Nächte mit Nadir schmecken nach Autobahnfahrten bei Regen, teurem Likör und Sex in heruntergekommenen Motels. Manchmal bekomme ich davon Kopfschmerzen, manchmal lässt mich der Schwindel schweben. Ich frage mich, wie es heute sein wird, zünde mir eine Zigarette an und versuche meine Lungen auf das, was kommen wird, vorzubereiten.
Ich rieche die bekannte Mischung aus Weichspüler und Rauch.
Wir treffen uns in einem Park mit alten Kriegsdenkmälern und noch älteren Bäumen. Ich laufe über nasses Gras und Kronkorken, bestimmt liegen auch Spritzen im Gras, sehen kann ich keine, es ist Nacht. Zur Begrüßung breitet Nadir die Arme aus, zieht mich zu sich und ich rieche die bekannte Mischung aus Weichspüler und Rauch.
Ich stecke meine frierenden Finger in die Taschen von Nadirs Jeans und er lacht, in seinem Kopf sind meine Finger längst woanders. Er flüstert meinen Namen und ich schließe die Augen, denn nur bei ihm hat mein Name diesen Klang. Dann merke ich wie Nadirs Finger unter meinen Rock greifen, Nadir kommt schnell zum Wesentlichen und mit ihm tue ich es ihm gleich.
Mit Nadir bin ich anders.
Mit Nadir geht alles schnell, so schnell, dass ich über mich selbst erstaunt bin. Es ist, als sähe ich mir einen Film an – die Figur darin heißt wie ich, sieht aus wie ich, sie fühlt wie ich und dennoch ist da etwas anders. Sie hat etwas an sich, das ich an mir noch nicht entdeckt habe.
Nadirs Finger fahren über die Innenseiten meiner Oberschenkel, einen Moment überlege ich, mich dagegen zu wehren, dann spüre ich Bartstoppeln an meiner Stirn und Nässe zwischen meinen Beinen. Ich presse mich gegen Nadirs Hände, noch sind sie nicht unter der Strumpfhose – mein Gesicht versinkt irgendwo zwischen seinem Hals und seinem Schlüsselbein, einer meiner Lieblingsstellen an Nadirs Körper.
Als ich Nadir das erste Mal sah, traf mich etwas Blitzähnliches, aber das war nicht so romantisch, wie es klingt. Trotzdem begleitete mich Nadir ab diesem Zeitpunkt.
Als ich Nadir das erste Mal sah, traf mich etwas Blitzähnliches, aber das war nicht so romantisch, wie es klingt, denn ich dachte nur, wow, schon wieder so eine nachpubertäre Verirrung. Trotzdem begleitete mich Nadir ab diesem Zeitpunkt, wenn ich auf WG-Partys auf wackeligen Küchenstühlen saß, links von mir ein Junge, dessen Worte wie Valium durch meinen Körper flossen.
Ich stellte mir dann vor, wie es wäre mit Nadir dort zu sein. Wir würden uns auf der Toilette einschließen, uns ausziehen und unsere Körper gierig aneinander reiben. Hinterher würden wir verschwitzt und glücklich Zigaretten teilen, das Lächeln einer Komplizenschaft würde auf unseren Lippen kleben.
You’re a dream, I hope I never meet you.
In meinem Kopf war Nadir gleichzeitig Liebesfilmschnipsel und Masturbationsfantasie, er war nicht real und ich weiß nicht, ob ich ihn real werden lassen wollte. Ich las zu dieser Zeit viel Sylvia Plath, sie ist großartig – und dennoch nur ein weiterer Beweis für die Romantisierung von Leid. Trotzdem fühlte ich mit ihr, vor allem wenn sie schrieb, You’re a dream, I hope I never meet you.
Der echte Nadir ist mittlerweile unter meiner Strumpfhose angekommen und schiebt den Slip zur Seite. Mein Gesicht ist noch immer zwischen Nadirs Schlüsselbein und seinem Hals, ich atme seinen Geruch ein und bin überrascht, wie gut das alles ist. Nässe läuft über Nadirs Finger und vorbeifahrende Fahrradlichter blenden uns.
Ich bekomme wenig davon mit, Nadir ist mein Fokus, meine Pupillen sind auf ihn gerichtet. Aber hinter den Pupillen sitzt eine breiige Masse Gehirn, das fragt, wie lange es dieses Mal dauern wird, bis die Magie zwischen uns platzt.
Der erste Kuss fühlte sich an, als hätten sich zwei zusammengehörende Puzzleteile gefunden.
Als Nadir real wurde, fühlte sich der erste Kuss an, als hätten sich zwei zusammengehörende Puzzleteile gefunden. Ich schwebte und fürchtete gleichzeitig den Aufprall. Der Nadir in meinem Kopf konnte mich nicht verletzten und so fragte ich mich, ob ich nicht besser dahin zurückkehren sollte. Trotzdem kam es zu Treffen, Nadirs Hände fuhren über meinen Körper und es fühlte sich an, als wären sie in meinem Körper.
Nadirs Hände sind Chirurgenhände, sie können jederzeit in meinen Körper greifen und Herz oder Lunge entfernen. Ich fürchtete, dass Nadir so etwas tun könnte und starrte ihn mit Durst und Angst im Blick an – eine Mischung, die Nadir gierig machte.
Auch jetzt ist Nadir gierig. Er fasst an mein Kinn, sagt Schau mich an. und unsere Lippen treffen sich. Nadirs Lippen sind voll für die eines Mannes, wenn Nadir schläft fahren meine Finger manchmal die Konturen seines Mundes nach. Ich höre sein Atmen, dann fährt sein Mund über meinen Hals und meine Jacke fällt ins Laub. Nadirs Hände berühren meine Brüste, erst mit den Fingerspitzen, dann mit der ganzen Hand und ich kann sehen, wie mein weißer Atem in der Nacht versinkt.
Wie Bonnie und Clyde, aber zusammenflicken muss ich mich alleine.
Früher dachte ich, es wäre nicht Nadir, sondern die Welt, die mich traurig macht. In einer besseren Welt würden wir zueinander finden, dachte ich. Ich stellte mir Nadir und mich als Bonnie und Clyde vor, schwebend zwischen selbstgewählter Isolation und Hingabe.
Ich sah uns in dreckigen Hotels, aus dem Plattenspieler tönten die Doors und in der Badewanne lagen gebündelte Geldscheine. Wir würden ein teures Auto fahren und auf dem Rücksitz falsche Diamanten transportieren. Unsere Lungen wären gefüllt mit Gier und das Pochen in der Brust würde erst aufhören, wenn wir einander hatten.
In einer besseren Welt würden wir zueinander finden, dachte ich.
In dieser besseren Welt hätte das funktioniert – Nadir, der Alpträume aus meinen Wimpern pustet und ich, die Dreck und Whiskey von seinen Lippen leckt. Aber es gibt keine bessere Welt. Zumindest keine außerhalb von uns selbst und ich lernte, dass auch Lippen, die nach Tannen, Weißwein und Nordseeluft schmecken, verdammt süchtig machen können.
Nadirs Finger sind jetzt in mir, stoßen in mich und plötzlich muss ich an Nadirs Fingernägel denken. Sie sind abgekaut und gelblich – als ich Nadirs Finger das erste Mal sah, war ich erschrocken, dass ich sie nicht eher bemerkte. Nadir hat meist Tabakreste an seinen Händen, minimale Partikel von Schmutz, die er jetzt in mich reibt und später ist es wie immer, ich muss mich nach dem Treffen mit ihm wieder zusammenflicken.
In einer besseren Welt wüsstest du, dass du mich leer saugst.
In den Nächten mit Nadir werde ich porös, Welt sickert durch meine Haut, aber vor dieser Welt beschützt mich niemand. Lauf mit mir davon, will ich zu Nadir sagen, aber er sitzt im dreckigen Hotelzimmer, starrt auf die schimmelige Wand und das weiße Pulver in seinen Händen und ich weiß, dass Nadir nicht davonlaufen will.
Es ist so geil in dir zu sein! stöhnt Nadir und Ich will dich ficken. Ich denke, dass es jetzt tatsächlich keinen Unterschied mehr macht und das macht mich traurig. Ich beginne, mich umzudrehen und den Rock hochzuschieben und da kommt sie wieder – die Momentmagie.
Ich denke an Sommerküsse im See und an so viel mehr, das wartet. Aber nicht mit Nadir.
Er sieht mich an und fragt, ob alles okay ist. In der besseren Welt hätte ich Nadir jetzt von allem erzählt: Dass ich mich mal von ihm gefüllt und mal von ihm leer gesaugt fühle. Ich hätte ihn gefragt, ob es nicht auch anders geht und vielleicht wäre es anders gegangen.
In der richtigen Welt will ich mich aber nicht leer saugen lassen und plötzlich denke ich an Sommerküsse im See und Gedichte unter der Bettdecke vorlesen und an so viel mehr, das wartet. Aber nicht mit Nadir. Ich sehe ihn an, meinen magischen Nadir, ich presse meine Nase an die Lieblingsstelle zwischen Schlüsselbein und Hals und rieche, zwischen Weichspüler und Rauch, feuchtes Laub.
Headerfoto: Stockfoto von Maksim Shirkov/Shutterstock. („Sexy Times“-Button hinzugefügt.) Danke dafür!