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