Die Diagnose „Borderline“ ist für unsere Autorin ein großer Schock: Sind das nicht beziehungsunfähige, manipulative Unmenschen? Inzwischen weiß sie: Nein! Ihre Krankheit bringt einige Herausforderungen mit sich, aber sie kann genauso lieben und geliebt werden wie jeder andere Mensch.
TW: Psychische Krankheit.
Die Monster-Diagnose
Ich wurde vor ziemlich genau einem Jahr mit Borderline diagnostiziert und mit dieser Diagnose brach meine Welt zusammen. Ich ging zum Arzt, weil Leben mehr wehtat, als ich es aushalten konnte, und verließ ihn mit der Diagnose “Monster”. Ich wusste schließlich ungefähr, was Borderline ist und damit wusste ich auch, dass es die Diagnose von Serienmördern und anderen Unmenschen ist, dich beziehungsunfähig macht, dich andere manipulieren lässt und alles davon deine Schuld ist.
Ich wusste, dass es die Diagnose von Serienmördern und anderen Unmenschen ist, dich beziehungsunfähig macht, dich andere manipulieren lässt und alles davon deine Schuld ist.
Aufgewühlt gab ich bei Google Schlagwörter wie “Borderliner sind Monster” ein und bekam leider sehr viele Artikel vorgeschlagen, welche meine Vorurteile nur schlimmer machten. Ich las einen Artikel, der sogar vorschlug, eine Borderline-Diagnose sollte reichen, um Menschen einzusperren. Mein Albtraum war in Erfüllung gegangen. Ich sehnte mich immer nach Frieden und machte viel Aktivismus, wo ich für Gleichberechtigung kämpfte, aber jetzt war ich ein schlechter Mensch, ein Monster sogar. Ich wusste, was ich als erstes tun musste: meine Freundin retten, wo ich es noch konnte. Also machte ich Schluss.
Leider ließ sie mich nicht Schluss machen, um sie zu beschützen, und meinte, wenn ich Schluss mache, muss ich es zumindest selbst wollen.
Was bedeutet Borderline wirklich?
Mit ein wenig Abstand und Beruhigung ging ich erneut ins Internet und versuchte, mich an neutralere Quellen zu wenden, und fand heraus, was die Diagnose bedeutet. Zumindest in der Theorie. Auf Papier erfüllt man mindestens fünf der folgenden Symptome, welche im DSM 5 (ein Manual zur Diagnose und Statistik von Krankheiten) enthalten sind:
“verzweifeltes Bemühen, tatsächliches oder vermutetes Verlassenwerden zu verhindern, emotionale Instabilität, intensive und instabile zwischenmenschliche Beziehungen mit Wechsel zwischen Idealisierung und Entwertung, Identitätsstörung, Suiziddrohungen, Selbstverletzungen, Schwierigkeiten Wut zu kontrollieren, Impulsivität in potentiell selbstschädigenden Bereichen, chronische Gefühle der Leere (Falkai und Wittchen et al. 2015; WHO 1992).”
In der Praxis ist es eine komplexe Krankheit verbunden mit viel Leid und vielen Stigmen, welche aber in keiner Weise den inhärenten Wert eines Menschen senkt, zu einem Monster macht oder selbst verschuldet ist.
Heute ist es mir wichtig, offen über meine Krankheit zu reden, da ich weiß, wie viele Betroffene stillschweigend leiden müssen und wie viel Angst die Gesellschaft vor uns hat beziehungsweise wie viele falsche Informationen es im Internet und in Köpfen vieler Menschen gibt.
Ich möchte weder als Täterin noch als Opfer gesehen werden, da ich keines der beiden bin.
Ich möchte weder als Täterin noch als Opfer gesehen werden, da ich keines der beiden bin. Mir sind schlimme Dinge in meinem Leben widerfahren und ich selbst habe Dinge getan, welche ich bereue, aber ich habe mein Leben selbst in der Hand und möchte meine Geschichte selber schreiben. Bin ich eine Täterin? Nein! Bin ich Opfer der Krankheit? Vielleicht. Trotzdem bin ich ein selbstbestimmter Mensch und denke, es ist nicht hilfreich, sich selbst nur als Opfer zu sehen, dem Dinge passieren, da ich persönlich hart an mir arbeite und immer versuche, Dinge zu verändern. Ich möchte der Krankheit nicht noch mehr Power geben, als sie schon hat.
Mein Ferrari und ich
Ein Synonym für Borderline ist die „emotional instabile Persönlichkeitsstörung“ und das ist bei mir viel passender. Meine Emotionen erreichen extreme Höhen und Tiefen und das in extrem kurzen Abständen. Meine ehemalige Therapeutin hat mir gesagt, ich soll mir vorstellen, ich fahre einen Ferrari, wenn alle anderen einen VW Golf fahren. Wenn alle anderen gemütlich durchs Leben fahren, fahre ich mit extremen Geschwindigkeiten. Ich erlebe das Positive wie Negative extrem und kann mein Auto nicht eintauschen. Aber auch einen Ferrari kann man lernen zu lenken. Und genau das tue ich gerade.
Meine Therapeutin hat mir gesagt, ich soll mir vorstellen, ich fahre einen Ferrari, wenn alle anderen einen VW Golf fahren.
Wie viele Menschen, die an einer Borderline-Persönlichkeitsstörung leiden, gehe ich regelmäßig in Therapie und nehme Psychopharmaka. Zum Zeitpunkt des Verfassens bin ich gerade 12 Wochen im Krankenhaus auf einer Psychotherapie-Station. Auch das kommt öfter bei Menschen mit Borderline vor. Viele Betroffene leiden an Traumata und haben Begleiterkrankungen wie eine Depression oder eine Angststörung. Auch ADHS und Autismus kommen statistisch häufig in Kombination mit Borderline vor. Viele Symptome überschneiden sich, was die Diagnose oftmals erschwert.
Borderline und Beziehungen
Ein Diagnosekriterium sind die instabilen Beziehungen. Mit Borderline in einer Beziehung zu sein, bringt manche spezielle Herausforderungen mit sich, aber bedeutet keinesfalls eine Beziehungsunfähigkeit. Viele Menschen haben Hemmungen, sich auf eine Beziehung mit uns einzulassen, aber wir können genauso lieben und geliebt werden wie jeder andere Mensch.
Mit Borderline in einer Beziehung zu sein, bringt manche spezielle Herausforderungen mit sich, aber bedeutet keinesfalls eine Beziehungsunfähigkeit.
Allerdings möchte ich auch ehrlich bleiben und in meiner Vergangenheit gab es diese instabilen Beziehungen auch bei mir. Ich habe intensiv gedatet und bin von Person zu Person gehüpft. Ich habe auch länger Menschen gedatet, mit denen ich nichts gemeinsam hatte, und wurde sehr anhänglich. Ich wollte so dringend geliebt werden, dass ich mich teilweise darin verbissen habe und im Endeffekt genau dadurch auf genau die Ablehnung gestoßen bin, vor der ich so panische Angst hatte.
Nach vielen harten Jahren des Datings und einer sehr unglücklichen Beziehung mit einem Mann, obwohl ich homosexuell bin und so meine Bedürfnisse nicht erfüllt wurden, traf ich meine jetzige Freundin und es war Liebe auf den ersten Blick. (Oder so. Wir schrieben vor diesem ersten Blick immerhin mehr als zwei Monate.) Ich erzählte ihr davon, krank zu sein, aber war zu dem Punkt nicht mit Borderline diagnostiziert und erzählte ihr auch, womit ich Schwierigkeiten habe.
Es war mir da schon bewusst, dass ich dazu tendiere, Menschen eher in schwarz-weiß zu sehen und ich hatte Angst, ich würde sie plötzlich anders sehen, wenn die rosarote Brille weg war, aber so kam es nicht. Ich wusste auch, dass ich Menschen, sofern ich ihnen nicht zu hundert Prozent vertraute, eben wenig Raum ließ, weil ich so Angst hatte, verlassen zu werden oder in Vergessenheit zu geraten. Sie zeigte mir aber von Anfang an, dass ich keinen Grund hätte, ihr zu misstrauen oder übers Wochenende vergessen zu werden.
Sie zeigte mir aber von Anfang an, dass ich keinen Grund hätte, ihr zu misstrauen oder übers Wochenende vergessen zu werden.
So gelang es mir, ihr Abstand zu geben und die Nähe noch mehr zu genießen, wenn wir uns sahen. Natürlich kann ich nicht für alle Menschen mit Borderline sprechen, aber für mich waren diese instabilen Beziehungen, beziehungsweise auch meine Schwierigkeiten und problematischen Eigenschaften, ganz tief in der Angst verwurzelt. Ich habe nie etwas böse gemeint oder absichtlich getan, sondern war mit der starken Angst erfüllt, nicht geliebt und verlassen zu werden.
Natürlich macht es die Begründung nicht besser für andere, aber wenn man versteht, woher etwas kommt, kann man es eher ändern und auch in einer Beziehung – sei diese romantisch oder freundschaftlich – Wege finden, diese Angst ein bisschen in den Griff zu bekommen.
Ich würde sagen, dass Kommunikation das A und O in einer Beziehung mit Borderline ist.
Ich würde daher sagen, dass Kommunikation das A und O in einer Beziehung mit Borderline ist. Mit meiner Freundin habe ich es so gelöst, dass ich ihr sage, wenn ich sie gerade sehr schwarz-weiß sehe oder wenn ich Angst habe, verlassen zu werden, und dann schauen wir, ob Nähe oder Abstand gerade sinnvoller ist. Ich würde wagen zu behaupten: Man braucht eventuell etwas mehr Geduld als für den Durchschnittsmenschen, aber so intensiv wie wir fühlen, lieben wir auch.
Livvy ist Katzenliebhaberin, begeisterte Saxophon-Spielerin, studiert Neurowissenschaften und macht gerne Sport. Außerdem hat sie Borderline – aber sie ist so viel mehr als eine Diagnose. Mehr von Livvy findet ihr auf Instagram.
Headerfoto: Sam Wermut (Kategorie-Button hinzugefügt.) Danke dafür!