Es ist Freitag, der 12.08.2022. Mein Mann fährt wie gewohnt zu Arbeit. Ich wache auf, es geht mir gut. Sehr gut sogar. Als mein Mann mich anruft und mir mit einem sorgenvollen Ton davon berichtet, dass er länger arbeiten muss als geplant, entgegne ich lediglich mit großer Überzeugung: Kein Problem, es wird heute sowieso nicht losgehen. Ich fühle mich nicht anders als die letzten Tage. Eher sehr müde. Sollte ich recht behalten?
Ich fühle mich nicht anders als die letzten Tage. Eher sehr müde.
Der Tag nimmt zunächst seinen typischen Verlauf. Aufstehen, Kaffee trinken, anziehen und den ersten Spaziergang. Wenn die Hitzeskala für Hochschwangere noch gerade so nicht die „Ich-schwitze-den-ganzen-Tag-und-versuche-nur-ihn-zu-überstehen“-Grenze überschritten hat. Doch der Verlauf erweist sich dann doch als nicht ganz so typisch. Gegen Mittag fühle ich mich etwas schlapp. Diese Müdigkeit überfällt mich dann doch mehr als gedacht und ich lege mich für einen Mittagsschlaf hin. Nur fühle ich mich danach nicht wie geplant erholt, eher das Gegenteil.
Die ersten Wehen
Moment, war das eine Wehe? Wie fühlt sich eine Wehe überhaupt an? Regelmäßig habe ich gerade das Gefühl von miesen Unterleibsschmerzen. Ich kann es noch nicht so ganz einordnen. Die vermeintlichen Wehen kommen aber nun schon in regelmäßigen Abständen. Muss man bei Regelmäßigkeit nicht ins Krankenhaus? Keine Ahnung. Steht zumindest im Internet so. Die Leute sagen, bei der ersten Geburt dauert das alles. Gegen frühen Nachmittag kommt mein Mann – unerwarteterweise doch eher als gedacht – zur Terrassentür herein und ich schaue ihn an und sage: „Ich glaube, ich habe Wehen!“
Ich schaue meinen Mann an und sage: „Ich glaube, ich habe Wehen!“
Nichtsdestotrotz bin ich noch entspannt. Wir beobachten mich und meine Wehen. Sie sind nicht stark, aber immer da. Mit „immer“ meine ich: in regelmäßigen Abständen. Irgendwie verunsichert mich das dann doch. Eine noch nie da gewesene Situation richtig einzuschätzen. Nicht zu wissen, auf welche Anzeichen ich warten muss – oder eben nicht. Keine Ahnung davon zu haben, was in den nächsten Stunden oder Tagen Aufregendes passieren wird. Bekomme ich bald mein Baby? Aber bis zum errechneten Termin sind es doch noch sechs Tage! Ich bin immer fest davon ausgegangen, dass sich mein Baby noch Zeit lassen wird.
Es geht los!
Wir verbringen den weiteren Nachmittag und Abend zu Hause, aber während die Zeit verstreicht, bleiben die Wehen. Ich habe mir immer fest vorgenommen, so lange wie es mir möglich ist, zu Hause zu bleiben. Hier fühle ich mich geborgen, sicher und wohl. Den ganzen Samstag verbringen wir zu Hause und die Wehen verschwinden nicht, sie werden stärker. Zum Teil hocke ich kniend vor dem Sofa und muss die ein oder andere Wehe veratmen. Mache ich das richtig? Keine Ahnung, aber es fühlt sich gut an.
Ich muss die ein oder andere Wehe veratmen. Mache ich das richtig? Keine Ahnung, aber es fühlt sich gut an.
Kleine Spaziergänge durch den Garten werden durch Stehpausen abgelöst, um die nächsten Wehen zu veratmen. So streicht die Zeit vorbei. Um 22 Uhr legen wir uns ins Bett. Einmal hingelegt und Augen geschlossen, kneife ich auf einmal angestrengt meine Augen zu, halte mich an der Bettkopfstütze fest, um der auf einmal anrollenden, heftigen Wehe entgegenzusteuern. Wow, das war eine richtige Wehe. Mein Körper am Beben. Während mein Mann den Kreißsaal anruft, um auf unsere Ankunft vorzubereiten, hocke ich im Wohnzimmer, kaum fähig mich auf zwei Beinen zu halten. Diese Wehen überrollen meinen Körper. So etwas habe ich noch nie gespürt.
Auf in den Kreißsaal
Wir haben wir eine Fahrtzeit von fünf Minuten. Die nächste Wehe kommt und ich halte mich an der Beifahrertür fest, um den Schmerz in irgendeine Art von Kraft umzuleiten. Ich denke an mein Mantra: „Der Schmerz ist vergänglich. Jede Wehe bringt mich näher zu meinem Baby“. Die Hebamme, die uns durch unsere gesamte Geburt begleiten konnte, tastet meinen Muttermund: vier Zentimeter! Startsignal für den Kreißsaal. In der Wehenpause bringe ich irgendwie hervor, dass ich gerne einen Pool hätte. Nachdem ich die Frage meiner Hebamme, ob ich mir vorstellen könne, mein Baby im Pool zu gebären, noch bejahen kann, überrollt mich schon die nächste Wehe.
Nachdem ich die Frage meiner Hebamme, ob ich mir vorstellen könne, mein Baby im Pool zu gebären, noch bejahen kann, überrollt mich schon die nächste Wehe.
Die Hebamme begleitet uns in den schönsten Kreißsaal, den es gibt. Zugegebenermaßen habe ich keinen Vergleich, aber ich empfinde ihn als den schönsten Kreißsaal. Eine große Salzkristalllampe taucht den Saal in einen wunderschönen roten Ton. Einen Ton, bei dem ich mich wohl fühle, der mir Wärme gibt. Oder liegt das an dieser heißen Sommernacht mit 30 Grad Außentemperatur? Es ist mir egal. Die nächste Wehe kommt.
Im Wasser
Ich versuche irgendwie, meinen Körper kurz unter Kontrolle zu halten, um trotzdem unsicher in den Pool zu steigen. Dieses Wasser. Diese Wärme. Mein Körper scheint es zu genießen. Für einen kurzen, sehr kurzen, aber wertvollen Moment fühlt es sich schön an. Dieses warme Wasser hat einen natürlichen, schmerzlindernden Effekt auf meinen Körper. Ich kann für ein paar Sekunden entspannen. Wieder ein paar Sekunden später kommt der zuvor erlebte körperliche Schmerz wieder. Wie lange geht das noch so? Kaum Zeit um mich von der erlebten Wehe zu erholen, da überrollt mich schon die nächste. Und die nächste. Und die nächste.
Du schaffst das. Du machst das so super. Bald ist es soweit.
Ich erahne meine Hebamme am Rand des Pools, ganz entspannt spricht sie zu mir. Ich mache das super. Ich schaffe das. Es sei ganz bald soweit. Ich versuche, bei mir zu bleiben. Ich vertraue mir und meinem Baby. Mein Mann hockt hinter mir und ist klitschnass, obwohl er nicht in Pool ist. Meine einzige Konstante, an der ich mich mit letzten Kräften festhalten kann. Klammern kann. Den Schmerz rauslassen kann. Wehe für Wehe hält er meinen Kopf tapfer über Wasser. Verschwommen höre ich seine vertraute und liebende Stimme immer wieder sagen: „Du schaffst das. Du machst das so super. Bald ist es soweit. Du schaffst das. Du machst das so super. Bald ist es soweit.“ Ich fühle nichts außer Schmerz. Es fühlt sich an, als würde mein Körper brechen.
Mein Baby ist da!
Ich denke an mein Baby. Sie ist auf dem Weg zu mir. Sie macht das ganz toll. Sie findet den Weg und schafft das. Sie ist tapfer, genau wie ich. Ja, ich bin tapfer. Ich mache das super. Es wird alles gut gehen. Ich habe kaum klare Gedanken, es ist alles verschwommen, aber an mein Baby denke ich ganz klar. Wir sind fast soweit. Ich presse die Lippen aufeinander, um bestmöglich mitschieben zu können! Es ist angenehmer, mitzuarbeiten. Während der Presswehe ziehe ich mich an dem roten Tuch hoch, das vor mir von der Decke in den Pool baumelt. Das tut gut, ich ziehe mich mit dem Druck nach oben. Jetzt noch ein oder zwei Wehen und sie ist da. Ich gebe alles, was ich noch an Kraft habe. Es ist verrückt, was der Körper aushalten kann.
Ich gebe alles, was ich noch an Kraft habe. Es ist verrückt, was der Körper aushalten kann.
Meine Devise aus dem Sport, an die ich mich bei jeder Einheit erinnert habe, ist, dass wenn du denkst, du kannst nicht mehr, das noch lange nicht die letzte Kraft ist. Das sind nur deine Gedanken, die dir ein Limit setzen. Also, ich kann noch. Meine Motivation ist auf dem Höhepunkt, weil ich weiß, dass es jetzt gleich vorbei ist. Weil es genau so läuft, wie ich mir das 40 Wochen lange gewünscht habe: Selbstbestimmt. Ich gebe noch einmal alles, und sie ist draußen. Die Hebamme hebt mein Baby aus dem Wasser – sie schreit kurz – und kurz darauf guckt sie sich um. Sie ist wach, sie ist da. Ich kann es nicht fassen.
Endlich bist du da! Wir haben es geschafft! Du und ich. Und Papa.
Meine Tochter ist am 14. August um 01:26 Uhr von mir geboren worden. Ich bekomme mein Baby in den Arm gelegt. Noch immer im Wasser. Ich kann nicht glauben, was da gerade oder in den letzten Stunden (ich habe absolut kein Zeitgefühl) passiert ist. Ich flüstere meinem Baby zu, von Glück und Liebe überströmt: „Endlich bist du da! Wir haben es geschafft! Du und ich. Und Papa.“ Und ich habe sie nie mehr losgelassen. Bis heute nicht. Und werde es nie.
Heimat meines Herzens heißt eigentlich Lissen. Sie und ihr Mann haben im August 2022 eine Tochter bekommen und sind seitdem zu dritt unterwegs. Die Familie hat sich einen VW Bus ausgebaut und fährt damit oft an das Meer, um ihrer gemeinsamen Leidenschaft, dem Kitesurfen, nachzukommen. Wenn sie nicht im Bus unterwegs sind, haben sie ihre Base in der schönsten Stadt: Oldenburg. Mehr von Lissen und ihrer Familie findest du auf Instagram.
Headerfoto: Olivia Anne Snyder (Kategorie-Button hinzugefügt.) Danke dafür!