Da sitze ich jetzt mit einem rosa Zettel. AU steht auf ihm geschrieben. Diagnose: Kopfschmerzen. Und diese Diagnose ist noch gelogen. Normalerweise müsste sie lauten „komplette Erschöpfung des ganzen Körpers: von Migräne über einen schmerzenden Rücken, bis hin zu wackeligen Knien.“
Ein kompletter Totalschaden. Und da sitze ich nun: Mit 32 Jahren meine erste Krankmeldung. Dabei sollen mich diese ganzen Maßnahmen um mich herum doch genau davor schützen, krank zu werden.
Dreifachbelastung: Mutter, Angestellte und nun Erzieherin
Seit nun bald zwei Monaten funktioniere ich. In Doppel-, nein eher in Dreifachbelastung. Denn alleinerziehende, berufstätige Mutter war ich schon vor Auftauchen des Coronavirus. Diese Aufgabe hat mich erfüllt, glücklich gemacht und es war genug Saskia für beides da: für meinen Sohn und für meine Chefs.
Seit dem Lockdown ist jedoch alles anders. Zu meiner Rolle als alleinerziehende, berufstätige Mutter kam noch eine weitere hinzu: die der Erzieherin. Gelernt habe ich diesen Beruf nie, doch nun soll er nebenbei zum normalen Job erledigt werden.
„Freu dich doch, dass du Home Office machen kannst“
Also sitze ich um 7 Uhr jeden Morgen am Laptop, um in meiner Vorstellung zwei Stunden in Ruhe zu arbeiten, bevor der Junior aus dem Land der Träume erwacht. In der Realität merkt dieser allerdings sofort, wenn etwas im Busch ist und Mama nicht mehr in ihrem Bett liegt. Also beginnt unser Arbeitstag zusammen um 07:30 Uhr.
„Mama darf ich iPad gucken?“, folgt direkt nach dem Augenaufschlag. Noch vor einem liebevollen „Guten Morgen, Mama“. Das entspricht somit so gar nicht den Werten, die in meiner hart erarbeiteten Erziehung gelten sollten.
Sieben Stunden Arbeitszeit müssen täglich bewältigt werden. 6,5 davon in Kooperation mit Mini.
Aber das iPad wird zum täglichen Begleiter. Sieben Stunden Arbeitszeit müssen täglich bewältigt werden. 6,5 davon in Kooperation mit Mini. Das Bild für Oma ist in 10 Minuten fertig gemalt, das neue Buch in fünf gelesen und Mamas Schoß und die Tastatur sind nach nicht mal mehr zwei Minuten uninteressant. Was bleibt, ist das virtuelle Fenster in die Welt von Paw Patrol und Co. und ein komplett verstörtes Kind, wenn es nach Feierabend und Aufbrauchen des iPad-Akkus wieder in die Realität zurückkehren soll.
Meine tägliche halbe Stunde Me-Time (Die in jedem Achtsamkeit-Ratgeber als so überaus wichtig beschrieben wird), wenn abends der Fernseher fürs Sandmännchen angehen darf, ist somit auch seit Wochen immer schon mit meinem ersten Feierabend verbraucht. Der zweite Feierabend hat sich seit Fehlen des Kindergartens auf 21:30 Uhr eingependelt, denn von Auslastung des Minis keine Spur.
Keine Mama der Welt kann 10 Spielkamerad:innen und die Eindrücke eines Kindergartens ersetzen
Wir alle haben begrenzt Lust auf Rollenspiele, Höhlen bauen oder Geschichten der Tonie-Figuren. Wobei dieser letzte Punkt definitiv für mich die Retter dieser Situation sind. Täglich schwanke ich zwischen Fluch und Segen, wenn ich zum sechsten Mal dieselbe Wickie-Geschichte von vorne höre, entscheide mich aber immer wieder für den Segen, denn jede Stunde ohne iPad ist eine gewonnene und somit ein Schritt zum früheren zweiten Feierabend.
So haben wir nun fast zwei Monate rumbekommen. Tage von 07:00-21:30 Uhr mit vielen Streits, Abwesenheit von Mama, die „mal eben noch eine Email schreiben muss“ und ohne jeden Kontakt zu den Freund:innen von Mini. Diese existieren gerade nur in seinem Kopf. Dort begleiten sie ihn bei unseren Rollertouren nach Feierabend, schaukeln mit ihm im Garten und sind Thema in fast jeder ausgedachten Geschichte.
So haben wir nun fast zwei Monate rumbekommen. Tage von 07:00-21:30 Uhr mit vielen Streits, Abwesenheit von Mama, die „mal eben noch eine Email schreiben muss“ und ohne jeden Kontakt zu den Freund:innen von Mini.
Ja, ich freue mich, dass mein Job es mir ermöglicht, von zu Hause aus zu arbeiten. Dennoch freue ich mich genauso, wenn ich wieder ins Büro darf. Wenn ich den Mini morgens um 07:30 Uhr im Kindergarten abgeben kann, meine eigene Musik auf dem Weg zur Arbeit höre, sieben Stunden meine Arbeit verrichte, dabei Kaffee trinke, alleine auf die Toilette gehe, mit Kolleg:innen quatsche und dann um 15:30 Uhr den wichtigsten Menschen in meinem Leben wieder abhole, um einen wundervollen Nachmittag voller Spaß und mit einem richtigen Feierabend mit ihm zu verbringen.
Doch dieser Tag steht in den Sternen. Scheint so weit entfernt wie eine Rückkehr von Meghan und Harry ins Königshaus. Mit jeder neuen Auflagen-Lockerung stirbt die Hoffnung auf ein Stückchen Normalität für unsere Kinder und ja, auch für uns Mütter. Es scheint, als wären die Bedürfnisse unserer Gruppe an die unterste Stelle der Gesellschaftskette gesetzt worden, denn „Mutti macht das schon“.
Ich denke, ich spreche hier für eine ganze Reihe von Mamas, wenn ich sage „Nein, Mutti kann einfach nicht mehr.“
Anm. d. Red.: Wir finden es wichtig, einzelne Perspektiven von Betroffenen und die damit verbundenen Belastungen in der Corona-Pandemie zu zeigen. Wir sind alle auf unsere ganz persönliche Weise betroffen. Die meisten Maßnahmen sind aus unserer Sicht berechtigt und notwenig, um die Pandemie einzudämmen – auch wenn das Einhalten schwerfällt. Alle Artikel zum Thema Corona findest du hier.
Headerbild: engin akyurt via Unsplash. („Gesellschaftsspiel“-Button hinzugefügt und zugeschnitten.) Danke dafür!