Es ist lustig, wie einem das Leben manchmal Gefühle und Erinnerungen zuwirft, die man lange nicht mehr gefühlt hat. Und die aber auf einmal wieder so frisch sind, wie ein Tattoo – unter der Haut. Wie wenig stabil kommt einem die momentane Realität gelegentlich vor, lässt man sich nur einen kleinen Augenblick verführen von dem, was mal gewesen ist. War das jemals wirklich ich? Und bin ich eigentlich die, die ich heute zu sein glaube?
Ich war 14, als wir uns das erste Mal sahen, uns das erste Mal küssten, uns das erste Mal trennten. Mit 18 war es das letzte Mal. Dazwischen lagen 4 Jahre, in denen ich mich immer wieder erholen musste von dem Kummer, den du mir zugemutet hast. Und in denen du doch irgendwie immer wieder auf mich zugekommen bist. Jedes Mal ein bisschen mehr, jedes Mal ein bisschen intensiver.
In diesen vier Jahren hast du mein Leben aufregend und lebenswert gemacht und gleichzeitig wurde ich nie wieder so schlimm verletzt, wie in diesen vier Jahren.
Der erste Kuss, der erste Liebeskummer, die ersten Lügen, die ich meinen Eltern auftischte, um über Nacht bei dir zu bleiben – nur um kurze Zeit später wieder von dir verlassen zu werden. In diesen vier Jahren hast du mein Leben aufregend und lebenswert gemacht und gleichzeitig wurde ich nie wieder so schlimm verletzt, wie in dieser Zeit.
Brennende Erinnerungen
Heute ist das alles über 10 Jahre her. An vieles erinnere ich mich kaum noch und habe auch schon damit abgeschlossen, es geht mir gut. Und doch ertappe ich mich manchmal dabei, wieder mit einer Art bittersüßem Schmerz an diese Zeit zu denken. Eine Zeit, in der irgendwie alles intensiv und neu und aufregend war – und wir so jung. Mit einer Zukunft vor uns, von der wir beide keine Ahnung hatten, wie sie aussehen, wo und mit wem sie stattfinden würde. Nun, wir sollten sie nicht miteinander verbringen.
Ich sage, ich denke an diese Zeit, dabei kann ich mich kaum an zusammenhängende Phasen erinnern. Ob das daran liegt, dass wir schon so lange her sind, oder daran, dass wir keine wirklich zusammenhängenden Phasen miteinander verbracht haben, weiß ich selbst nicht mehr.
Die Momente, an die ich mich erinnere, sind so klar und gefühlsintensiv, als ob sie mir jemand auf die Seele und auf die Netzhaut meines inneren Auges tätowiert hätte.
Aber die Momente, an die ich mich erinnere, sind so klar und gefühlsintensiv, als ob sie mir jemand auf die Seele und auf die Netzhaut meines inneren Auges tätowiert hätte. Mit klaren und brennenden Umrissen. Wie die Lichter, die man mit geschlossenem Auge noch flackern sehen kann, obwohl die Flamme längst erloschen ist.
Ich sehe uns, auf meinem Sofa sitzend, du klitschnass vom Regen, durch den du mit dem Fahrrad gefahren bist, um mich zu fragen, ob du mich küssen darfst. Ich fühle uns beide auf deinem Bett liegen, höre dich “ich liebe dich” in mein Ohr flüstern. Ich war so überrumpelt und mit Gefühlen vollgepumpt, dass ich nur ein “ich auch” hinausbrachte. Beide diese Erinnerungen fallen in unseren ersten Versuch, soetwas ähnliches wie ein Paar zu sein.
Dann sehe ich dich, zwei Jahre später und auf dem Geburtstag meiner besten Freundin, auf einer Treppe stehen, mir entgegentretend und sagen, dass es dir leid tut, wie du mich zwei Jahre zuvor weggestoßen hast. Es war ein fließender Moment, wie du mich in dem Arm nahmst. Wie lange wir da standen, und uns wieder einmal küssten, kann ich nicht sagen. Dabei warst du vergeben und ich doch eigentlich in jemand ganz anderen verliebt. Dachte ich.
Entblößte Seele
Wieder zwei Jahre später, erinnere ich mich, lag ich halb nackt auf deinem Sofa in deiner ersten eigenen Wohnung. Ich fühle noch heute meine langen Haare, wie sie über meine Schultern fielen und dein Gesicht kitzelten. Deine Hände auf meinen Brüsten, an meinen Schenkeln, an meinem Po. Mein Herz klopft immer noch wie wild bei dem Gedanken daran, wie wir uns gegenseitig aller unserer Klamotten endledigten und ich dann – vollkommen nackt und mit einem Blick über meine Schulter zu dir – in dein Schlafzimmer ging.
Wie sehr ich dich wollte, wie sehr ich deine Demut dem gegenüber spüren wollte, was ich dir zu geben bereit war.
Passiert ist nichts. Oh, aber wie sehr ich dich wollte, wie sehr ich deine Demut und dein Verlangen spüren wollte dem gegenüber, was ich dir zu geben bereit war. Du wolltest es nicht. Du wolltest mich nicht.
Ich glaube, ich habe mich danach nie wieder vor jemandem so ausgezogen, wie vor dir. Nackt vor anderen, ja, das war ich – körperlich. Einige Male. Aber ich war nie wieder so verwundbar, wie ich es in diesem Moment mit und vor dir war. Du sagtest damals, dass es einfach nicht passt, zwischen uns. Dass ich Dinge will, die du mir nicht geben kannst. Dass ich uns als Paar sehe, aber den Weg dahin, den gibt es nicht. Und den gab es nicht – für dich.
Wie sehr ich damals leben wollte und gelebt habe – nur ein kleines Stück, mit dir.
Ich hüte diese Erinnerungen wie einen Schatz. Lange habe ich sie nicht hervorgeholt, weil sie brannten – wie das Tattoo auf meiner Seele. Jetzt schaue ich sie mir vor meinem geistigen Auge immer mal wieder an, denn sie erinnern mich daran, wie intensiv man Dinge fühlen kann. Wie sehr man jemanden wollen kann, und wie sehr ich damals leben wollte und gelebt habe – nur ein kleines Stück, mit dir.
Headerfoto: Vlada Karpovich (Kategorie-Button hinzugefügt und Bild gecroppt.) Danke dafür!