Unsere Autorin kann ihre Gefühle und Bedürfnisse nicht gut wahrnehmen, geht oft über ihre Grenzen hinaus und bricht dann völlig zusammen. Und selbst dann noch ärgert sie sich, dass sie nicht genug Kraft hat, um zu funktionieren.
Ich möchte nicht schwach sein
Ich bin schlecht darin, meine eigenen Gefühle und Bedürfnisse wahrzunehmen. Ich erkenne selten, was mir mein Körper sagen möchte, und gehe oft über meine Grenzen. Weil ich mir nicht eingestehen möchte, dass ich Ruhe brauche, nicht absagen und nicht schwach sein will.
Nicht vor anderen und am wenigsten vor mir selbst zeigen kann, dass ich nicht alles schaffe. Dass ich Hilfe brauche, dass es irgendwann einfach mal gut oder sogar zu viel ist. Bis mein Körper mich zur Pause zwingt. Bis ich so müde bin, dass ich mich nicht bewegen kann, so leer, dass ich morgens nicht mal aufstehen kann und so fertig, dass ich vor jeder Verabredung und jeder Aufgabe anfange zu weinen.
Mein Körper kapituliert und zieht die Handbremse, wenn ich vorher wieder zu lange aufs Gas gedrückt habe und der Motor schon lange auf Reserve läuft. Dann kann ich nichts mehr, dann macht mein Körper nichts mehr. Hausarbeit schreiben? Konzentriert arbeiten? Freund:innen und Familie treffen? Keine Chance, keine Ressourcen übrig.
Mein Körper kapituliert und zieht die Handbremse, wenn ich vorher wieder zu lange aufs Gas gedrückt habe.
Das alles löst in mir dann ein Unwohlsein und ein nicht versiegendes Tränenmeer aus, dessen Quelle ich nicht kenne und das ich auch nicht stoppen kann. Manchmal bin ich mir nicht sicher, was ich schlimmer finde: nicht zu wissen, was der Ursprung der Tränen ist, oder sie nicht aufhalten zu können, so sehr ich mich auch anstrenge.
Ist am Ende des Tages auch egal, denn viel wichtiger ist es, mir einzugestehen, dass ich meine eigenen Grenzen trotz warnendem Bauchgefühl, ausbleibendem Schlaf und emotionaler Erschlagenheit wieder so weit überschritten habe, dass ich fertig bin. So fertig, dass ich an diesem Osterfest allein und bewegungslos in meiner Wohnung sitze und weine, während meine Familie feiert.
So fertig, dass nichts mehr geht
So fertig, dass ich es bei dem schönsten Sonnenschein nicht mal auf den Balkon, geschweige denn aus der Wohnung schaffe. So fertig, dass mich jedes Wort und jeder Gedanke wieder zum Weinen bringt. So fertig, dass mein Kopf hämmert und mich zwingt, mich ja nicht zu bewegen – nicht, dass ich das überhaupt vorhätte.
Mein Körper zeigt mir deutlich, dass ich es übertrieben habe, dass ich eine Pause brauche, dass ich mir zu viel zugemutet habe. Also bleibe ich zuhause. So weit, so gut, wäre da nicht der Umstand, dass ich nicht hierbleibe, weil ich mir eingestehe, eine Pause zu brauchen. Nein, ich tue es, weil ich nicht möchte, dass mich jemand weinen sieht.
Ich bleibe ich zuhause, weil ich nicht möchte, dass mich jemand weinen sieht.
Und gleichzeitig bin ich sauer auf mich und meinen Körper. Ich bin nicht nachsichtig mit mir und gestehe mir zu, dass ich Ruhe brauche. Stattdessen bin ich wütend. Darüber, dass ich meine Grenze nicht noch ein wenig weiter dehnen konnte. Dass ich jetzt zuhause bleiben und diesen Tag verpassen musste, obwohl ich tief in meinem Inneren weiß, dass ich nur auf meinem Sofa liegen will.
Ich bin böse auf mich und mein Bedürfnis nach Ruhe und statt mich auszuruhen, damit ich morgen wieder mehr Energie habe und dann vielleicht nicht alle Pläne auf Eis legen muss, geißle ich mich innerlich den ganzen Tag selbst. Meine innere Stimme ist nicht nett und verständnisvoll, sondern spricht mit mir wie der größte Drillmaster im Bootcamp, wenn man die letzte Liegestützte nicht schafft:
Meine innere Stimme ist nicht nett
Versagerin, Versagerin, Versagerin! Wie kann man nur so schwach sein? Was sollen denn alle von dir denken? Glaubst du andere brauchen so viel Pause wie du, heulen so viel wie du, sind so wenig belastbar wie du? Ganz sicher nicht.
Niemals würde ich so mit meinen Freund:innen oder meiner Familie reden, selbst mit wildfremden Menschen nicht. Weil man nie weiß, wer welches Päckchen zu tragen hat. Wer was durchmachen musste. Warum jemand so ist, wie er oder sie ist. Bei mir selbst weiß ich das. Ich weiß, dass mein Päckchen die Größe eines riesigen Wanderrucksacks hat, der mich schneller in die Knie gehen lässt als andere Menschen mit leichterem Gepäck.
Niemals würde ich so mit meinen Freund:innen oder meiner Familie reden, selbst mit wildfremden Menschen nicht.
Ich weiß, dass ich mit diesem Rucksack auf dem Rücken durch mehrere Schlammlöcher waten musste und der Morast immer noch an meinen Schuhen klebt. Aber statt den Rucksack zwischendurch mal abzustellen, meine Schuhe abzuklopfen und kurz innezuhalten, um mich darüber zu freuen, wie viel des Weges ich trotz der Widrigkeiten hinter mich gebracht habe, sehe ich nur die dreckigen Spuren, die ich hinterlasse.
Der Rat meines Therapeuten
Mein Therapeut hat mich letztens gefragt, wie ich mit Freund:innen umgehen würde, die in meiner Situation sind. „Sie in den Arm nehmen, da sein und ihnen sagen, dass Pausen völlig okay und wichtig sind, um den Akku aufzuladen“ war meine Antwort. „Und wieso nehmen Sie sich dann nicht mal selbst in den Arm und sagen sich, dass Pausen völlig okay und wichtig sind?“ Tja … Das muss ich wohl noch lernen.
Headerfoto: Yuris Alhumaydy (Kategorie-Button hinzugefügt.) Danke dafür!
Ich lese den Text und fühle es so sehr,dass es wehtut.
Ich werde traurig…und wütend.
Seit Monaten befinden wir uns in der Familie auf einem nie dagewesenem Stresslevel,haben kaum Zeit füreinander,also eigentlich gar nicht.
Mein innerer Monk kollidiert täglich und meine Seele schreit :„hau ab“.