Das „schwache“ Geschlecht: Ich bin nicht schuld, wenn du mich sexuell belästigst

„Belästige mich noch einmal und ich schneide dir was ab!“ Solche Phantasien regen sich manchmal in mir, wenn wieder ein Mann auf der Straße hinter mir her pfeift, mich von der Seite anmacht und damit belästigt. Dieser Mann steht dabei inzwischen für all jene Männer, die in den letzten Jahrzehnten (ja, es sind mittlerweile Jahrzehnte!) verantwortlich waren für meinen Kummer, meine Scham, meine Angst, alleine an Gruppen vorbeizugehen, durch die Parks zu joggen oder zu reisen.

Nicht meine Schuld

Ich wurde so häufig ungebeten in den Po gekniffen, angezwitschert und frauenfeindlich angegangen, dass es mir schwerfällt, meine eigenen Söhne nicht voller Verachtung vorzuverurteilen ob der Dinge, die sie noch tun könnten. Jungs, die sich nachts auf Partys an mir rieben. Männer, die mich baten, sie zu befriedigen und all die Frauen, die wissend die Zunge schnalzen, wenn wir uns darüber austauschen.

Ich wurde so häufig ungebeten in den Po gekniffen, angezwitschert und frauenfeindlich angegangen, dass es mir schwerfällt, meine eigenen Söhne nicht voller Verachtung vorzuverurteilen ob der Dinge, die sie noch tun könnten.

Einmal dachte ich, ich sei in einen Fahrradunfall verwickelt worden, als ein Rad von hinten in mich hineinbretterte. Ich schrie erschrocken auf, wollte mich vergewissern, ob es dem Fahrer gut ginge, als er durch meine Beine durchgriff, meinen Intimbereich berührte und dann hoch zu meinem Po rutschte, den er schmerzhaft kniff. Als ich begriff, was los war, schrie ich laut auf. Er stieg auf sein Rad, radelte gemütlich die Straße herunter und rief mir hinterher: „Heute ist mein Geburtstag!“

Als ich Stunden später dazu auf Facebook einen Post absetzte, reagierten mitunter ausgerechnet Freund:innen und Familie eher belustigt und freuten sich für mich. Scheinbar war ich Besitzerin eines echt knackigen Fahrgestells. Ich hingegen schämte mich. Ich trug diese Jeans nie wieder, überlegte mir, ob der Gürtel zu eng gesessen hatte und mein Gang zu aufreizend gewesen war.

Macht und Machtlose

Auch später gingen mir ähnliche Gedanken durch den Kopf, als mir beispielsweise in einer Clubnacht jemand bis zu den Toiletten gefolgt war, um mich hochzuheben und wortwörtlich abzuschleppen. Dieser Mann trug mich in die Kabine, schloss ab und hätte wer weiß was mit mir anstellen wollen, hätte ich nicht so laut um Hilfe geschrien. Was machte diese Situation mit mir?

Ich versteckte mich bei meinem damaligen Freund hinter dem DJ-Pult und gab mir die Schuld, weil ich mit diesem Mann kurz vorher noch über die Musik gesprochen hatte. Gesprochen, nicht geflirtet. Und selbst wenn, welchen Unterschied würde es machen?

Ich gab mir die Schuld, weil ich mit diesem Mann kurz vorher noch über die Musik gesprochen hatte. Gesprochen, nicht geflirtet.

Welchen Unterschied macht es, ob ich als Frau zunächst flirte, aber unter Garantie nicht zum Sex aufrufe? Welchen Unterschied macht es, in einem Bikini am Strand baden zu gehen, aber unter Garantie nicht fotografiert, belästigt oder beurteilt werden zu wollen? Der Unterschied liegt in der Macht. Und dieser kleine aber feine Machtunterschied baumelt ihnen zwischen den Beinen.

Der Unterschied liegt in der Macht. Und dieser kleine aber feine Machtunterschied baumelt ihnen zwischen den Beinen.

Denn während mein Testosteronhaushalt dafür sorgt, dass mir manchmal Kinnhaare wachsen, sorgt er bei diesem Typ Mensch für einen enormen Machtunterschied. Mehr Muskeln, mehr Kraft, mehr Willen zu erobern, mehr Willen zu unterdrücken. Dieser Typ Mann greift sich, was er will und drängt, belästigt, widert mich an.

Jede Frau musste in ihrem Leben bereits durch solche Situationen gehen und das unfreiwillig, weil unser Körper weicher, unsere Geschlechtsmerkmale offensichtlicher, unser Einfluss geringer ist. Weil wir das unterlegene Geschlecht scheinen, geben wir denen aber noch lange nicht das Recht darauf, unsere Körper zu nehmen wie einen Apfel vom Marktstand. Nicht einmal der ist nämlich umsonst, meine (hier angesprochenen) Herren.

Weil wir das unterlegene Geschlecht scheinen, geben wir denen aber noch lange nicht das Recht darauf, unsere Körper zu nehmen wie einen Apfel vom Marktstand. Nicht einmal der ist nämlich umsonst.

Darum denke ich eben auch nicht selten, sollte mir noch einmal so jemand begegnen, stehe ich kurz vor einer anderen Straftat. Auge um Auge, meine Seele um deinen Schwanz. Nimmst du mir meine Würde, nehme ich dir das Ding, was dich angeblich dazu berechtigt, mit mir machen zu können, was dir beliebt. Tut es nämlich nicht.

Wenn du sexualisierte Gewalt erfahren hast oder jemanden kennst, kannst du dich an das Hilfetelefon “Gewalt gegen Frauen” wenden, Beratungsangebote in deiner Nähe auf www.gewalt-gegen-frauen.de oder bei der Polizei finden und dich hier über alle Gewaltformen im Netz informieren. Du bist nicht allein.

Headerfoto: Marcus Santos via Unsplash. (Kategorie-Button hinzugefügt und Bild gecroppt.) Danke dafür! 

Laurine Lauretta, ein Perpetuum Mobile. Zwischen alleinerziehender Mutterschaft, pädagogischer Arbeit und Frausein, bleibt noch genug Zeit sich viele Gedanken um die Liebe, das Leben und allerlei Unsinn zu machen. Hier in Wort und Text.

1 Comment

  • Man stelle sich mal vor, ein Mann würde einen Artikel über Belästigung schreiben ( der zwar nirgends abgedruckt/veröffentlicht würde da es absolut nicht in den heutigen politischen Rahmen passt) und würde den Artikel mit der Drohung beenden, bei der nächsten Belästigung durch eine Frau selbiger die Brüste/Schamlippen mit einem Messer abzutrennen! Der Autor würde sich vor Anzeigen nicht mehr retten können! Bei einer Frau ist das natürlich was anderes! Da nennt man es empowerment! Unglaublich diese Verhamlosung perverser Gewaltfantasien!

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