„Für ne Feministin echt okay“ – Warum es nicht meine Aufgabe ist, angenehm für dich zu sein

Immer wenn ich mich mit Menschen, die offenkundig jetzt nicht so wahnsinnig feministisch eingestellt sind, unterhalte, bekomme ich früher oder später folgende Sätze vor den Latz geknallt: „Für ne Feministin hast Du echt Humor“ oder „Du bist eine sehr angenehme Feministin, nicht so wie die Anderen.“

Früher wollte ich das gerne als Kompliment sehen, bis mir irgendwann aufgefallen ist, dass es keins ist. Weder für mich noch für andere Frauen, die für dasselbe einstehen wie ich. Denn vor kurzem las ich auf Instagram folgenden Satz: „Wenn ein Mann – wir ersetzen es mal durch Mensch – dir sagt, dass du was Besonderes und nicht so wie die anderen Frauen da draußen bist, dann ist das keineswegs schmeichelhaft für dich, sondern eine Beleidigung gegen dein ganzes Geschlecht.”

Wenn ein Mensch dir sagt, dass du nicht wie die anderen Frauen da draußen bist, dann ist das eine Beleidigung gegen dein ganzes Geschlecht.

Die Erkenntnis dessen, dass es sich praktisch um ein und denselben Kommentar handelt wie die zu Anfang zitierte Bemerkung über meine Qualitäten als Feministin, traf mich wie ein Schlag ins Gesicht. Und dann fragte ich mich, wie es dazu kommt, dass ich diesen Satz immer wieder höre. Und mir fiel auf: Ich habe das Ottilie-Problem.

Du passt dich an, schweigst und schweigst. Und irgendwann verschwindest du.

Ottilie ist eine Figur aus Goethes Die Wahlverwandtschaften und die Ziehtochter des wohlhabenden Ehepaars Charlotte und Eduard. Bedingt durch Ottilies frühen Verlust ihrer leiblichen Eltern, besucht sie zunächst eine Schule für höhere Töchter, für deren Kosten Charlotte aufkommt. Dort tut sie sich eher durch Fleiß, Dienstbarkeit und eine gewisse Enthaltsamkeit beim Essen als durch Talent hervor. Charlotte und Eduard beschließen daraufhin, sie bei sich auf dem Landgut aufzunehmen.

Ottilie ist leise, fast unhörbar bewegt sie sich durch das Haus und nimmt wenig Platz ein. Als Gesprächspartnerin ist sie stets das, was sich ihr Gegenüber (meist ist es Eduard) wünscht. Überall, wo es eine Lücke zu füllen gibt, passt sich Ottilie ein, was ihr dank ihrer geistigen Formbarkeit wie körperlichen Zierlichkeit sehr gut gelingt. Ottilie, das Musterbeispiel der damals gewünschten Frau: still, schön, fürsorglich und formbar.

Als Gesprächspartnerin ist sie stets das, was sich ihr Gegenüber wünscht.

Das Blöde daran ist nur: Am Ende ist durch Ottilies krankhafte Anpassungsversuche an ihre Umwelt, um allen zu behagen, einfach nichts mehr von ihr da. Sie stirbt. Ein hoher Preis dafür, es möglichst allen recht machen zu wollen.

Die von Goethe dargestellte Geschichte der Ottilie ist eine extreme. Trotzdem oder vielleicht gerade deswegen ist es eine gute Belehrung darüber, dass es niemandem und am allerwenigsten mir hilft, wenn ich als Frau möglichst angenehm für meine Umgebung bin, weil man es von mir erwartet. Sich davon zu lösen, ist gar nicht einfach, das weiß ich. Denn sicherlich ist es ein schönes Gefühl, zu gefallen. Und eine freundliche Diskussion, bei der sich beide Parteien schlussendlich vielleicht sogar einigen, ist selbstverständlich wesentlich komfortabler als ein Streitgespräch.

Du musst erstmal gar nichts!

Aber es ist nicht meine Aufgabe und erst recht nicht meine Pflicht als Frau, es meinem Gesprächspartner – ob Mann, Frau, inter- oder andersgeschlechtlich – besonders leicht zu machen, indem ich mich zurückhalte und möglichst zuvorkommend bin. So lassen sich keine Debatten führen. So lässt sich in der Frage um wirklich echte Gleichberechtigung, den Gender Paygap und die nach wie vor anhaltende Diskriminierung von alleinerziehenden Müttern keinen Schritt nach vorne tun.

Und das muss aber, auch im Jahr 2019 noch, dringend geschehen. Frauen dürfen es sich nicht zum Vorwurf machen (lassen), nicht angenehm zu sein, nur weil sie sich für ihre eigenen Interessen einsetzen. Und weil etwas anderes von Ihnen erwartet wird.

Frauen dürfen es sich nicht zum Vorwurf machen lassen, nicht angenehm zu sein.

Es ist wichtig, dass wir uns alle von den längst überkommenen Erwartungen an Geschlechterrollen lösen: Frauen müssen nicht leise sein, müssen nicht immer um jeden Preis fürsorglich und nachsichtig, hübsch oder gefällig sein. Sie dürfen das sein, wenn sie möchten.

Aber es sollte ihrer Wahl überlassen sein und nicht einfach von ihnen verlangt werden. Oder wie meine Mama immer sagte: Du musst erstmal gar nichts. Und das stimmt. Und ich hab mir das gemerkt. Warum? Weil meine Mama immer laut war – gar nicht so, wie man es von einer Frau erwarten würde.

Headerfoto: Timothy Paul Smith via Unsplash. („Gesellschaftsspiel“-Button hinzugefügt.) Danke dafür!

LINDA hat an Heiligabend Geburtstag, kommt aus dem Rheinland, ist aber im Herzen Hamburgerin. Sie hat Literatur in Bonn und Hamburg studiert und mit einer Arbeit über die Liebe abgeschlossen. Für die Liebe ist sie auch nach Berlin gezogen. Bei im gegenteil liest sie deswegen auch Liebesbriefe und sorgt dafür, dass diese hübsch gemacht sind für dieses Internetz.

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