Von Polyamorie lernen statt sie verurteilen: Warum wir mehr zuhören sollten

Als eine polyamore Person muss ich sagen: Monogame Menschen frustrieren mich zutiefst.
Versteht mich nicht falsch, ich respektiere monogame Menschen, ich verstehe das Bedürfnis, Beziehungen nur zu zweit zu führen und ich würde nie versuchen, jemandem meinen Lebensstil aufzuzwingen. Ich verstehe, das Polyamorie nicht für alle das Richtige ist. Ihr seid valide.

Was ich nicht verstehe sind die Erwartungen, die an mich als polyamore Person gestellt werden. Ich rede noch nicht mal von Menschen, die denken, dass ich „für die richtige Person“ schon meine Poylamorie aufgeben und wieder monogam werden würde.

Ich glaube, dass es viele richtige Personen gibt, denn es gibt so viele großartige Menschen auf dieser Welt.

Es gibt nicht die eine richtige Person

An der Stelle: Ich glaube einfach nicht daran, dass es die eine richtige Person gibt, ich glaube daran, dass es davon viele gibt. Denn es gibt so viele großartige Menschen auf dieser Welt, die alle auf ihre eigene Weise besonders und richtig sind. Manchmal sogar auf Arten, die sich gegenseitig so sehr ausschließen, dass eine einzelne Person sie unmöglich in sich vereinen könnte. Entsprechend glaube ich auch generell, dass die Erwartung an sich selbst, irgendwie perfekt genug zu sein, um sämtliche sozialen Bedürfnisse eines Partners/einer Partnerin ganz allein erfüllen zu können, absolut toxisch ist. Bitte seid nicht so hart zu euch selbst (oder anderen).

Es ist auch nicht die Tatsache, dass ich wegen meiner Polyamorie abgelehnt wurde. Wie gesagt: Es ist nicht für alle etwas, und wenn meine Polyamorie für euch genauso ein Deal-Breaker ist wie eure Monogamie für mich, dann ist das absolut fair, anscheinend sind wir nicht füreinander bestimmt.

Manchmal passen unsere Bedürfnisse und Präferenzen halt nicht zusammen.

Es ist im Prinzip das gleiche, wenn ein Mann, auf den ich stehe, mir sagt, dass er schwul ist. Manchmal passen unsere Bedürfnisse und Präferenzen halt nicht zusammen. Das ist traurig und heißt nicht, dass es nicht dennoch schmerzhaft sein kann, aber shit happens. So ist das Leben.

Was mich aber absolut fertig macht ist die Idee, dass unsere Arten, Beziehungen zu führen, so grundlegend unterschiedlich sind, dass jeglicher Rat, den ich versuche zu geben, für welche Situation auch immer, unmöglich auf euch anwendbar ist.

Exklusivität? Nein, danke. 

Die Basis für mein Beziehungskonzept ist die Nicht-Exklusivität – und das ist auch schon der größte Unterschied. Anderweitig könnte ich meine Beziehungen genauso leben wie jede ganz herkömmliche monogame Beziehung, nur dass es eben mehrere wären. Aber das tu ich nicht. Mein Polykül und ich leben das Konzept der Beziehungsanarchie.

Beziehungsanarchie beschreibt die Idee, jede soziale Bindung, die man eingeht, von Grund auf neu auszuhandeln.

Beziehungsanarchie beschreibt die Idee, jede soziale Bindung, die man eingeht, von Grund auf neu auszuhandeln. Basierend auf den Wünschen und Bedürfnissen der Beteiligten. Das betrifft nicht nur romantische Beziehungen, sondern genauso Freundschaften, Familie etc. Einmal alle gesellschaftlichen Normen über Bord werfen und darüber reden, was wir eigentlich voneinander wollen und brauchen, und versuchen, sich auf Dinge zu einigen, die für alle Beteiligten gut funktionieren. Ja, das ist jede Menge Arbeit, aber das ist die Sache wert – das könnt Ihr mir glauben.

Das Großartige ist, dass Beziehungsanarchie durchaus auch auf Monogamie angewandt werden kann, da es schließlich auch um Grenzen geht. Eine dieser Grenzen könnte eben in der Exklusivität der Beziehung liegen und das ist auch absolut okay.

Ich verstehe, dass das beängstigend und anstrengend ist.

Der wichtigste Schlüssel dafür, dass das Ganze funktioniert, liegt allerdings in absoluter Ehrlichkeit. Es ist harte emotionale Arbeit, a) die eigenen Gefühle zu reflektieren, herauszufinden, was stört und warum und b) auch mit den anderen Beteiligten über diese Gefühle zu sprechen. Ich verstehe, dass das beängstigend und anstrengend ist, aber ich verspreche, es wird dich glücklicher machen, als  das alles herunterzuschlucken und zu hoffen, dass sich Dinge wie durch Magie von alleine ändern.

Der einzige Unterschied jetzt ist, dass ich ein Polykül habe, dass mich nicht damit durchkommen lässt, mir selbst etwas vorzumachen.

Und wenn ich absolut ehrlich bin, ist natürlich der Gedanke, dass Kommunikation der Schlüssel für eine funktionierende Beziehung ist, mir nicht neu. Es ist etwas, das ich schon mein ganzes Leben vertrete.  Auch in sämtlichen monogamen Beziehungen, die ich hatte, bevor ich begann polyamor zu leben. Der einzige Unterschied jetzt ist, dass ich ein Polykül habe, das mich nicht damit durchkommen lässt, mir selbst etwas vorzumachen. Und dafür bin ich unfassbar dankbar, denn es hilft mir auch, mich selbst besser zu verstehen.

Kommunikation ist der Schlüssel….

Seit ich so lebe, habe ich mehr über mich selbst gelernt, wie mein Kopf funktioniert, warum mich manche Dinge so beeinflussen, wie sie es tun etc. als in den 24 Jahren davor.

Auf einmal scheint reden ein absolut unkonventionelles Konzept zu sein.

Und dennoch, warum auch immer, scheinen monogame Menschen diesem einfachen Rat sehr skeptisch gegenüberzustehen, seit ich angefangen habe polyamor zu leben: Bitte redet doch miteinander. Auf einmal scheint es ein absolut unkonventionelles Konzept zu sein obwohl es wahrscheinlich der Spitzenreiter der Ratschläge in jeder Beziehungskolumne seit Jahrzehnten ist. Weil er von mir kommt.

Leute scheinen sich so weit wie möglich von meinem Lebensstil distanzieren zu wollen und suggerieren mir damit, etwas Anstößiges zu tun. Jeder Versuch meinerseits, ehrlich mit ihnen umzugehen, wird als Versuch gewertet, ihnen einzureden, dass Polyamorie der einzig wahre, richtige Weg zu leben ist.

Ich kann nur Probleme lösen, von denen ich weiß.

Ich mache mir nichts draus, wenn Ihr monogam seid. Aber warum weigert Ihr Euch so verbissen, Probleme offen anzusprechen – als ersten Schritt hin zu einer Lösung? Nur um dann wütend auf mich zu sein, weil ich genau das tue und außerdem weil ich noch immer keine Gedanken lesen kann? Ich kann nur Probleme lösen, von denen ich weiß. Und weil ich ein harmoniebedürftiger Mensch bin, werde ich genau das auch jederzeit sehr gern versuchen – aber dazu muss ich zuerst wissen, dass es ein Problem gibt und was es ist.

Aber selbst wenn ich geradeheraus nachfrage ernte ich viel häufiger ein gelogenes „Nein, alles ist gut“ statt einer ehrlichen Antwort. Ich bin es so leid, die emotionale Arbeit zu leisten. Nur um am Ende dafür abgesägt zu werden, weil ich nicht weiß, was eine Person von mir braucht. Und das tut weh. Ich spreche auch hier nicht nur von romantischen Beziehungen, sondern auch von Freundschaften, Familie, Kollegen und so weiter.

…Zuhören gehört auch dazu

Liebe monogame Menschen, bitte versucht, das zu hören, was ich tatsächlich sage.

Liebe monogame Menschen, bitte versucht, das zu hören, was ich tatsächlich sage, statt anzunehmen, dass ich, sobald ich von meiner Polyamorie erzähle oder Erfahrungen aus ihr auf meinen Alltag anwende, versuche Euch zu bekehren. Es erinnert unschön an das Vorurteil, dass LGBT+ Menschen alle um sie herum schwul machen wollen. Und ehrlich gesagt, das steht Euch nicht sonderlich gut.

Umgekehrt verspreche ich, dass ich auch auf euren Rat hören werde, statt zu denken, dass ihr mich nur monogam machen wollt. Weil ich immer noch denke, dass wir gar nicht so unterschiedlich sind. Wir arbeiten nur mit unterschiedlichen Mengen.

Lisa Demonhead ist  ist Bücherwurm mit Ausbildung, überzeugte Feministin und Antirassistin, Künstlerin. Auf ihrem Blog imposterfox schreibt sie über Bücher, Filme, Politik und alles was ihr sonst so auf der Seele brennt, und bei Instagram findet man neben schlecht abfotografierter aber sonst ganz cooler Kunst süße Fotos von ihrer Hündin, mit der sie in Leipzig lebt, und mit ihrem Polykül, das in der halben Welt verteilt ist.

Headerfoto: Jasmine Ornelas via Unsplash. („Gesellschaftsspiel“-Button hinzugefügt.) Danke dafür!
Autorinnenfoto: Michael Walther Fotografie.

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