Endlose Leere: Wie die Pandemie mich meiner Identität und Kraft beraubt

Leere. Nichts als Leere in mir. Aufstehen, den Tag überstehen, um am Ende des Tages die Sinnhaftigkeit des Tages in Frage zu stellen. Endlich, wenn eine adäquate Uhrzeit erreicht ist, ins Bett gehen, um zu hoffen, auch einschlafen zu können. Zur Not liegen die Schlaftabletten neben meinem Bett. Jeder Tag hat dasselbe Muster.

Verzweifelte Versuche, die Leere zu füllen

Leere! Nichts als Leere ist in mir. Ich versuche das Loch, das immer größer wird, mit Aufgaben zu füllen. Ich will es ausstopfen. Ich will es wie einen Vakuum-Beutel aussaugen, sodass kein Millimeter Raum mehr bleibt. Aber leider gibt es für das innere Loch kein Gerät, mit dem es sich schließen oder zumindest verkleinern lässt. Also muss ich es anders angehen. Ich muss irgendwas tun, damit die Zeit vergeht und der Tag verstreicht.

Ich muss irgendwas tun, damit die Zeit vergeht und der Tag verstreicht.

Im besten Fall empfinde ich einen Funken Zufriedenheit. Also strenge ich mich an: aufräumen, einkaufen, putzen, arbeiten. Ich bemühe mich – sofern es eben geht – gut zu mir zu sein (das soll bekanntlich helfen). Morgens Yoga oder Joggen, zum Frühstück einen grünen Smoothie und Porridge, hin und wieder eine Gesichtsmaske auftragen, ein Buch lesen, einen Kuchen backen. Freude bereiten mir diese Dinge schon lange nicht mehr.

Ich weiß nicht mehr, wer ich bin. Alles erscheint sinnlos.

Ich würde von mir behaupten, immer eine Frohnatur gewesen zu sein. Ich war aufgeweckt, neugierig, wissbegierig und immer in Action. Ich war voller Power, hatte vielen Interessen und ein hohes Maß an Durchsetzungskraft. Und jetzt – nach über einem Jahr Pandemie – frage ich mich: Was ist von all dem übrig geblieben?

Bin ich noch der Mensch, der ich bis zum März 2020 war? Oder ist diese Frau, über die ich gerade schreibe, zu einer seelenlosen, ausgelaugten, orientierungslosen Hülle mutiert? Ein Körper, in dem niemand mehr wohnt. Und sollte doch jemand in diesem Körper wohnen, dann erkenne ich die Person nicht mehr.

Wo bin ich bloß geblieben? Wann war der Punkt, der mich meine Identität verlieren lassen hat? Oder ist das, was ich jetzt – in einer Zeit ohne äußere Reize – sehe, in Wirklichkeit meine Identität?

Wo bin ich bloß geblieben? Wann war der Punkt innerhalb der letzten zwölf Monate, der mich meine Identität verlieren lassen hat? Oder ist das, was ich jetzt – in einer Zeit ohne äußere Reize – sehe, in Wirklichkeit meine Identität? Bedeutet das vielleicht sogar, dass ich nie eine Identität hatte?

Alles – selbst die vier Kurzarbeit-Stunden Arbeit pro Tag – erfordern ein maximales Maß an Überwindung, sodass ich manchmal Stunden brauche, um endlich mit dieser sinnlosen Tätigkeit zu beginnen. Ist aber ja auch egal. Ich habe massig Zeit, die ich zum großen Teil mit Rumsitzen und Nachdenken verbringe.

Ich versuche krampfhaft, einen Weg zurück zu mir selbst zu finden. Aber ich finde ihn nicht. Alles ist dunkel. Alles ist ein Labyrinth.

Ich versuche krampfhaft, einen Weg zurück zu mir selbst zu finden. Aber ich finde ihn nicht. Alles ist dunkel. Alles ist ein Labyrinth. Ich selbst, oder die Frau, von der ich denke, dass sie ich ist, lauert an jeder Ecke als Endgegnerin. Bereit, mich fertig zu machen. Noch eine innere Abreibung. Danke, ich verabscheue mich jedes Mal ein wenig mehr.

Um das alles auszuhalten, verfalle ich in einen übermäßigen und definitiv bedenklichen Alkohol- und Marihuana-Konsum. Berauscht fühlen sich die Abende weniger sinnlos an. Versuche ich, diese neu angezogene Gewohnheit abzulegen, fehlt etwas und das ohnehin schon sehr große, sehr dunkle Loch fühlt sich noch dunkler und größer an. Die Angst vor schlaflosen Nächten rechtfertigt mein Konsum.

Wann kann man eigentlich von Sucht sprechen? Egal, das ist nicht der richtige Zeitpunkt, um darüber nachzudenken. Es reicht schon, dass ich von Tag zu Tag fertiger und beschissener aussehe.

Ich muss raus aus diesem Teufelskreis. Ich will zurück zu mir selbst. Aber wie soll ich das tun, wenn das Bild von mir selbst zunehmend diffus ist?

Ich muss raus aus diesem Teufelskreis. Ich will zurück zu mir selbst. Aber wie soll ich das tun, wenn das Bild von mir selbst zunehmend diffus ist? Es fühlt sich unmöglich an, irgendwann wieder etwas wie Sinnhaftigkeit zu empfinden.

Verursacht Corona nur temporären Seelenschaden?

Die wirklich wichtige Frage, die gleichzeitig mein einziger Hoffnungsschimmer ist, lautet: Liegt das alles wirklich nur an Corona und der damit verbundenen Einöde? Sind diese Schäden nur temporär? Wird alles wieder anders und normal, wenn die Pandemie überstanden sein oder zumindest das öffentliche Leben in einem größeren Umfang stattfinden wird?

Die wirklich wichtige Frage, die gleichzeitig mein einziger Hoffnungsschimmer ist, lautet: Liegt das alles wirklich nur an Corona? Sind diese Schäden nur temporär?

Angenommen die Antwort lautet ja. Was bedeutet das für mich? Bin ich ein Spielball meines Umfelds? Brauche ich die Aktivitäten, die Berlin in normalen Zeiten bietet, so sehr, um glücklich zu sein? Oder zumindest zufrieden? Bin ich abhängig von meinen Freund:innen? Bringt die Pandemie nur das Offensichtliche zum Ausdruck, das ich mein Leben lang erfolgreich durch externe Reize kaschiert habe?

Man sagt ja immer, man müsse selbst die Quelle zum Glück sein. Man sagt, man müsse sich selbst lieben, um von anderen Menschen geliebt zu werden. Ganz ehrlich: Wenn das stimmt, dann – Ist-Stand – gibt es für mich wenig Hoffnung. Denn bei mir gibt’s keine Quelle. Es gibt nur Leere.

Und so kämpfe ich mich jeden Tag aufs Neue durch die Leere, versuche krampfhaft meinen Tag mit Aufgaben zu füllen, die mir sinnhaft erscheinen, auf die ich aber keine Lust habe.

Und so kämpfe ich mich jeden Tag aufs Neue durch die Leere, versuche krampfhaft meinen Tag mit Aufgaben zu füllen, die mir sinnhaft erscheinen, auf die ich aber keine Lust habe. Und wenn ich es am Ende des Tages geschafft habe, das Bad zu putzen, dann bin ich zumindest ein Bruchteil weniger unzufrieden.

Anm. d. Red.: Wir finden es wichtig, einzelne Perspektiven von Betroffenen und die damit verbundenen Belastungen in der Corona-Pandemie zu zeigen. Wir sind alle auf unsere ganz persönliche Weise betroffen. Die meisten Maßnahmen sind aus unserer Sicht berechtigt und notwenig, um die Pandemie einzudämmen – auch wenn das Einhalten schwerfällt. Alle Artikel zum Thema Corona findest du hier.

Wenn du oder jemand in deinem Umfeld dringend Hilfe braucht, erreicht ihr unter 0800-1110111 jederzeit die Telefonseelsorge und unter 116-111 das Kinder- und Jugendtelefon. Hier gelangt ihr zu einem Artikel mit Hilfestellen für 16 häufige Probleme. Bei Freunde fürs Leben könnt ihr euch über Depression und Suizidalität informieren und unter Therapie.de findet ihr psychologische Psychotherapeut:innen in eurer Nähe.

Annika liebt es, im Regen zu joggen und das Geräusch, das entsteht, wenn man kohlensäurehaltiges Mineralwasser in ein Glas kippt. Beruflich macht sie was mit Marketing und Bier und in ihrer Freizeit sinniert sie mit Freund:innen übers Leben und fragt sich, ob ein Leben auf dem Land vielleicht doch besser ist als in Berlin. Die Antwort darauf hat sie sich schon vor Jahren gegeben. Seitdem lebt Annika in Kreuzberg.

Headerfoto: Maria Orlova via Pexels. (Kategorie-Button hinzugefügt und Bild gecroppt.) Danke dafür!

3 Comments

  • Du spricht mir aus der Seele, nur dass ich einen Schritt weiter bin und das „Marihuana und den Alkohol“ schon seit paar Monaten hinter mir gelassen habe….da ich merkte, dass es auf Dauer ein Problem wurde. Und ja, leider ist ohne, das Loch noch größer.. So ganz ohne Ablenkung ist es schon recht hart. Aber ich bleibe dran, versuche mich in diesem inneren Chaos wieder zu finden.. Wenn ich noch da bin, keine Ahnung… Das neue ich, was mit der Pandemie entstanden ist, ist öde und langweilig und ängstlich und ist das, was ich nie sein oder werden wollte (oder war ich schon immer so, hab mich nur gut abgelenkt?)… Keine Ahnung, es fällt mir recht schwer mich so zu akzeptierten und noch schwerer mich so zu lieben… Obwohl ich weiss, dass es der einzige Weg ist… Ich drücke dir und mir selbst die Daumen dass es nur temporär ist…

  • Aaalter, richtig gut geschrieben. Du schreibst mir aus dem Herzen. Die Gedanken ob da überhaupt Substanz dahinter ist und sich erst darauf einlassen, an den Punkt zu kommen, an dem es nur noch um die eigene Substanz geht und dann merken, dass da die Leere ist die Antriebslosigkeit und keine Quelle und eventuell einfach nichts da ist. Und dann Angst bekommen. Zu merken, dass es die Reize und Inspirationen von außen braucht um selbst blühen zu können und etwas eigenes aus den Reizen und Inspirationen schaffem zu können- aber es eben nicht ganz alleine von innen kommt. Das macht crazy

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