Under Construction – Vom offenen Umgang mit inneren Baustellen

Es ist laut, es ist chaotisch, es geht heiß her. Manchmal beobachte ich diesen inneren Baustellenlärm wie eine zufällig vorbeikommende Passantin, die kurz stehen bleibt, innehält und sich das Bild von dem in Fertigstellung befindlichen Bauwerk anschaut.

Das Bild sieht großartig aus. Da war ein großer Planer am Werk. Einer, der weiß, worauf es ankommt und dass sich Schweiß, Schmutz und die Erschöpfung am Ende lohnen werden. Also betrachte ich das innere Treiben respektvoll und nicke ermutigend in Richtung der Prozesse, die dort ablaufen.

Doch manchmal bleibe ich als eine Passantin stehen, die skeptisch auf das Bauloch schaut und sich fragt, was zur Hölle das mal werden soll und wo bitte das Hochglanz-Plakat ist, das auf den Nachher-Zustand verweist.

Auch innere Großprojekte bedeuten Arbeit, Lärm und Dreck

Denn so wirr, wie das alles aussieht, kann da am Ende doch nichts bei rauskommen. Ich halte mir genervt die Ohren zu, um den Lärm nicht ertragen zu müssen und fange an, in altmodisch deutscher Manier darüber zu schimpfen, dass es an diesem Fleck vorher doch auch ganz schön war und diese abgefuckte Baustelle nur Unruhe reinbringt.

Manchmal möchte ich mein inneres Großprojekt nicht mehr. An solchen Tagen bereue ich es, mich nicht einfach für ein schlüsselfertiges Fertighaus entschieden zu haben. Allein, dass das Wort „Fertig“ doppelt aufgeführt wird, erscheint mir jetzt so im Nachhinein unfassbar attraktiv. Warum ist mir das vorher nicht aufgefallen?

Alibimäßig darf an einigen Stellen etwas mit geplant werden. Aber nicht zu viel. Die Auswahl an Böden, Farben und der Ausstattung ist begrenzt, aber doch absolut ausreichend. Und die Tatsache, dass es sich um Massenware handelt, verdeutlicht doch nur die solide Beständigkeit dahinter, oder? Bloß nicht zu viel Arbeit, bloß nicht zu sehr abweichen.

Eine Checkliste, auf der noch vor dem 30. Geburtstag stolz alle Haken gesetzt wurden.

Abitur, Ausbildung oder Studium, langjährige Beziehungen führen, die mit Mitte/Ende zwanzig mit einer krönenden Hochzeit das nächste Level erreichen, Hausbau, Kinder … ja und dann? Mein Teenager-Ich hatte sich genau diesen gesellschaftlich für normal befundenen Weg immer vorgestellt: eine Checkliste, auf der noch vor dem 30. Geburtstag stolz alle Haken gesetzt werden können.

Denn damals habe ich mir mein Leben immer nur in diesen drei Jahrzehnten vorgestellt. In dem Zeitrahmen wird man maximal erwachsen und danach kommt doch eigentlich eh nicht mehr viel. Von steigenden Lebenserwartungen und einer immer älter werdenden Gesellschaft habe ich damals wohl nicht viel gehört.

Doch irgendwann kam der Moment, an dem ich den Blick von außen nach innen gewendet und gemerkt habe, dass hinter diesen gutbürgerlichen Vorstellungen noch viel mehr steckt. Mehr Tiefe, mehr Erwartungen, mehr Größe, mehr Träume. Einfach mehr!

An alle, die darauf gehofft haben, mal was Neues zu lesen und an dieser Stelle enttäuscht und leicht abgeturnt die Augen verdrehen, da spätestens jetzt klar wird, dass ich ebenfalls zu dieser vermeintlichen „unersättlich“-Generation gehöre, denen sage ich: Yes! Genauso ein Teil davon bin ich. Nur, dass ihr das Entscheidende nicht richtig verstanden habt.

Generation unersättlich

Wir sind nicht unersättlich, wir wollen uns selber kennenlernen und probieren daher vieles aus. Ein Kind, welches sich munter erst Spinat, dann Brokkoli in den Mund schieben lässt, wird doch auch mit stolzen Blicken belohnt. Warum verblasst die Anerkennung für den Drang, Neues zu erkunden irgendwann? Weil wir erwachsen werden und früher oder später schon mal wissen sollten, welches Gemüse uns schmeckt?

Wie gesagt, früher dachte ich auch, dass ich es schaffe, mich durch das gesamte Grünzeug-Sortiment zu probieren, während ich nebenbei mein stabiles Fundament mit den oben beschriebenen Bestandteilen aufbaue.

Immer lächelnd versteht sich. Unverträglichkeiten oder innere Unruhen, die z.B. durch zu viel Kohl entstehen, sind quasi nicht existent. Danach putzt man sich den Mund ab et violà: die Persönlichkeit steht.

Einen Preis für „the-most-charming-person“ wird man in diesen Phasen sicherlich nicht bekommen.

Leider weit gefehlt. Die 30 ist noch etwas entfernt, aber rückt stetig näher und weder das Gemüse-Tasting noch die Fundamentbildung sind abgeschlossen. Und auch mit dem Dauerlächeln klappt es nicht so. Es ist anstrengend und nervenaufreibend. Es verunsichert und demotiviert. Man wird anderen und sich selber zu viel und einen Preis für „the-most-charming-person“ wird man in diesen Phasen sicherlich nicht bekommen.

Aber bevor man vor Erschöpfung kollabiert oder sich in den Topf einer Generation mit Buchstabenanhang hineinwerfen lässt, sollte man kurz innehalten und eine Pause einlegen.

Denn der wertschätzende Passant wird wieder vorbeikommen und statt des Chaos und des Bauschutts die Bemühungen und das finale Endbild sehen. Und er wird dir einen verständnisvollen aber ermutigenden Blick zuwerfen, der dir aus deiner kleinen Sinnkrise heraushilft und dich dazu bringt, den Hammer wieder in die Hand zu nehmen (und ja, Hammer war das einzige Werkzeug, das mir an dieser Stelle eingefallen ist).

Nehmt euch die Zeit für eure inneren Baustellen

Egal in welchem Stadium wir sind, wir können uns trauen, den Sichtschutz der inneren Baustelle zu entfernen und die Prozesse transparent zu machen. Es gibt wertschätzende Passant:innen und es gibt diejenigen, die hervorragend altklug sind, auf deren Kommentare ihr nicht hören müsst. Denn mit solchen Leuten habt ihr maximal gemeinsam, dass keiner von euch den „most-charming-person“-Award bekommen wird – ihr aber nur temporär in intensiven Bauphasen und diese Leute vermutlich nie.

Solche Menschen werden vorbeikommen, ungefragt ihren Senf dazugeben und anschließend in ihr Haus von der Stange zurückgehen. Dort werden sie sich mit dem Nachbarn, der in dem nahezu identischen, aaaaaaber – und jetzt kommt der Clou – spiegelverkehrten Haus lebt, darüber auslassen, wie wild es bei euch drüben aussieht.

Aber Großprojekte brauchen Zeit. Und genau diese Menschen werden früher oder später mit einem Fernrohr an ihrem Standardgrößen-Fenster stehen und auf euer fertiggestelltes Zuhause schauen. Eingeschüchtert, imponiert und ein wenig neidisch. Und ihr werdet im Garten stehen, euer Werk und damit euch selbst bewundern und wissen, dass sich wirklich alles gelohnt hat.

Dann werdet ihr Karotten, Salat und Rote Beete aus eurem Gemüsebeet ernten und die exotischeren Sorten nochmal ordentlich gießen. Denn alles probiert habt ihr noch lange nicht und eure Neugier auf Neues ist nach wie vor da.

Also: Build your home und eat your greens!

Janna steht auf Struktur und Tiefe in einer häufig ungeordneten und oberflächlichen Welt. Sie schätzt ehrliche Umarmungen, die Fähigkeit, Gefühle und Emotionen zu zeigen und erkennt den Wert hinter der nächtlichen „Bist du gut nach Hause gekommen?“-Frage. Manchmal kriegt sie Herzrasen von zu viel Kaffee und manchmal von schönen Begegnungen. Manchmal findet sie Inspiration in Kunst, Persönlichkeiten und Worten und manchmal in Dingen wie Mode, Make-up und gut gefüllten Weingläsern. Wie so oft im Leben gilt auch bei ihr: It‘s all about the balance. Cheers! Mehr von Janna gibt es auf Instagram.

Headerfoto: Brooke Cagle via Unsplash. („Wahrheit oder Licht“-Button hinzugefügt.) Danke dafür.

1 Comment

  • Ein wirklich gelungener Artikel. Finde es oftmals schade, dass viele Menschen nur mit „Masken“ durchs Leben gehen. Dabei sind es gerade die Ecken und Kanten, welche uns so besonders machen. Deshalb sollten wir keine Scheu davor haben, uns so zu geben, wie wir wirklich sind. Und wenns jemanden nicht passt? Egal, der/die ist unserer Aufmerksamkeit nicht wert.

    Liebe Grüße Micha

    ______________________________
    http://www.michaslifestyle.at

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