Es ist Sommer. Nein, eigentlich sieht es nur so aus wie Sommer. Einer dieser Tage, die uns daran erinnern, wie schön die Welt im Licht aussieht. Wie gut es tut, die angenehme Wärme auf unserer geschundenen, viel zu trockenen und zu blassen Winterhaut zu spüren.
Der Tag ist wunderbar, wir schmeißen uns übertriebenerweise in Trägertops und Shorts, obwohl eigentlich noch gar nicht die Zeit dafür ist. Als könnten wir damit den Frühling zum Sommer machen.
Welch tief metaphorisches Motiv doch in dieser Szenerie steckt: Ich habe mich um meinen Balkon gekümmert. Das Unkraut, das sich über die letzten Monate erbarmungslos ausgebreitet hat, unbeholfen herausgezogen. Ich wollte neue, bunte Sommerblumen kaufen gehen. Die gab es aber nicht. So habe ich aus Frust Efeu für 1,50 € gekauft. Und eingepflanzt. Und gegossen. Nun sitze ich hier und warte, bis es alles zuwuchert. Alles soll zuwuchern.
Nun sitze ich hier und warte, bis es alles zuwuchert. Alles soll zuwuchern.
Als ich gefegt habe, habe ich zwischen den Balken des Holzbodens ein Konfettistück gefunden. Dieses kleine, glänzende Konfettistück hat mich zum Lächeln gebracht. Sekundenbruchteile später ist eine Träne darauf getropft. Dann habe ich es weggefegt.
Tage wie diese sehen aus wie Sommer. Fühlen sich so an wie Sommer. Sobald die Sonne untergeht, frieren wir uns den Arsch ab, in unseren dünnen T-Shirts und Shorts und holen uns eine Blasenentzündung.
Auf meinem Balkon riecht es wie letztes Jahr. Es sieht auch fast so aus. Den Winter hatten wir nie, aber dafür fast zwei ganze Sommer. Der Sommer sieht aus wie Du. Ich schließe kurz die Augen und stelle mir Dich neben mir vor. Mit Wein und Lachen.
Zwischenbericht. Bestandsaufnahme. Seit du weg bist. Also ganz. Also jetzt richtig. Hat sich hier ganz schön was getan auf meinem kleinen Balkon und in meinem kleinen Kosmos. Als hätte ich all diese unbeschreibliche Wut und Trauer tatsächlich dazu genutzt, mir selbst den Tritt zu geben, den ich so lange gebraucht habe.
Es hat sich hier ganz schön was getan auf meinem Balkon. Als hätte ich all diese Wut dazu genutzt, mir selbst den Tritt zu geben, den ich so gebraucht habe.
Der Fokus, der viel zu lange auf dir lag, der liegt jetzt auf mir. Und damit sind in so kurzer Zeit so unendlich viele abgefahrene Entwicklungen in Gang gekommen, dass ich sie immer noch nicht so ganz greifen kann. Ich, der größte Gegner von Verdrängung und Veränderungen, hat sich diesen faszinierenden Mechanismen einfach mal bedient und siehe da, sogar das ein oder andere verstanden.
Ich habe zum Beispiel verstanden, warum ich so sehr an Dir gehangen habe. Warum Du das einzige warst, was ich gesehen habe. Ich habe meine Art, Dich zu lieben, verstanden.
Der Fokus lag so sehr auf Dir, weil mich die restlichen paar Dinge, aus denen sich mein Leben im Alltag zusammen setzte, einfach nicht erfüllt haben. Weil ich mein Leben nicht so gelebt habe, wie mein Herz es braucht. Weil ich das, wofür alles in mir wirklich brennt, immer wieder verschoben habe. Weil ich mich lieber in meine Comfort-Zone gelegt habe, und Dich von da aus angeguckt habe. So lange. Bis alles drum herum langsam verschwamm und Du das einzige warst, was noch klar zu erkennen war.
Trotzdem soll diese wahnsinnige Erkenntnisflut, die ich auch in zwanzig Life-Coach-Ratgebern hätte nachlesen können, nicht heißen, dass mein Herz hier nicht wusste, was es tat.
Ich habe mich in meine Comfort-Zone gelegt und Dich von da aus angeguckt habe. So lange, bis alles verschwamm und nur Du klar zu erkennen warst.
Meine Gefühle zu dir waren bedingungslos. Anders als in vorherigen Konstellationen habe ich dafür nichts erwartet. Dies ist nicht nur eine Floskel. Dich, mit allem was Du bist, in meinem Leben zu haben, daran, an Dir, teilzuhaben, mehr brauchte es nicht. Einen anderen Menschen wirklich nur für das, was er ist, nicht für das, was er dir gibt, zu schätzen, ist eine großartige Erfahrung und dafür bin ich unendlich dankbar.
Und nun sieht es aus wie Sommer und alles schmeckt nach Zuckerwatte. Ich bin weise und ändere mein Leben. Fast. Ich träume von Dir. Fast jede Nacht. Wenn ich versuche, mich auf Dates einzulassen, dann funktioniert das nicht. Ich suche noch Dich, ziehe Vergleiche und es interessiert mich einfach nicht. Ich denke an Dich und frage mich, ob seit dem Tag, an dem Du aus meiner Haustür gegangen bist, Du auch noch ein einziges Mal an mich gedacht hast.
Ich sehe eine schreckliche Trash-TV-Sendung und weiß, wie du gerade vor dem Fernseher sitzt und irgendetwas Semi-Witziges dazu sagst. Und ich, ich fange an zu heulen, wenn ich ein Konfettistück zwischen dem Holz auf dem Balkon finde.
Denn auf eines müssen wir vertrauen, nämlich darauf, dass der Sommer irgendwann kommt. So richtig und mit allem.
Die Sonne ist untergegangen und es ist kalt. Der Sommer ist noch nicht da, egal, wie sehr man ihn herbeisehnt. Aber wir sind auf einem guten Weg dahin. Das hier, das ist nur der Zwischenbericht. Nur der Moment, die aktuelle Bestandsaufnahme. Der Fast-Sommer mit Schatten. Deinem Schatten.
Es ist gar nicht so schlimm, sich noch die Jeansjacke anzuziehen, die Decke um die Schultern zu legen und zu warten, dass alles noch ein bisschen wärmer wird. Denn auf eines müssen wir vertrauen, nämlich darauf, dass der Sommer irgendwann kommt. So richtig und mit allem.
Headerfoto: Brad Lloyd via Unsplash. („Gedankenspiel“-Button hinzugefügt, Bild gecroppt.) Danke dafür!
Ganz toller Text der meiner Situation auch so sehr gerecht wird.
Man ist übern Berg aber eigentlich auch noch nicht … freut sich aber sehr auf den Sommer ohne Schatten 🙂
LG
Danke Dir <3