Das Internet ist seit Freitag in Aufruhr wegen einer angeblichen Äußerung von Christian Lindner zum Thema “Care-Arbeit” innerhalb seiner frisch geknüpften Ehe. Am Ende stellt sich heraus, er wurde womöglich falsch zitiert. Warum aber auch seine korrigierten Äußerungen trotzdem problematisch sind.
Christian Lindner, seines Zeichens Bundesfinanzminister, ist seit letztem Sommer verheiratet. Wie schön für ihn. Darf man den Medien vertrauen, war es ein rauschendes Fest mit vermutlich sehr viel Champagner, hochdekorierten Gästen aus Politik und Gesellschaft und mit einer – so sagt man zumindest – immerhin nur teilweise durch Staatskosten getragenen Security. Klar, wegen der Punks mit 9-Euro-Ticket war Vorsicht geboten.
Nach einer Hochzeit kommen nicht nur unter Sternenhimmel bei Kerzenlicht hingehauchte Zukunftspläne, sondern auch Arbeit auf einen zu.
Doch nach der Party ist meistens Aufräumen angesagt. Konkreter, nach einer Hochzeit kommen nicht nur rosarote Brille und unter Sternenhimmel bei Kerzenlicht hingehauchte Zukunftspläne, sondern auch Arbeit auf einen zu. Wenn man vorhat, eine Familie zu gründen, unter anderem eben auch Care-Arbeit.
Ein verhängnisvolles Zitat
Unter anderem ging es auch in einem aktuellen Portrait von Christian Lindner in der ZEIT um das Thema Care-Arbeit. Bezeichnenderweise im letzten Abschnitt von einem dreiseitigen Online Artikel, dessen Sinn – wie ich gestehen muss – mir bei der Lektüre nicht einleuchten wollte. Worum genau gings da eigentlich?
Irgendwann ist er dran mit der Care-Arbeit. Er habe da schon seine Vorstellungen: Bücher schreiben, vielleicht promovieren, jagen, fischen, imkern.
Zurück zum Thema: Für ein indirektes Zitat aus besagtem Absatz über Care-Arbeit wurde Christian Lindner auch im Internet und auf Social Media scharf kritisiert: “Lindner hat eine Vereinbarung mit seiner Frau, der Journalistin Franca Lehfeldt, die beiden haben im Sommer geheiratet. Irgendwann ist er dran mit der Care-Arbeit, wenn die Kinder da sind. Er habe da schon seine Vorstellungen: Bücher schreiben, vielleicht promovieren, jagen, fischen, imkern.”(ZEIT.online)
Kinder zu erziehen ist ein harter Job. Mitunter der härteste, den man haben kann.
Dass das jetzt besonders bei dem Löwenanteil der Care-Arbeitenden – nämlich Frauen – auf Social Media nicht gut ankam, dürfte nicht weiter verwunderlich sein. Weltfremd wurde er genannt und es wurde gefragt, ob er denn meine, bei Kindererziehung noch so viel Zeit für seine doch recht extravaganten Hobbies zu haben. Jeder klar denkende Mensch kennt die Antwort darauf: natürlich nicht. Kinder zu erziehen ist ein harter Job. Mitunter der härteste, den man haben kann.
Wer rudert – muss manchmal auch zurückrudern
Auch aus den eigenen Partei-Reihen hagelt es Kritik. Kurz darauf äußert sich aber CL selbst zu den mit dem Portrait aufkommenden Vorwürfen auf Twitter. Er sei falsch zitiert worden, das sei ohnehin kein direktes Zitat und natürlich sei Care-Arbeit nicht mit Freizeit gleichzusetzen. Na immerhin, ein kleiner Funken der Hoffnung, dass Lindner doch nicht so weltfremd ist wie andere Zitate durchaus vermuten lassen.
Ich finde auch das Zurückrudern Lindners aus zweierlei Gründen problematisch.
Doch trotzdem finde ich auch das Zurückrudern Lindners aus zweierlei Gründen problematisch. Der erste Grund ist wohl eher subjektiv. Denn ich für meinen Teil hätte tatsächlich in keinem Moment daran gezweifelt, dass Christian Lindner diese Äußerung genauso getätigt hat. Ist ja auch klar. Für ihn könnte die Zeit der Kindererziehung ja auch genauso aussehen: Er geht fischen, jagen, imkern und promovieren – und die Care-Arbeit wird einfach einem Au-Pair-Mädchen übergeben oder halt einer anderen Mutter, die dafür vielleicht ein bisschen Geld bekommt, um damit ihre eigene Familie über Wasser zu halten.
Die Care-Arbeit wird einfach einem Au-Pair-Mädchen übergeben oder halt einer anderen Mutter, die dafür vielleicht ein bisschen Geld bekommt.
Wenn ich mich daran erinnere, dass Lindner eine Verlängerung des 9-Euro-Tickets mit dem markigen Vorwurf einer “Gratismentalität”, die diesem Wunsch zugrunde läge, abgeschmettert hat, dann wäre es für mich persönlich absolut glaubwürdig, dass er jetzt einfach eine weitere unverschämte Äußerung raushaut. Wer einen Preis von 9 Euro monatlich für ein ÖPNV-Ticket mit “gratis”, also: kostenlos, in einen Topf wirft – dem ist meines Erachtens mit Finanzen nicht zu trauen. Aber das ist nur meine Meinung.
Wenn Care-Arbeit keine Freizeit ist – was denn dann?
Der zweite Grund wurde bereits von Alexandra Zykunov – Autorin und Journalistin – auf Social Media ausgeführt (Story nicht mehr online). Ich fasse das aber dennoch gerne einmal in eigenen Worten zusammen. Christian Lindner wirkt der Kritik an seiner vermeintlichen Aussage mit dem Statement entgegen, dass Care-Arbeit natürlich nicht gleichzusetzen sei mit Freizeitgestaltung. Fair enough.
Aber wenn Care-Arbeit keine Freizeit ist: Warum wird sie dann immer noch nicht bezahlt?
Aber wenn Care-Arbeit keine Freizeit ist und führende Politiker:innen dieses Landes diese bahnbrechende Erkenntnis auch via Twitter ins Internet ballern: Warum wird Care-Arbeit wie beispielsweise Kindererziehung, Angehörigenpflege und Co. dann immer noch nicht bezahlt? Warum bekommen Menschen, die ihre Erwerbstätigkeit aufgeben, um sich notwendigerweise um ihre Familie zu kümmern, kein Geld für die Arbeit, die sie leisten? Warum landen so viele Frauen, die Care-Arbeit leisten, immer noch und immer wieder in der Altersarmut?
Keine Freizeit ist eben dann trotzdem noch keine Erwerbsarbeit
Wenn sogar bei Christian Lindner das Bewusstsein für so eine geistesgegenwärtige Äußerung wie “Care-Arbeit ist keine Freizeit” vorhanden ist, dann wäre es doch an der Zeit, Care-Arbeit als Arbeit auch adäquat zu bezahlen. Und das bedeutet eben auch, eine Rente zu zahlen.
Solange Care-Arbeit eben nur als „Nicht-Freizeit“ bewertet wird, dürfen wir von der Politik nichts erwarten.
Aber solange Care-Arbeit eben nur als “Nicht-Freizeit” bewertet wird und nicht etwa als gleichwertig mit “Erwerbs”-Arbeit, dürfen wir von der Politik halt nichts erwarten. Care-Arbeit ist halt erst dann Erwerbsarbeit, wenn man sich nicht um die eigene Familie kümmert. Des das macht man ja aus Liebe. Und wem das nicht reicht, der soll es eben gar nicht machen.
Wundert mich auch nicht, wenn ich ehrlich bin. Es kommt dabei am Ende ja auch kein Porsche heraus, sondern eben nur ein Mensch. Und Menschen, das haben wir auch während der Corona-Pandemie gemerkt, sind dann eben doch nicht so wichtig wie die Wirtschaft. Schade.
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