Es ist Ostern und ich habe mich daran erinnert, wie ich mir vor zwei Jahren überlegt hatte, jedes Jahr diese Zeit zu nutzen, um durch meine Wohnung einen Orkan fegen zu lassen, den Frühlingsputz zu machen und auszumisten. Quasi wie Marie Kondo, bevor es diese Serie überhaupt auf Netflix gab. Die Absicht war löblich, das Ergebnis übertraf komplett meine Erwartungen. Nach dieser sportlichen Aktion konnte ich sprichwörtlich wieder aufatmen.
In allererster Linie heißt Frühlingsputz gründlich putzen, also auch die Dinge, die man bei der regelmäßigen Reinigung auslässt. Fenster, Gewürzregal, Küchenschränke. Für mich hieß es außerdem: Alles wegzuschmeißen, was ich nicht mehr brauche. Und alles in meiner Wohnung zu Ende zu bringen, was mein Chi stört.
Die Wohnung als ein Ort, wo stressfreie Ruhe sein kann
Ich hatte kurz vorher ein Buch über Feng Shui gelesen, das ich irgendwo gefunden hatte. Für mich ist darin die wichtigste Information gewesen, dass meine Wohnung ein Ort sein sollte, wo ich in völliger stressfreier Ruhe sein kann.
Das bedeutet, wenn da ein Spiegel ist, der noch nicht aufgehängt wurde, eine Wand, die noch anders gestrichen werde sollte oder eine Glühbirne hängt, die noch keinen Lampenschirm hat, dann muss das zu Ende gebracht werden. Denn jeden Tag nervt einen das. Am Anfang bewusst, irgendwann nur noch unbewusst. Es bringt Unruhe, deswegen ist es wichtig, dass es erledigt wird.
Wie man den Lappen schwingt, weiß ich natürlich. Wie man sich easy-peasy von Dingen trennt, nicht. Aber ich habe mich daran erinnert, dass meine Schwester das sehr gut kann. Beim Aufräumen hat sie es früher immer wieder geschafft, dass ich meine emotionale Bindung, sagen wir zu einem Zettel, so lange in Frage gestellt habe, bis mir klar wurde, dass ich den Zettel vielleicht doch nicht mehr brauche. Allerdings hat meine Schwester auch das Land verlassen, ich konnte mir also maximal einen guten Tipp über Skype abholen. Und sie hat sich nicht lumpen lassen: „Karlie, alles, was du seit einem Jahr nicht angefasst hast, kann weg.“ Oha, okay, auf geht’s.
Alles, was du seit einem Jahr nicht angefasst hast, kann weg.
Mein Zuhause ist eine gut geschnittene, allerdings recht übersichtliche 1-Raum-Wohnung mit circa 42 Quadratmetern. Mit der richtigen Musik können sich Zimmer-Küche-Bad-Flur in Nullkommanix reinigen, entmüllen und fixen lassen. LOL. Heute vielleicht, weil ich vor zwei Jahren so gute Arbeit geleistet habe. Damals habe ich eine komplette Woche für die ganze Sache gebraucht. Pain.In.The.Ass!
Mich erfasst nach wie vor Erstaunen und Scham, wenn ich an diese Aktion zurück denke. Nicht nur, weil eine Woche impliziert, dass da wirklich was im Argen gelegen haben muss, sondern auch, weil die hard facts für sich sprechen: Ich habe 12 volle 120 Liter-Müllsäcke aus meiner Wohnung getragen, davon waren nur drei voll mit Klamotten. Darüber hinaus eine Kiste mit vielerlei Dingen, die Kinder zum Malen oder Spielen gebrauchen können, mehrere kleine Möbelstücke und Kartons voll mit Stuff, den man mit viel Geduld auf dem Flohmarkt hätte verhökern können.
Es war eine kleine Befriedigung, dass ich mit ein paar dieser Dinge andere Menschen glücklich machen konnte.
Die Spielkiste ist beim Kindergarten im Haus gelandet, die Klamotten beim Flüchtlingscamp im Tempelhofer Flughafen. Für den Flohmarkt hat mir nach dieser Woche leider die Geduld gefehlt, deswegen gab‘s nur ein kurzes Pick-What-You-Like im Studio und dann die Fahrt zum Sperrmüll. Es war eine kleine Befriedigung, dass ich mit ein paar dieser Dinge andere Menschen glücklich machen konnte. Nach wie vor allerdings überwog die Scham. Ich brauchte Hilfe von zwei Freunden, um diesen kleinen Umzug zu bewältigen.
Wo um alles in der Welt ist dieses ganze Zeug gewesen und warum um alles in der Welt hatte ich es so lange herum liegen? Frage eins lässt sich im Nachhinein leicht beantworten. Alles war irgendwie zugestellt. Jedes Regal, jede Schublade, jeder Schrank, es war einfach alles voll. Die Antwort auf Frage zwei fällt mir nach wie vor schwer. Ich kann mich nur erinnern, dass ich irgendwie für jede Gemütslage und jede spontane, kreative Idee ausgerüstet war. Theoretisch keine schlechte Sache, wenn man die Dinge denn auch benutzt.
Nach der eigenen Veränderung, muss auch das Zuhause mitgenommen werden
Mit dem Prinzip meiner Schwester wurde mir klar, dass ich schon lange keine T-Shirts mehr mit T-Shirt-Malstiften bemalt habe, dass ich schon lange keine Schmierzettel mehr für Songtexte oder Einkaufslisten benutze, weil ich dafür jetzt Notizbücher beziehungsweise die Notiz-App in meinem Handy habe. Ich hatte mich schon lange verändert und es einfach komplett verpasst, mein Zuhause dahin mitzunehmen.
Als Hobbypsychologin tippe ich darauf, dass ich im alten Setup meiner Wohnung emotional Wohlgefallen gefunden habe, eine Art warme Koje. Die Romantik der Vergangenheit kann einen starken Bann ausüben. Ich will nicht sagen, dass in Erinnerung zu schwelgen für einen Abend nicht mal eine schöne Sache sein kann. Das allerdings so exzessiv zu betreiben, wie ich in meiner Wohnung, steht für mich im Nachhinein ein bisschen im Zusammenhang mit einer Angst vor der Zukunft.
Ich glaube, dass ich ein Stück weit an der Vergangenheit festgehalten habe, weil ich sie kannte und die Zukunft somit außen vor hielt, weil sie mir offensichtlich Veränderung angezeigt und damit Ungewissheit suggeriert hätte. Vielleicht war ich noch nicht bereit für das, wohin ich schon lange auf dem Weg war. Denn oft, das habe ich selber auch festgestellt, denkt man, dass Dinge, die kommen, schlechter sind als die Dinge, die man schon hat. Man hat Angst vor dem Unbekannten, vor diesem Ungewissen.
Ich habe mich entschieden, dieses Denken so gut es geht abzulegen. Wenn bis jetzt alles besser geworden ist, wieso sollte das nicht auch genauso weitergehen? Warum sollte ich auf einmal verflucht sein? Wer bin ich überhaupt, um einschätzen zu können, dass ich bereits am Peak meines Glücks angekommen bin? Und selbst wenn es mal stürmischer kommen sollte, als ich es gern hätte – bis jetzt habe ich doch alles gut gemeistert. Wieso fehlt mir manchmal das Vertrauen in mich?
Ich lag im Bett und schaute über mein neues Reich. Ich hatte das Gefühl, wieder richtig tief atmen zu können.
Wie immer sind das nur Dinge, über die ich rätseln und philosophieren kann. Was ich ganz genau weiß und emotional immer noch spüren kann, ist diese Erleichterung, die ich gefühlt habe, als nach einer Woche alles erledigt und der Müll aus meiner Wohnung verschwunden war. Alles war aufgeräumt, alles hatte seinen Platz. Es war übersichtlich und nichts war überflüssig. Ich lag im Bett und schaute über mein neues Reich und so komisch das klingen mag, ich hatte das Gefühl, wieder richtig tief atmen zu können. Ich fühlte mich unheimlich befreit.
Ein Jahr später kam ich mit einem 35-Liter-Müllbeutel davon und daran hat sich seitdem nichts mehr geändert. Wie gut sich das anfühlt, eine cleane Wohnung zu haben, das werde ich nie vergessen. Sie gibt mir jeden Tag genau die Ruhe, die ich mir von meinem Zuhause wünsche. Mittlerweile nenne ich sie liebevoll und im positivsten Sinne „meine einsame Insel“ in Berlin.
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Headerfoto: Dion Almuena via Unsplash. („Wahrheit oder Licht“-Button + „Karlies Kolumne“ hinzugefügt, Bild gecroppt.) Danke dafür!