„Was hast du da am Arm?“: Von Selbstverletzung und dem Wunsch, dass die Gesellschaft meine Narben akzeptiert

Jeden Sommer wieder stellt mir irgendjemand diese Frage. Und das ist okay, ich antworte gerne. Ich hatte keine leichte Jugend und habe mich selbst verletzt. Und das ist nichts, wofür man sich schämen müsste.

Es ist jetzt fast 5 Jahre her, dass ich damit aufgehört habe und inzwischen stehe ich dazu und komme gut mit den Blicken und Fragen klar.

Besonders das erste Jahr habe ich mir viel Mühe gegeben, meine Narben zu verstecken. Dann habe ich bei ein paar Freunden auch mal T-Shirts getragen oder meine Arm-Stulpen oder Bandanas abgenommen.

Aber das war nicht immer so. Besonders das erste Jahr habe ich mir viel Mühe gegeben, meine Narben zu verstecken. Dann habe ich bei ein paar Freunden auch mal T-Shirts getragen oder meine Arm-Stulpen oder Bandanas abgenommen. Und am Anfang kam ich mir damit schrecklich nackt vor. Auch wenn sie alle von meiner Vergangenheit wussten, war es für mich seltsam intim, das so offen zu zeigen.

Wir haben uns alle schnell daran gewöhnt und dann war es egal. Niemand hat mehr geguckt, und ich vergaß manchmal, dass ich überhaupt Narben hatte, dass ich „anders“ war als die anderen. Je mehr ich das vergaß, desto normaler fühlte ich mich damit, und desto weniger nahm man die Narben wahr.

Sie zu zeigen wurde immer selbstverständlicher. Vor meiner Familie hatte ich sie weiter versteckt. Ich fühlte mich vor allem bei meinen Eltern noch sehr lange unwohl damit, aber da ich bei Freunden inzwischen nicht mehr darauf achten musste, vergaß ich zunehmend für Zuhause „meine Ärmel wieder runter zu machen“ oder wieder eine Jacke drüber zu ziehen.

Ich weiß noch, wie mein Vater mich gefragt hatte, ob er mal sehen dürfte, und dann recht schockiert sagte „Das sieht schon schlimm aus…“ Das war mir dann doch etwas unangenehm. Auch wenn ich sah, wie traurig meine Mutter am Anfang war.

Und so kam es, dass auch meine Familie sich an den Anblick gewöhnen musste. Ich weiß noch, wie mein Vater mich gefragt hatte, ob er mal sehen dürfte, und dann recht schockiert sagte „Das sieht schon schlimm aus…“ Das war mir dann doch etwas unangenehm. Auch wenn ich sah, wie traurig meine Mutter am Anfang war.

Und natürlich Kommentare wie: „Du weißt schon, dass das nie wieder weg geht, oder?“, „Du warst doch so schön!“ oder „Ja, musste das denn sein?“ oder „Wieso macht man sowas denn?“ waren am Anfang echt nervig, aber je mehr man dazu steht, desto mehr gewöhnt man sich daran und irgendwann ist all das wirklich sehr egal.

Ich will sein dürfen, wer ich bin – mit meinem Narben und allem, was dazu gehört

Ich glaube, mich hat es nicht ganz 2 Jahre gekostet, bis ich damit offener umgehen konnte und mich Blicke oder Fragen nicht mehr so störten.

Nun ist es wieder Sommer und ich frage mich schon nicht mehr, ob ich ein T-Shirt anziehen will, oder ob ich mich mit Bikini ins Schwimmbad traue. Und ich hoffe, dass ich damit andere ermutigen kann, auch offener damit zu werden.

Nur höre ich auch immer wieder: „Du bist SO MUTIG! DAS KÖNNTE ICH NICHT!“. Und das macht mich manchmal trauriger als jede blöde Frage oder jeder dumme Spruch.

Nur höre ich auch immer wieder: „Du bist SO MUTIG! DAS KÖNNTE ICH NICHT!“. Und das macht mich manchmal trauriger als jede blöde Frage oder jeder dumme Spruch. Denn dass es Mut erfordert, in dieser Gesellschaft zu seinen Narben zu stehen, zeigt, dass mit dieser Gesellschaft etwas nicht stimmt.

Es zeigt, dass die Gesellschaft glaubt, dass mit mir etwas nicht stimmt, und dass ich mich schämen müsste. Dass es einen Grund gäbe, mich zu verstecken. Und den sollte es nicht geben. Aber es gibt ihn, und das macht mich traurig.

Wenn ich im Sommer also meine Narben zeige, dann nicht, weil ich Aufmerksamkeit will, oder weil ich mutig bin, sondern einfach, weil das alles ist, was ich dafür tun kann, dass diese Dinge eines Tages als normal angesehen werden, einfach einen Körper zu akzeptieren, wie er ist.

In jeder Form, mit allen Narben und Haaren und Leberflecken und Pickeln und, und, und. Versteck deine „Fehler“ nicht, denn das impliziert, dass es etwas zu verstecken gäbe. Lass uns für eine Welt sorgen, in der man nichts verstecken muss. 

Selene, 22 Jahre jung und ihr wird nachgesagt, das Leben bis an alle Grenzen zu testen. Das hat so seine Licht- und Schatten-Seiten, aber das ist das, was das Leben facettenreich macht. Selene kämpft gegen die Stigmatisierung Psychischer Krankheiten und versucht aufzuklären und für ein besserers Verständnis zu sorgen.

Headerfoto: Darina Belonogova (Kategorie-Button hinzugefügt. ) Danke dafür!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.