Es ist okay, wenn du gehst – vom Sterben und Loslassen

Triggerwarnung: Tod, Trauer

Manchmal ist der Schmerz so unerträglich, dass ich mich an der Wand deines Zimmers abstützen muss. Mein Geist trägt mich dann nicht mehr. Oft sitze ich einfach nur an deinem Bett und starre in deine leeren Augen, die mich nicht mal angucken. Ist vielleicht auch besser, sonst müsste ich womöglich aufschreien vor Schmerz.

Ich halte deine kraftlose, müde Hand und weine leise.

Ich halte deine Hand, deine kraftlose, müde Hand und weine leise. Ich versuche, keinen Ton von mir zu geben, ich will dich nicht aufwecken. Ich will nicht, dass du meine Trauer siehst, aber spüren tust du sie gewiss. Denn sie ist tosend laut.

Besuche bei dir

Wenn ich zu dir fahre, fühle ich mich leichter, als wenn ich nur an dich denken würde. Im Moment, da muss ich zu dir fahren, es zieht mich immer wieder zu dir.
Natürlich war das nicht immer so, es gab Jahre, da war es nur das Pflichtgefühl, das mich dich besuchen ließ. Dieser Marathon zieht sich seit so vielen Jahren, ich habe den Überblick verloren. In diesen Jahren ging es auf und ab, aber die Erlösung lässt auf sich warten.

Wir wollen nicht, dass du dich unseretwegen schlecht fühlst, verantwortlich für unsere Trauer.

Das ist das Furchtbare. Dass du und wir aushalten, ertragen müssen. Wir versuchen, alle still zu leiden, sei dir gewiss, wir wollen dir keinen Kummer bereiten. Wir wollen nicht, dass du dich unseretwegen schlecht fühlst, verantwortlich für unsere Trauer.

Du und ich 

Wir wünschen uns für dich das, was du dir schon lange wünschst. Es ist okay, wenn du gehst, es ist in Ordnung. Wir haben den Gedanken in uns aufgenommen, wir tragen ihn immer bei uns.

Du warst meine erste Verbündete, meine Vertrauensperson über so viele Jahre hinweg. Irgendwann bin ich dann erwachsen geworden und du rücktest in den Hintergrund. Ich habe mich selten blicken lassen, ich habe wenig Anteil an deinem Leben genommen. Das ist so. Ich war so sehr mit mir selbst beschäftigt, da war kein Raum für dich.

In meinem Herzen hattest du immer einen Platz, das wird immer so sein.

Dann kamen Zeiten, da war ich regelmäßiger da, in meinem Herzen hattest du natürlich immer einen Platz, das wird immer so sein. Ich habe versucht, dich an meinem Leben teilhaben zu lassen, habe erzählt, was es Neues gibt. Viel konnte ich nie für dich tun. Aber wenn ich könnte, würde ich jetzt alles für dich tun. Ich würde dir deinen Wunsch erfüllen, den einzigen, den du noch hast.

Wechselnde Emotionen

Wut, Trauer, Verzweiflung und Hoffnung wechseln sich ab. Manchmal bin ich wütend, dass ein Mensch in deiner Lage nicht selber entscheiden kann. Die Trauer übermannt mich regelmäßig, Tränen sind nur noch wenig überraschend. Mein Körper braucht ein Ventil.

Verzweiflung ist mit am unerträglichsten, sie macht mich kaputt.

Verzweiflung ist mit am unerträglichsten, sie macht mich kaputt, sie bringt mich an den Rand des Wahnsinns. In diesen Momenten möchte ich alles zerschlagen, alles zerstören, was mir begegnet. Ich möchte nur noch schreien, ich will meine Gefühle begraben, damit Ruhe herrscht. Stille, einfach nur Stille. Lieber eine betäubte Seele als eine fühlende.
Und schlussendlich die Hoffnung, die Hoffnung auf das Ende, nicht die Fortsetzung. Hätte ich jemals gedacht, dass ich das Ende herbeisehne? Für dich.

Die Situation zerreißt mich

Ich merke, dass mir die Worte fehlen um zu beschreiben, wie sehr mich die Situation zerreißt, wie sehr es mir mein Innerstes zerfleischt, dich da so liegen zu sehen. Unbeweglich, unmündig, unwürdig.
Und dann kommt der Hass. Jeder weiß, Hass zerstört. Hass bringt nichts Gutes, jemals. Aber ich kann nicht anders, ich empfinde so viel Hass. Nach dem Hass kommt die Hilflosigkeit, diese Ohnmacht. Ekelhaft. Ich muss brechen, wenn ich meine eigene Hilflosigkeit erkenne und dann schreie ich wieder, meistens leise. Mein Körper kennt keine andere Methode, um diese Emotionen rauszulassen.

Wenn ich die Augen schließe, sehe ich dich, immer. 

Aber weißt du, was das Schlimmste ist? Wenn ich die Augen schließe, sehe ich dich, immer. Und dann denke ich mir, was gibt es Schlimmeres, als alleine und einsam in seinem Bett zu sterben? Und mit diesem Gedanken schlafe ich ein, wache auf, steige ins Auto und fahre zu dir.

Milena, 31, ist hoffnungslos hoffnungsvoll. 

Headerfoto: cottonbro studio (Kategorie-Button hinzugefügt und Bild gecroppt.) Danke dafür!

 

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