Das kleine Restaurant ist voll, in den letzten 20 Minuten wurden bereits vier Anfragen abgelehnt. Dabei ist heute ein Wochentag. Ich blicke von meinem Essen auf, gerade ist mir eine neue belanglose Frage eingefallen. Die Antwort interessiert mich nicht, aber es ist besser, als schweigend gegenüber zu sitzen. „Ich habe gerade So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein! von Christoph Schlingensief gelesen. Hat mir echt gut gefallen! Liest du auch gerne?“
Mir ist eine neue belanglose Frage eingefallen. Die Antwort interessiert mich nicht, aber es ist besser, als schweigend gegenüber zu sitzen.
Eigentlich sagt die Tatsache, dass ich dieses Buch gerade gelesen habe und ehrlich davon angetan war, mehr über mich aus als ich ihm von mir preisgeben wollte. Er schaut mich an und ich kann seinem Blick entnehmen, dass er diesen Titel noch nie gehört hat. Vermutlich denkt er, dass es sich um irgendeinen schnulzigen Roman handelt, den man vor den Kassen in Supermärkten findet.
Ich muss mich konzentrieren, um nicht die Augen zu verdrehen. Er fängt an zu reden und erzählt mir, dass Bücher nicht so sein Fall seien, sie sogar antiquiert fände. In der digitalen Welt fühle er sich wohler. Analog Bücher zu kaufen grenze an Irrsinn. Wenn er unterhalten werden möchte, dann öffne er Netflix oder YouTube.
Traumprinzen warten nicht darauf, dass du nach rechts wischst
Während er so redet, stelle ich mir vor, wie er in Jogginghose vor seinem Laptop sitzt und das neuste Capital Bra Musikvideo schaut. Ein bisschen schäme ich mich für dieses Vorurteil, kann es aber trotzdem nicht ganz aus meinem Kopf verdrängen. Ich wusste, dass der Abend so verlaufen würde.
Denn Traumprinzen warten eben nicht darauf, dass du digital ihr Bild siehst und nach rechts wischst. Den echten Traummann erkennst du vermutlich sowieso nicht auf den ersten Blick, aber zum ersten Mal anlächeln sollte er dich trotzdem nicht von einem Foto auf deinem Smartphone.
Der echte Traummann sollte dich nicht zum ersten Mal von einem Foto auf deinem Smartphone anlächeln.
Ich blicke durch das Restaurant. Es ist klein und die meisten Kunden sind ebenfalls in unserem Alter. Ich frage mich, wie viele andere Zweierpaare sich ebenfalls an einem dieser Tisch gegenübersitzen, die sich ebenfalls durch eine Datingapp kennengelernt haben. Bei mindestens einem anderen Paar meine ich, diesen Tinder-Glanz erkennen zu können. Es gibt keinen Körperkontakt, man ist noch nicht vertraut mit dem Gegenüber, scheint sich aber gut zu verstehen. Ich schätze, die beiden haben vor dem heutigen Abend schon mal einen Kaffee miteinander getrunken.
Neugierig schaue ich den beiden noch einen Augenblick zu, versuche zu erkennen, worum es in ihrem Gespräch geht. Bevor mich falscher Neid überkommen kann, wende ich den Blick ab und lande mit meinen Augen schließlich beim Barkeeper.
Er ist groß und schmal, ein Arm ist tätowiert, seine Haare kurz und (vermutlich absichtlich) zerzaust. Wenn er ein Buch wäre, hätte es einen abgenutzten Ledereinband und viele spannende Geschichten auf seinen Seiten. Auch er blickt zu mir. Ob er wohl sieht, dass ich mich langweile und den Abend lieber anders verbringen möchte? Ob ich für ihn wie ein offenes Buch bin?
Bei allem, was ich gesagt habe, habe ich mich komisch gefühlt
Adam schaut mich von der Seite an. Wir sind auf dem Weg zum Rhein. Glaube ich zumindest. Wir haben nicht abgesprochen, wohin wir gehen, wir laufen einfach nebeneinander her. Mir wäre am liebsten, wenn wir nie an einem Ziel ankommen, sondern einfach nur weiter nebeneinander hergehen. „Warum hast du schon so früh Feierabend?“ frage ich. „Habe ich nicht, aber mein Kollege hat gesagt, er arbeite für den Rest des Abends für zwei, wenn ich lieber Zeit mit dir verbringen möchte.“
Er lächelt. Wäre mein Gesprächspartner noch der Typ aus dem Restaurant, hätte ich meine Augen verdreht. Aber Adam kaufe ich alles ab, und daher erwidere ich sein Lächeln und sage, dass ich froh bin, dass er so hilfsbereite Kollegen hat.
Alles, was mein Date gesagt hat, fand ich komisch, und bei allem, was ich gesagt habe, habe ich mich komisch gefühlt.
„Ich konnte dir ansehen, dass du unbedingt von diesem Date fliehen wolltest. Was war los?“ fragt er. „Wir waren einfach nicht auf einer Wellenlänge. Alles, was er gesagt hat, fand ich komisch, und bei allem, was ich gesagt habe, habe ich mich komisch gefühlt. Ich habe mich gefühlt, als wäre ich in diesen Momenten nicht ich.“
lacht. Er lacht zu hell für das, was ich ihm gerade erzählt habe. „Und wie kam es dann überhaupt zu eurem Treffen?“ Er kennt die Antwort. Vermutlich hatte er selbst schon einige dieser Dates. Dates, die vermutlich keineswegs so geendet sind wie meines am heutigen Abend. „Ich dachte, dass ich es mal ausprobieren muss. Zwei andere Treffen habe ich beide kurz vorher abgesagt, weil ich mich nicht getraut habe.“ – „Du hast dich nicht getraut? Warum?“
So unpersönlich sollte eine Geschichte nicht beginnen.
Seine braunen Augen gucken mich neugierig an. Ich zucke mit den Achseln. Die Antwort auf diese Frage ist mir sonnenklar. Aber ich bin nicht bereit, sie ihm zu verraten. Ich fühle mich wohl und würde ihm vermutlich alles erzählen, was er wissen will. Aber das geht dann doch ein Stückchen zu weit.
Also behalte ich für mich, dass ich mich nicht traue, weil ich glaube, dass die Typen sich bei meinem Anblick umdrehen und gehen würden. Obwohl sie schon ein paar Fotos von mir kennen. Dass ich nicht glaube, dass ich mich jemandem gegenüber öffnen könnte, den ich über eine App kennengelernt habe.
Ich behalte für mich, dass ich mich nicht traue, weil ich glaube, dass die Typen sich bei meinem Anblick umdrehen und gehen würden. Obwohl sie schon ein paar Fotos von mir kennen.
Ich glaube immer noch daran, eines Tages analog jemanden kennenzulernen. Vielleicht in einem Buchladen oder in einem Restaurant.
Dass ich immer noch daran glaube, eines Tages ganz analog jemanden kennenzulernen. Vielleicht in einem Buchladen oder zufällig in einem Restaurant. Wie Adam. Dass ich nicht daran glaube, dass die Typen in diesen Apps ehrlich und treu sind. Und dass ich tief in meinem Inneren es nie mit mir vereinen könnte, mit jemandem mein Leben zu verbringen, den ich auf diese Weise kennengelernt habe.
So unpersönlich sollte eine solche Geschichte, die damit endet, dass wir gemeinsam auf dem Sofa sitzen und uns Fotoalben von uns und unseren Kindern ansehen, nicht beginnen. So gesehen wäre ein Treffen also nur Zeitverschwendung. Aber weil ich auch weiß, dass auch Adam nicht derjenige neben mir auf dem Sofa sein wird, sage ich nur, dass ich manchmal schüchterner bin als ich wirke und Angst habe, verletzt zu werden. Ganz gelogen ist es schließlich nicht.
Ein Buch wie ein Leben
Das Licht der Lampen im Restaurant fällt auf sein Namensschild, als Adam sich vom Zapfhahn wegdreht, um das frisch gezapfte Getränk auf ein Tablett zu stellen. Ich zucke kaum merklich zusammen und wende mich wieder meinem Date zu. Er hat gerade mit der Beschreibung des Inhalts seines Lieblingsvideos auf YouTube geendet und blickt mich erwartungsvoll an.
Ich atme tief ein, entschuldige mich, lege Geld auf den Tisch und stehe auf. Als ich den Laden verlasse, denke ich nicht nochmal an Adam oder den Typen, der verwirrt alleine an einem Tisch sitzt. Ich liebe Bücher und umgebe mich gerne mit ihnen. Und auch wenn ich gerne ab und zu mal etwas auf Netflix oder YouTube schaue, würde ich alle meine digitalen Accounts aufgeben, um analog das eine Buch zu finden, das ich nie mehr hergeben und mein ganzes Leben lang lesen will.
Headerfoto: Brad Lloyd via Unsplash. („Gedankenspiel“-Button hinzugefügt.) Danke dafür!
Eine leider der oberflächliche Frau würde ich sagen. Warum sollte man Online keine Männer finden die treu sind?
Nicht jeder sucht nur etwas für zwischendurch.
Und natürlich passt es bei den meisten Treffen nicht, weil man sich nur von Bildern und vom schreiben her kennt.
Ich hatte aber schon einige Dates die wirklich sehr sehr schön waren. Allerdings waren die Dates überwiegend nicht passend. Aber genau dasselbe kann man auch haben wenn man jemanden auf der Straße kennenlernt. Und wer sagt, dass genau diese Männer treuer sind?
Leider wie gesagt, recht oberflächliche und altbackene Gedankengänge.