Es gibt vier wichtige Momente am Anfang einer Beziehung zwischen zwei Liebenden: der erste Blick, der erste Kuss, das erste Mal Sex. Und jetzt der vielleicht dramatischste Punkt: Das erste Mal „Ich liebe dich“ sagen. In einer perfekten Welt könnten wir „Ich liebe dich“ sagen und es einfach so stehen lassen, ohne etwas zu erwarten oder zu befürchten. Wir wären frei zu kommen und zu gehen, den Anderen zu berühren, zu beschenken, zu bekochen und mit Blumen zu übersäen, wann immer uns danach wäre. In einer freien Welt wäre uns das lächelnde Gesicht des Lieblingsmenschen nach einer Liebeserklärung genug, und falls die Reaktion keine positive wäre, falls der Mensch nicht lächeln würde, weil er unsere Liebe nicht will, sie ihm zu viel ist, ihn erdrückt und seine Version eines glücklichen Lebens uns nicht mit einschließt, tja, dann wäre – gar nichts. Es wäre kein Weltuntergang.
Wir wären vielleicht etwas traurig, aber nicht lange, denn unsere Liebe wäre etwas, was uns keiner nehmen könnte, ein Schatz, der von keiner Reaktion abhängig wäre. Unsere Liebe wäre uns genug. „Ich liebe dich, was geht es dich an?“, würden wir denken und leichten Herzens weiterziehen. Ich gebe zu: Diese Welt existiert nicht. Zumindest sind wir Menschen nicht so perfekt. Die größte Angst, die Menschen in Beziehungen umtreibt ist, so glaube ich, nicht die, zu viel zu geben. Es ist vielmehr die Angst, zu kurz zu kommen, zu wenig zurückzubekommen, am Ende mit leeren Händen und blutendem Herzen dazustehen und sich zum Narren gemacht zu haben. Doch: Hat einer, der sich nie zum Narren halten ließ, wirklich gelebt? Ist der, der mit seinen Gefühlen haushaltet und seine guten Taten aufrechnet, nach dem Motto: „Wie viel springt unterm Strich für mich heraus?“, ist so ein Mensch wirklich zu beneiden? Oder demonstriert er nicht viel eher seine innere Armut? Wer viel besitzt, kann viel geben und mit Besitz sind hier sicherlich keine Häuser, Autos und schöne Pferdepflegerinnen gemeint.
Es gibt verschiedene Typen von „Ich liebe dich“- Sagern. Einer der unangenehmsten ist der ökonomische Typ. Nennen wir ihn Horst. Horst hat sich verknallt und seine warmen Worte sind seine Waffe. Wenn wir uns gegenseitig unsere Liebe mit Worten bekunden, stärkt das unsere Bindung, denkt Horst. Sein „Ich liebe dich“ ist eine kurze Leine. Sagt seine Freundin „Ich liebe dich auch“, kann er fortan mehr von ihr erwarten. Dann gehört sie ihm mit Haut und Haaren. Horst sagt niemals als erster „Ich liebe dich“ und wenn, dann muss seine Angebetete sofort selbiges kundtun, sonst wird er nervös. Sonst geht seine Kosten-Nutzen-Kalkulation nicht auf. Horst will kein Risiko eingehen, schließlich hat Horst nichts zu verschenken. Das merkt man ihm an. Wer einen Horst liebt, kann sich auf der sicheren Seite wiegen, solange er die Wa(h)re Liebe immer sofort zurückzahlt. Horst ist ein armer Mann. Doch er kann nicht anders. Er hat Angst.
Der zweite Typ, ebenfalls eher gewöhnungsbedürftig, ist der notorische „Ich liebe dich“-Sager. Nennen wir ihn Ernst. Ernst sagt es andauernd, weil er glaubt, dass es dadurch wahrer werden würde. Jedes Telefonat, jedes noch so alltägliche Geplänkel an der Tiefkühltheke, muss bei ihm in die drei berüchtigten Worte münden. Leider wird er nervös, wenn seine Freundin ihr Herz nicht gleichermaßen auf der Zunge trägt. Seine Liebeserklärungen sind inflationär und leider verlieren sie dadurch auch an Wert und Gewicht. Ernst nennt seine Freundin auch gern Schatzi, Spatzerl oder Mausezähnchen. Andere lächeln über ihn. Aber Ernst kann nicht anders. Er hat Angst. Tief im Inneren fürchtet er nichts so sehr, als eines Tages ein „Ich dich nicht, und zwar ganz im Ernst“ zu hören. Dabei fordert er diese Reaktion geradezu heraus. Ernst nervt. Total.
Der dritte Typ ist der verhinderte „Ich liebe dich“-Sager. Er ist ein verkopfter Mensch, nennen wir ihn Ludwig. Ludwig macht sich zu viele Gedanken. Er weiß selbstverständlich über die Tragik von Typen wie Horst und Ernst. Leider führt das viele Nachdenken bei ihm zu einer Unfähigkeit in der Tat. Selbst wenn er liebt, sprich eher handeln als grübeln sollte, möchte er unter keinen Umständen einen Fehler begehen. Also schweigt er in den entscheidenden Momenten, in denen er mit seiner Freundin zusammensitzt und alles in ihm schreit „Die und sonst keine“. „Das ist nur eine biochemische Reaktion meines Körpers!“, denkt Ludwig, „ich muss erst wieder nüchtern werden, das muss alles noch analysiert werden.“ Ludwig kann einem leidtun, doch er kann nicht anders. Ludwig denkt immer zu viel an Morgen und Gestern. Er hat Angst. Darum ist er in Wahrheit am liebsten alleine oder, noch besser, unglücklich verliebt, denn da kann er sich reinsteigern, ohne wirklich Stellung beziehen zu müssen.
Horst, Ernst und Ludwig sind Stellvertreter. Wir sind ihnen allen schon einmal begegnet und Teile von ihnen stecken in jedem von uns. Doch zum Glück tragen wir alle auch einen Hans in uns. Hans ist es egal, was die Anderen denken, Hans erwartet nichts von Anderen. Wenn Hans verliebt ist, dann sagt er es, denn er lebt nur im Moment und dem ist er was schuldig. Er liebt bedingungslos und seine Liebe steckt in jeder seiner Handbewegungen und in jedem seiner Schritte. Er braucht nichts. Er hat alles. Hans ist frei und seine Liebe ist es auch. In seiner Gegenwart wird einem warm, er ist in Kontakt mit etwas, dass so neidisch machen kann, weil man es nicht kaufen kann. Hans ist vielleicht nicht der Beständigste, aber er ist sich selbst immer treu. Wer von einem Hans geliebt wird, ist gesegnet. Wer einen Hans lieben kann, ist glücklich. Darum heißt mein Hans-Im-Glück-Vorsatz ab heute: Heiß und innig zu lieben, komme, was wolle. Wie steht‘s mit euch?
Headerfoto: Frau mit Hand vor dem Mund via Shutterstock.com. (Gedankenspielbutton hinzugefügt, Bild gespiegelt.) Danke dafür!