Ein S-Bahn-Waggon an einem Sonntagmittag. Tüdüdü – das Signal leuchtet auf und mit einem Wumms gehen die Türen zu. Rüttelnd und rauschend begibt sich die Bahn durch das wolkenverhangene Berlin. Es ist so grau, wie es wohl nur in dieser Stadt sein kann. Doch an Tagen wie diesen wirkt jene graue Wand mehr wie eine wohlig warme Daunendecke, ganz so, als würde die Stadt noch schlafen.
Pandemiesonntag in Berlin
Sonntage in Berlin gleichen in Zeiten einer Pandemie quasi Dörfern, in denen die Bordsteine hochgeklappt werden und sich erst montags wieder Menschen auf die Straßen begeben. Mir kommt der Gedanke, dass das vielleicht einer der besten Zeitpunkte für eine Fahrt mit den Öffentlichen durch die Stadt ist, eine kleine ruhige Stadtrundfahrt in weicher Wolkendecke eingehüllt. Es fehlt nur noch der Kakao, naja fast.
Als ich neulich unter der Woche durch die Innenstadt fuhr, so bemerkte ich dabei still, wie gut es in diesen Zeiten auch tut, dass Bahnhöfe nicht überlaufen sind, dass sich nicht tausende Menschen in engen Waggons an einander quetschen, weil sie keine vier Minuten auf die nächste Bahn warten können.
Die Hektik dieser großen, weitläufigen und lauten Stadt ist seit einem Jahr einer Zwangspause gewichen.
Die Hektik dieser großen, weitläufigen und lauten Stadt ist seit einem Jahr einer Zwangspause gewichen. Die erzwungene Entschleunigung sorgt für eine vermeintliche Ruhe und dennoch will ich nicht leugnen, liegt doch eine große Schwere in diesem andauernden Ausnahmezustand in der Luft.
Zurück zum S-Bahn-Waggon, in dem still und anonym die Menschen sitzen, noch weiter voneinander wegrücken als sonst und sich in Alleinsein üben. Meine Fahrt dauert nicht lang und so gehen die Türen für mich gleich wieder auf. Beim Beobachten einer Person kurz zuvor, frage ich mich, wie jene wohl unter der Pandemieverkleidung aussehen möge.
Sie hat mein Interesse geweckt, doch ihr Gesicht lässt sich nur erahnen. Unter der weinroten Mütze lugt ein bunter Tunnel im Ohrläppchen hervor. Brille, Schal und Maske skizzieren ihr Gesicht. Und gleichermaßen ist das auch ein kleiner Reiz: Je weniger von Mund und Nase ich sehe, umso mehr konzentriere ich mich auf die Augen, auf den Blick. Und ja, ich habe in den letzten Monaten schon so schöne Augenpaare gesehen, dass mir der Rest wohl egal gewesen wäre.
Je weniger von Mund und Nase ich sehe, umso mehr konzentriere ich mich auf die Augen, auf den Blick. Und ja, ich habe in den letzten Monaten schon so schöne Augenpaare gesehen, dass mir der Rest wohl egal gewesen wäre.
Mit den Gedanken an diese Person und was sich wohl unter ihrer Ummantelung verbirgt, folge ich der schweigsamen kleinen Menge Menschen in Richtung Tram. Ich überlege, wie es wohl anderen geht, ob sie auch so beobachtend sind wie ich oder die Welt um sich herum völlig vergessen mögen und sich im Kopf nur mit ihren Gedanken an die nächste Woche beschäftigen.
Denken sie an den Abwasch zu Hause, sind sie froh, mal kurz aus der Bude rauszukommen oder träumen sie sich mit Musik auf den Ohren weit, weit fort und wollen alles um sich herum vergessen?
Hier und Jetzt
Ich stattdessen bin im Hier und Jetzt, so sehr wie noch nie an diesem Wochenende, und schreibe mich derweil in eine Metaperspektive des Geschehens. Ich sehe auf dem grauen Steinboden vor mir ein kleines Stück einer Pflanze liegen. Kleine weiße Blüten. Und in Gedanken bin ich drauf und dran sie aufzuheben.
Doch ich laufe weiter, spüre jeden Schritt. Ich laufe mitsamt einiger anderer Berlinreisender auf die Treppen zu und unter meiner Maske tut sich erneut ein Lächeln hervor, als ich sehe, dass ein Mann einem anderen beim Hochtragen eines Kinderwagens hilft. Ich beobachte die Menschen, die weiter die Treppe fokussieren und zügig an mir vorbeilaufen, schon fast drängen, um auch ja nicht die Tram zu verpassen. Dabei frage ich mich, ob sie den Moment auch wahrnehmen, der für mich so ganz besonders erscheint.
Allzu oft wird die fehlende Menschlichkeit, die fehlende Umsicht und die zu große Anonymität in der Stadt beklagt. Gerade jetzt in Zeiten wie diesen wird noch mehr von Distanz gesprochen als jeher und andere Menschen werden eher als Gefährdung betrachtet als als Gleichgesinnte in dieser Zeit.
Allzu oft wird doch die fehlende Menschlichkeit, die fehlende Umsicht und die zu große Anonymität in der Stadt beklagt. Gerade jetzt in Zeiten wie diesen wird noch mehr von Distanz gesprochen als jeher und andere Menschen werden eher als Gefährdung betrachtet als als Gleichgesinnte in dieser Zeit. Und so laufe ich zwar weiter, doch bleib im Herzen an diesem Fleck stehen und bestaune den Moment, in dem ein Mensch wohl aus der Anonymität ausgebrochen ist, um einem anderen zu helfen.
Und so laufe ich zwar weiter, doch bleib im Herzen an diesem Fleck stehen und bestaune den Moment, in dem ein Mensch wohl aus der Anonymität ausgebrochen ist, um einem anderen zu helfen.
Ich bewundere den Moment der Menschlichkeit und Hilfsbereitschaft und schätze diese wert. Und so geht meine Frage raus an alle und in ehrlichem Interesse: Seht ihr diese klitzekleinen Momente des Miteinanderseins im Alltag und was fühlt ihr, wenn ihr mal wieder an einem grauen Wolkentag mit der S-Bahn durch Berlin fahrt?
Headerfoto: Vicky Hladynets via Unsplash. (Kategorie-Button hinzugefügt und Bild gecroppt.) Danke dafür!