Studieren im Ausnahmezustand: Ich finde, Student:innen bekommen in dieser Pandemie nicht genug Unterstützung

In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung schrieb Julia Schaaf: „Ausgerechnet die Generation, die dieses Land in die Zukunft tragen soll, hat keinen Plan.“ Frank-Walter Steinmeier sagte Mitte April, dass wir Studierenden gebraucht werden. Ziehen wir mal Bilanz: Ich bin jetzt in meinem dritten Pandemester, meine neuen Master-Kommiliton:innen habe ich eine Woche lang in Präsenz erlebt (was schon viel ist, im Gegensatz zu anderen Hochschulen, an denen gar keine Präsenzveranstaltungen stattfanden).

Ich bin jetzt in meinem dritten Pandemester, meine neuen Master-Kommilitonen habe ich eine Woche lang in Präsenz erlebt.

Meinen Job in der Veranstaltungsabteilung einer Tageszeitung kann ich seit über einem Jahr nicht ausüben. Mein Auslandssemester steht auf der Kippe. Alle meine Freund:innen haben so ihr Päckchen zu tragen. Hilfe gab es für uns bisher kaum. Um es also mit den Worten von Lukas Kissel zu sagen: „Liebe Politik, warum ignorierst du uns?“ Von uns Studierenden sei nun Flexibilität gefordert.

Um es also mit den Worten von Lukas Kissel zu sagen: ‚Liebe Politik, warum ignorierst du uns?‘ 

Aber habt ihr euch schon mal überlegt, was das bedeutet? Es bedeutet Klausuren vielleicht nicht zu bestehen, länger zu studieren, Auslandssemester zu verschieben, wieder in die Heimat zu den Eltern zu ziehen, um Geld zu sparen, Pläne zu ändern. Das alles kostet Zeit. Lebenszeit. Und die ist bekanntlich nicht mit Geld aufzuwiegen.

Finanzierung im Ausnahmezustand 

Ich bin ein Jahr weniger zur Schule gegangen als meine Schwester, damit wir schnell anfangen können zu arbeiten und mit 24 Jahren einen Job bekommen, für den fünf Jahre Arbeitserfahrung verlangt werden. So oder so ähnlich. Jetzt werde ich voraussichtlich aufgrund der Pandemie später ins Berufsleben starten.

Und neben Zeit kostet das auch Geld. Geld, dass ich während meines Bachelorstudiums zurückgelegt habe (statt es beim Feiern auf den Kopf zu hauen), um mir nach dem Studium vielleicht ein Auto leisten zu können. Oder meine Wohnung mit Möbeln einrichten zu können, die nicht zu 100% von IKEA stammen. Um finanziell abgesichert zu sein, falls die Waschmaschine oder sonstiges mal kaputt geht.

Habt ihr euch schon mal überlegt, was das bedeutet? Es bedeutet Klausuren vielleicht nicht zu bestehen, länger zu studieren, Auslandssemester zu verschieben, wieder in die Heimat zu den Eltern zu ziehen, um Geld zu sparen.

Aufgrund dieses Geldes geht es mir aktuell zwar besser als anderes Studierenden, aufgrund dieses Geldes bin ich aber nicht für die Überbrückungshilfen qualifiziert, die die Politik an Studierende vergibt, die weniger als 500 Euro auf ihrem Konto haben. Auf all ihren Konten. Zum Vergleich: Der BAföG-Höchstsatz liegt bei 861€, wenn der oder die Studierende bei den Eltern wohnt, beträgt er 592€.

Die Studierenden, die für die Überbrückungshilfe qualifiziert sind, haben meiner Meinung nach noch mehr Unterstützung verdient und viele von denen, die nicht ins System passen, haben trotzdem Einbußen, die die Politik nicht interessiert. Was noch dazukommt: Wir sind diejenigen, die in einigen Jahren die aufgebauten Schulden durch unsere Steuern und ein späteres Renteneintrittsalter werden abbezahlen müssen.

Meine Sorgen sind lächerlich im Vergleich zu denen anderer, und doch sind sie eben da.

Vieles, was mir fehlt, ist lächerlich im Vergleich zu anderen. Aber die Leben von anderen kenne ich eben nicht. Sondern nur meins. Und aktuell habe ich in meinem Leben eigentlich nichts, was Spaß macht. Gut, mit meinen Eltern verstehe ich mich so gut wie lange nicht mehr, was schön ist. Aber nach einem langen Unitag liege ich auf der Couch und warte, bis der Tag vorbei ist und am nächsten Morgen wieder die Vorlesungen anfangen.

Aktuell habe ich in meinem Leben eigentlich nichts, was Spaß macht. Nach einem langen Unitag liege ich auf der Couch und warte, bis der Tag vorbei ist und am nächsten Morgen wieder die Vorlesungen anfangen.

Am Wochenende lerne ich für die Uni und gehe arbeiten. Viele Freund:innen habe ich lange nicht mehr gesehen, ich wechsle nicht den Ort, sehe nichts anderes, trage jeden Tag denselben Pulli. Ich lerne keine neuen Leute kennen, kann keine Kontakte für mein zukünftiges Berufsleben knüpfen und ein Lächeln von einem Mann habe ich auch schon zu lange nicht mehr bekommen.

Das alles wirkt sich auf Menschen, auf Persönlichkeiten und auf Psychen aus.

Das alles wirkt sich auf Menschen, auf Persönlichkeiten und auf Psychen aus. Und auch wenn aktuell viele Menschen in Anbetracht von Impfungen und des Sommers hoffnungsvoll sind, habe ich Angst. Denn der Zeitpunkt, an dem ich feststellen werde, dass auch nach Lockerungen nichts mehr so sein wird wie früher, rückt immer näher.

Anm. d. Red.: Wir finden es wichtig, einzelne Perspektiven von Betroffenen und die damit verbundenen Belastungen in der Corona-Pandemie zu zeigen. Wir sind alle auf unsere ganz persönliche Weise betroffen. Die meisten Maßnahmen sind aus unserer Sicht berechtigt und notwenig, um die Pandemie einzudämmen – auch wenn das Einhalten schwerfällt. Alle Artikel zum Thema Corona findest du hier.

Unsere Autorin möchte anonym bleiben.

Headerfoto: Kinga Cichewicz via Unsplash. (Kategorie-Button hinzugefügt und Bild gecroppt.) Danke dafür! 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.