Hollywoodfilme verderben ja bekanntlich das realistische Weltbild, gleich in einem Rutsch mit Pornos und Putzmittelwerbungen. Doch für jemanden, der unter Ängsten leidet, können auch Daily-Soaps viel weitreichendere Folgen hinterlassen als nur eine Enttäuschung, wenn ein einmaliges Wischen keine glänzende Herdplatte und ein freudig erwartetes Date keinen bleibenden Eindruck hinterlässt.
Als Angstpatient neigt man dazu, Situationen als bedrohlich zu empfinden, die für einen Außenstehenden oftmals ganz harmlos oder womöglich sogar als angenehm empfunden werden.
Denn als Angstpatient neigt man dazu, Situationen als bedrohlich zu empfinden, die für einen Außenstehenden oftmals ganz harmlos sind oder die womöglich sogar als angenehm empfunden werden.
Man stelle sich beispielsweise eine Geburtstagsfeier vor, auf der fröhlich getanzt wird – alle Freunde sind um einen herum versammelt, alle sind gut gelaunt, möglicherweise flüstert einem der Partner noch ins Ohr, wie sehr er einen liebt, eventuell gewann man tags zuvor zufällig eine mittelgroße Summe im Lotto und man fühlt sich restlos zufrieden und glücklich.
Klingt für den Otto-Normal-Verbraucher bestimmt ausgezeichnet. Doch als Angstpatient*in mit Soap-Studium weiß man: Diese Situation ist im höchsten Maße brenzlig, geradezu lebensgefährlich! Waghalsiger könnte man das Schicksal schließlich nicht herausfordern und jede Daily-Soap gibt einem diesbezüglich Recht.
Hat man jemals eine Serie gesehen, in der solche fantastischen Momente nicht in eine große Katastrophe mündeten?
Denn hat man jemals eine Serie gesehen, in der solche fantastischen Momente, am besten auch noch untermalt durch die verbale Betonung selbiger Fantastik, nicht in eine große Katastrophe mündeten? Bollywood mal ausgenommen – da folgt auf glückliches Tanzen und Singen einfach nochmal glückliches Tanzen und Singen.
Doch bei allen anderen Serien scheint es ein ungeschriebenes Gesetz zu sein, dass überschwängliche Begeisterung nur dann eingesetzt wird, wenn danach ein großes Drama wartet.
„Ich bin so glücklich“ oder „Endlich ist mein Leben genauso, wie ich es mir immer gewünscht habe“, können somit problemlos als die gefährlichsten Sätze seit „Rechts ist frei“ oder „In dem Kleid wirkst Du ein bisschen üppig“ angesehen werden.
Ein kluger Angstpatient trifft nach dieser Erkenntnis natürlich Vorkehrungen, um durch zu viel Positivität heraufbeschworene Katastrophen zu verhindern.
Ein kluger Angstpatient trifft nach dieser Erkenntnis natürlich Vorkehrungen, um durch zu viel Positivität heraufbeschworene Katastrophen zu verhindern – es ist ja schließlich nicht allzu schwierig, derartige Sätze zu vermeiden. Schwierig wird es allerdings, sie nicht einmal zu denken – oder andere Menschen daran zu hindern, sie auszusprechen.
Ein richtiges Dilemma. Man kann ja schlecht jeden Menschen im näheren Umfeld davor warnen, sich an glücklichen Geschehnissen zu erfreuen. Da wird man schnell als Miesepeter oder Pessimist abgestempelt. Anstatt dass die Leute mal erkennen würden, dass man sie ja nur beschützen möchte! Doch dies ist eben schwer möglich, genauso wenig wie man sich selbst vor derartigen, als gefährlich empfundenen Gedanken beschützen kann.
Und irgendwie merkt man ja selbst schon auch, dass es schade und ein bisschen am Sinn des Lebens vorbeigelebt ist.
Und irgendwie merkt man ja selbst schon auch, dass es schade und ein bisschen am Sinn des Lebens vorbeigelebt ist, jedem glücklichen Gedanken einen negativen, warnenden „freu dich bloß nicht zu früh“-artigen hinterherzuschicken. Doch sich dessen bewusst zu sein und es abzustellen, das sind immer noch zwei Paar Stiefel. Überhaupt ist es ein ungünstiges und schwer zu realisierendes Konzept, Gedanken abstellen zu wollen; das funktioniert nur in den seltensten Fällen – zum Beispiel im Falle einer Vollnarkose.
Deshalb muss man kreativ sein bei der Lösung dieses Problems. Zum Beispiel könnte man versuchen, seine Schwäche für absurde Ereignisfolgen mal zum eigenen Vorteil zu nutzen – denn genauso, wie es Vorabendserien offensichtlich nicht erlauben, eine Glücksperiode allzu lange anhalten zu lassen, so folgt auf eine große Tragödie oder einen großen Rückschlag doch auch meist das grandiose Comeback der Hauptperson – oftmals noch stärker und beeindruckender als je zuvor.
Dies könnte man doch theoretisch ebenfalls auf sein eigenes Leben anwenden und sich in jeder verzwickten Situation freuen, dass nach der Logik der Soap-Statistik alsbald ein freudiges Ereignis auf einen wartet. Und wenn man sich hierbei nur denkt „was für ein Bullshit, nur weil das in Serien so ist, trifft das auf mein eigenes Leben sicher nicht zu“, hat man es zwar nicht zum Jubeln angesichts einer Tragödie geschafft, dafür aber zumindest ein Hinterfragen der eigenen Gedanken erreicht.
Und wenn man sich hierbei nur denkt „was für ein Bullshit, nur weil das in Serien so ist, trifft das auf mein eigenes Leben sicher nicht zu“, hat man zumindest ein Hinterfragen der eigenen Gedanken erreicht.
Denn ist man einmal bis zur Bullshit-Erkenntnis gekommen, erwischt man sich dann vielleicht beim nächsten Angstgedanken angesichts eines eigentlich freudigen Ereignisses auch mal bei einem „Letzte Woche fandest Du den Vergleich zwischen Deinem Leben und einer Soap noch unlogisch. Merkste selber, den Fehler, oder?“ angelangt.
Und dieses „Merkste selber“ kann dann vielleicht der Schlüssel zum Glück sein. Oder zumindest zum Verlagern der Angst auf ein anderes Ziel. Dem Therapeuten soll ja auch nicht langweilig werden.
Headerfoto: Diana Simumpande via Unsplash.com. („Wahrheit oder Licht“-Button hinzugefügt.) Danke dafür!