Weiße Geschichte, Schwarze Zukunft – wie ich beim Freiwilligendienst in Tansania meinen Feminismus hinterfrage

Der Feminismus des globalen Nordens ist vor allem weiß und vergisst oft, alle Menschen auf der Welt mitzudenken. Ihre weiße Prägung wird unserer Autorin schmerzlich klar, als sie ein Freiwilligenjahr in Tansania verbringt, um dort einen anderen Feminismus zu (er-) leben.

Der Feminismus der westlichen Welt verspricht Toleranz, Offenheit und Gleichberechtigung. Im Feminismus des Westens steht die körperliche Entsexualisierung, Selbstbestimmung und die individuelle Vielfalt von Frauen (und Männern) im Mittelpunkt. Der Feminismus des Westens ist einer, der auf alle schaut und sich mit ökonomischen, sozialen und politischen Ungleichheiten auseinandersetzt. Ein Vorzeigefeminismus für globale Ungleichheiten, strukturelle Ungerechtigkeiten und antitraditionelle Reformen für alle Frauen. Mit einer Einschränkung.

Dieser sogenannte Feminismus ist ein Feminismus weißer Frauen. Ein Feminismus einer weißen Welt geprägt von rassistischem Erbe und kolonialen Werten. Ein Feminismus, mit dem sich so viele in Deutschland schmücken, das Gewicht des Kolonialismus ignorierend. Und, ich bin ein Teil dieser Welt, dieser feministischen Bewegung. Dieser weißen Bewegung. Dieses weißen Feminismus. Und doch bin ich Teil eines Freiwilligendienstes und lebe für ein Jahr in Tansania, um … ja, um was?

Das Paradoxon meines Seins

Alles Weiße – weiße Normen und Werte – gilt als Maßstab für alle nicht weißen Menschen. Unabhängig von jeder moralischen Einschätzung misst sich die Welt an einem weißen Maßstab; ein Maßstab, der damit alle weiteren Lebensformen bewertet und degradiert. Und das Weißsein prägt auch mich, in all meinen Ansätzen und Ideen für diese Welt.

Das Weißsein ist dabei keine Entscheidung, kein bewusstes Ja oder Nein. Wir wachsen weiß auf und internalisieren dabei eine Farbe mehr als das kritische Hinterfragen. Wir nehmen diese Pigmente auf, so wie wir Luft atmen und so ist es nicht nur unsere Haut, sondern unsere Leben, die weiß sind.

Wir wachsen weiß auf und internalisieren dabei eine Farbe mehr als das kritische Hinterfragen.

Und so lebe ich nun in Tansania als Vertreterin dieses Feminismus und es kommt zu einem Paradoxon dieses Freiwilligendienstes, denn im tiefsten Sinne des fest verankerten Kolonialismus schreibt nun eine weiße Frau über ihre Zeit in ihrer Einsatzstelle, dem Genderdepartment der Nordzentraldiözese. Und ich nehme Raum ein, der den Raum aller Frauen, die hier in der Stadt Arusha leben, einschränkt.

Und so würde ich am liebsten schreien. Schreien, über die Ungerechtigkeiten dieser Welt. Schreien, über einen Weltschmerz, der nicht endet. Schreien, über meine so koloniale Rolle im Feminismus der Welt. Doch ich schreie nicht. Ich schreibe. Ich schreibe, weil ich eine Stimme habe und weil einer weißen Person Gehör geschenkt wird. Und ich maße mir an, als weiße Frau in diese Welt zu kommen, um lernen zu können, ohne dabei aber die Fähigkeit zu haben, meine eignen weißen Werte zurückzuhalten.

Ich würde am liebsten schreien. Schreien, über meine so koloniale Rolle im Feminismus der Welt.

Ich maße mir an, über meine Zeit hier zu schreiben, um vermitteln zu können, wie weiß wir denken, ohne dabei aber mein eignes Weißsein in den Hintergrund stellen zu können. Und so kann ich aus der Perspektive einer weißen Frau in Tansania von einem Genderdepartment erzählen, welches sich als Ziel setzt, nicht über Feminismus zu schreiben, sondern Feminismus zu leben.

Eine Woche in Tansania

Das Genderdepartment ist ein kleines Department mit großen Zielen. Gender und Feminismus sind dabei keine Theorie, sondern ein alltägliches Ziel der Mitarbeitenden, die Projekte vielfältig:

Es ist Montag. Wir fahren in ein Frauenprojekt, in welchem Binden genäht werden, die wiederverwertbar sind und lange halten. Diese werden für Projekte über Menstruationsaufklärung an Schulen für Schüler:innen unterschiedlichen Alters genutzt. Das Projekt klärt über den Zyklus auf, gleichzeitig geht es aber um viele weitere Ziele wie etwa die Gender Equality aber auch die Gesundheit und Bildung der Kids.

Es ist Dienstag. Heute fahren wir nach Moshi, zu einem Projekt zum Thema Prostitution. Ein amerikanisches Ehepaar hat dieses Projekt ins Leben gerufen, in welchem sie zur Prostitution gezwungenen Frauen Perspektiven geben. Häufig aus ökonomischer Verzweiflung heraus prostituieren sich diese Frauen, und finden in dem Projekt die Möglichkeit, ökonomisch unabhängig zu werden. Ausbildungen zur Näherin, Weberin und einige weitere Angebote ermöglichen den Frauen Chancen auf ein Leben neben der Prostitution.

Und mitten in einer Steppe finden wir sie, nehmen sie mit. Wir bringen sie ins Krankenhaus, zur Polizei. Und zur Schule.

Es ist Mittwoch. Keine Zeit. Wir müssen los, schnell, ins Massailand, etwa zwei Stunden außerhalb der Großstadt Arusha. Die Schulen haben geöffnet, und das 12-jährige Mädchen Nadupa fehlt. Das Gesetz sagt: Schulpflicht. Der Grund ihrer Abwesenheit: Kinderehe. Wir müssen schnell sein, holen Polizist:innen in einem kleinen Ort nahe unseres Zieles ab, die uns begleiten werden. Und mitten in einer Steppe finden wir sie, nehmen sie mit. Wir bringen sie ins Krankenhaus, zur Polizei. Und zur Schule.

Es ist Donnerstag. Wir fahren heute in eine Gemeinde für ein Seminar über geschlechtsspezifische Gewalt. Das Team appelliert an die Gemeindemitglieder, das Schweigen zu brechen und sich aktiv gegen Gewalt einzusetzen. Die Seminare sind Teil eines einjährigen Projektes zur Aufklärung über Gewalt.

Es ist Freitag. Heute haben wir eine Besprechung über eine anstehende Frauenkonferenz der gesamten Nordzentraldiözese. Frauen des Nordens kommen hier für mehrere Tage zusammen, um über Frauen- und Kinderrechte zu diskutieren und an Workshops teilzunehmen. Frauen, die eine Stimme verdient hätten. Denn sie bringen Veränderung.

Dieser Feminismus ist mir fremd

Und ich verstehe diese Veränderungen oft nicht. Die Wege, die zur Veränderung führen, sind mir fremd. Es sind Wege, die ich nicht kenne von meinem Feminismus. Und ich merke, wie ich werte. Wie ich werte über die Frauen und ihren Feminismus, den ich eigentlich gar nicht verstehe, verstehen kann, verstehen werde. Und so … bin ich eine weiße Frau in einem Schwarzen Land, welches eine weiße Geschichte und eine Schwarze Zukunft hat. Und ich färbe diese Zukunft weiß. Postkolonialismus.

Ich heiße Kia.
Ich bin eine weiße Frau.
Ich lebe als freiwillige Person für ein Jahr im Norden Tansanias.
Ich bin Aktivistin.
Ich bin Feministin eines weißen Feminismus.
Und ich schreibe über den Feminismus von Menschen, die Feminismus wahrhaft leben.

Headerfoto: Daniel Torobekov (Kategorie-Button hinzugefügt.) Danke dafür!

1 Comment

  • Hey, ich habe leider einiges im Artikel nicht verstanden:
    1. Wieso verstehst du diesen Feminismus nicht? Die Aktivitäten erscheinen mir recht plausibel. Konntest du dort etwas dazulernen?
    2. Inwiefern ist der Feminismus dort und hier durch die Kultur/Hautfarbe geprägt? Ich konnte im Artikel keine Zusammenhänge lesen und auch nicht, was du jetzt an deinem Feminismus genau hinterfragst.

    Viele Grüße
    Konstantin

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