Als ich nach langer Zeit wieder einmal die Stadt besuchte, in der ich zwar nicht geboren, aber aufgewachsen bin, überkam mich plötzlich eine Welle an Gefühlen – gemischt mit Fragen. Über Heimat. Was genau ist das eigentlich?
Ich ging altbekannte Wege entlang und bemerkte irgendwann, dass ich eine innerliche Ruhe empfand, wie sonst an keinem Ort. Angenehm irgendwie. Etwas Melancholie mischte sich bei, wohnte doch schon längst niemand aus meiner Familie mehr an diesem so sehr geliebten Ort. Und trotzdem ist er, heute wie damals, meine Heimat.
Ich erinnere mich noch heute gerne an einen Satz, den ich in einem Gespräch über Heimat und Zuhause einmal gehört und nie vergessen habe: „Jeder Stein tut gut.“ Und genau das fühlte ich bei jedem Schritt, den ich weiterging – in dieser kleinen Stadt an der Ilm.
„Jeder Stein tut gut.“ Und genau das fühlte ich bei jedem Schritt, den ich weiterging – in dieser kleinen Stadt an der Ilm.
Aber warum tut mir hier eigentlich jeder Stein gut?
Vielleicht, weil an fast jedem Erinnerungen hängen – glücklicherweise überwiegend positive. Und die schönsten Erinnerungen macht man meist nicht alleine. Glück wird ja bekanntlich mehr, wenn man es teilt. Sind dann doch die Menschen die Heimatmacher? Ich lief weiter.
Wenn die, die diesen Ort für mich so besonders gemacht haben, aber gar nicht mehr hier wohnen, warum gibt er mir dann bei jedem Besuch das Gefühl, er würde mich in eine weiche, warme Decke hüllen und wie ein frierendes Kind wärmen und beschützen? Mir sagen, dass alles gut ist?
Je weiter ich lief – auf meiner Schnitzeljagd nach Erinnerungen – desto klarer wurde mir: weil ich hier meine Kindheit verbracht habe. Eine Zeit, in der ich innerlich damit beschäftigt war, herauszufinden, ob ich der Welt vertrauen kann. Eine Zeit, in der es möglich war, die Schönheit zu sehen, die jedem Anfang innewohnt, und in der man so viele erste Male erlebt.
Wohl deshalb vermittelt mir kein Ort der Erde mehr Geborgenheit und Schutz als dieser.
Es fühlte sich an, als hätte diese Stadt, der ich so viel Vertrauen geschenkt hatte, das meine missbraucht.
Als meine Eltern erst kürzlich dort wegzogen, dachte ich, meine Heimat für immer verloren zu haben. Es fühlte sich an, als hätte diese Stadt, der ich so viel Vertrauen geschenkt hatte, das meine missbraucht. Sie ließ mich im Stich, konnte nicht mehr meine zuverlässige Stütze, mein sicherer Hafen sein.
Aber bei jedem Besuch durfte und darf ich noch feststellen, dass es bleibt: das Heimatgefühl. Und dass mir das nichts und niemand nehmen kann. Denn Heimat ist (für mich) für immer.
Ich habe viel von der Welt gesehen und so viele Orte bereist, an denen ich mich sehr wohlgefühlt habe. Und auch die Stadt, in der ich seit vielen Jahren wohne, ist eher Freund als Feind für mich.
Heimat entsteht in der Kindheit – und bleibt für immer.
Und doch will dieses „Alles-ist-gut-Gefühl“ nirgendwo außer in meiner Heimat entstehen. Auch auf Reisen und da, wo ich gerade lebe, habe ich zahlreiche schöne Erfahrungen mit tollen Menschen gemacht. Aber trotzdem ist es nicht das Gleiche. Das Heimatgefühl bleibt selbst nach Jahren aus. Daraus schließe ich für mich, dass die Heimat wohl in der Kindheit entsteht. Und einem für immer bleibt.
Headerfoto: Artem Bali via Unsplash.com. („Wahrheit-oder-Licht“-Button hinzugefügt.) Danke dafür.