Alle Jahre wieder, oh du fröhliche Einsamkeit!

Es ist wieder soweit. Alle Jahre wieder. In den gemütlichen Wintermonaten, wenn sich alle in ihr trautes Heim zurückziehen und viel Zeit mit ihren Liebsten verbringen, kaum mehr einen Schritt vor die Tür setzen. Wenn es draußen kalt und früh dunkel wird. Wenn warme Lichter in Städten und Dörfern funkeln. Wenn es nach Glühwein, Kerzen und Schnee duftet.

Ja dann, genau dann. Zu dieser späten Jahreszeit fühlt sich Alleinsein dann nicht mehr länger wie Alleinsein an. Dann fühlt sich Alleinsein plötzlich wie Einsamsein an. Dann tut Alleinsein plötzlich ziemlich weh. Das ganze Jahr über schaffe ich es, stark zu sein. Oder zumindest so zu tun, als sei ich es. Aber diese vorweihnachtlichen Wochen geben mir den Rest. Dann werde ich schwach. Wenn die Einsamkeit in voller Wucht über mich einkracht. Und ich realisiere: Alle Jahre wieder sitze ich alleine unter dem Tannenbaum. Nicht ganz alleine. Zusammen mit der Familie.

Während meine Mutter mit ihrem Partner Geschenke austauscht, meine Geschwister die neuen Spielsachen ihrer Kinder ausprobieren, nippe ich in melancholischem Trübsal getränkt an meinem Glas Wein und zähle die Minuten bis es Mitternacht schlägt und dieser ach so schöne Tag des Jahres endlich vorübergeht.

Alle Jahre wieder: Beisammen und miteinander, und doch alleine.

Alle Jahre wieder: Beisammen und miteinander, und doch alleine. Wenn ich auf der Couch sitze und meine Familie beobachte, dann fühle ich mich wie eine Außenseiterin. Eine neutrale Beobachterin, die passiv daneben sitzt und den anderen beim Glücklichsein zuschaut. Natürlich macht es mich glücklich, meine Familie so glücklich zu sehen. Niemandem auf dieser Welt, nicht einmal meinem größten Feind, würde ich diese Einsamkeit wünschen so wie ich sie in mir verspüre. Ich mag zwar nur alleine auf dem Sofa sitzen, aber das Gefühl von Einsamkeit sitzt tief.

Das ganze Jahr über kann ich mein Seelenleben gut für mich behalten und nach außen die Rolle des zufriedenen, glücklichen Dauersingles spielen. Inzwischen habe ich viel Übung darin. Aber nicht so dieses Jahr. Denn ich kann nicht mehr. Am Ende des Jahres bin ich am Ende meiner Kräfte angekommen.

So stark ich nach außen hin auch wirken mag. Für ein weiteres Weihnachten ohne Partner in meinem Leben fehlt mir inzwischen die innere Stärke. Mittlerweile bin ich sehr nah am Wasser gebaut. Gegen Ende eines jeden Jahres versinke ich in den Tiefen meiner Gedanken- und Gefühlswelt. Ich verliere mich in Vergangenem: Männer, die im Laufe des Jahres meinen Weg gekreuzt haben, ehemalige Hoffnungsträger, potenzielle Partner fürs Leben oder auch nur für dieses eine bevorstehende Weihnachten.

Je länger ich Single bin, desto zartbesaiteter, desto dünnhäutiger, desto empfindlicher werde ich.

Aber nein, es hat schon wieder nicht geklappt. Mit der Erinnerung an erneutes Scheitern, an wiederkehrende Verletzungen und an all die Enttäuschungen, die mir in diesem Jahr widerfahren sind, werden die Augen plötzlich glasig und wenn ich mich nicht schnell genug wieder fasse, kullert auch schon mal eine Träne die Wange hinunter. Ich habe den Eindruck, je länger ich Single bin, desto zartbesaiteter, desto dünnhäutiger, desto empfindlicher werde ich.

Diese emotionale Feinfühligkeit mag zwar auch Ausdruck meiner generell hochsensiblen Persönlichkeit sein, aber zeigen möchte ich meine Verletzlichkeit nur ungern. Auch nicht bei meinen Liebsten. Denn dann fühle ich mich schwach und wie eine Versagerin. Dann gehe ich hart mit mir ins Gericht: Noch immer habe ich es nicht geschafft, einen Partner zu finden. Es kann doch nicht so schwer sein. Alle anderen schaffen es doch auch. Irgendwie.

Die mitleidigen Blicke, wenn mich wieder ein solch emotionaler Moment überkommt; das Mitgefühl meiner Eltern, meiner Geschwister, mittlerweile meiner Freunde für mein ewiges Singledasein verschlimmern meine innerliche Misere dann noch umso mehr.

Diese alljährliche Niedergeschlagenheit, diese bedrückende Schwermut, diese zunehmende Hoffnungslosigkeit sind zu einer weihnachtlichen Tradition geworden.

Alle Jahre wieder. Diese alljährliche Niedergeschlagenheit, diese bedrückende Schwermut, diese zunehmende Hoffnungslosigkeit haben sich still und heimlich in mein Leben geschlichen und sind zu einer weihnachtlichen Tradition der ganz eigenen Art geworden.

Und weil vor allem Weihnachten für mich ein Trigger für solche emotionale Tiefpunkte darstellt, ertrage ich es kaum noch. Dann tue ich alles dafür, diese alljährlichen Festlichkeiten zu umgehen, die vorweihnachtliche Zeit weitestgehend zu ignorieren. Wie? Das ist eigentlich ganz einfach.

Alle Jahre wieder. Nein, nicht dieses Jahr. Auch nicht vor zwei, vier, sechs Jahren. Denn seitdem übe ich mich fleißig in meiner ganz persönlichen Kontertradition. Während andere unter dem Christbaum sitzen, Geschenke auspacken und Plätzchen naschen, schaue ich mir die entlegensten Ecken dieser Erde an, breche zu Abenteuerreisen auf, erlebe unvergessliche Momente, und beschere mir so die schönsten und kostbarsten Weihnachtserinnerungen überhaupt. Ganz ohne Schmerz. Dafür voller Glückseligkeit. Balsam für die Seele. Aserbaidschan, Russland, Thailand, dieses Jahr Chile. Mein Erste-Klasse-Flucht-Rezept par excellence.

Auch wenn ich alleine unterwegs bin, fühle ich mich mit der Welt und mit dem Leben verbunden.

Eigentlich mag ich Weihnachten. Ich verbringe es liebend gerne mit meiner Familie. Aber viel mehr noch liebe ich es zu reisen. Auf diese Weise kann ich meiner Einsamkeit entkommen und gleichzeitig meiner Leidenschaft für Weltenbummlerei nachgehen. Auch wenn ich alleine unterwegs bin, fühle ich mich mit der Welt und mit dem Leben verbunden.

Dann tut das Alleinsein nicht mehr weh, im Gegenteil. Dann fühle ich mich näher an mir selbst denn je. Dann gehe ich nicht mehr mit mir ins Gericht, sondern genieße die Freiheit, unterwegs zu sein, die Zeit mit mir alleine, ohne mich schlecht oder unvollständig oder ungenügend zu fühlen, mich den weihnachtlichen Traditionen zu entziehen und mein Ding zu machen. Das gibt mir neue Energie und Kraft für das kommende Jahr. Für das nächste Weihnachten.

Alle Jahre wieder sehe ich den bevorstehenden Jahreswechsel als Lichtblick, als Chance, dass im nächsten Jahr alles anders wird. Dass ich im neuen Jahr vielleicht wirklich auf jemanden treffe, der mich durch das Jahr begleiten möchte und mich damit aus der Tradition des ewig währenden Alleinseins befreit, gar mit mir zusammen an Weihnachten verreist.

Vielleicht, ja vielleicht, werde ich im kommenden Jahr Weihnachten zur Abwechslung mal zu zweit verbringen.

Vielleicht, ja vielleicht, werde ich im kommenden Jahr Weihnachten zur Abwechslung mal zu zweit verbringen. Und ja, vielleicht entwickelt sich daraus eine neue Tradition. Alle Jahre wieder in der vertrauten Zweisamkeit. Egal, auf welchem Flecken dieser Erde. Das wäre doch wahrlich mal ein Weihnachtswunder!

Und wenn nicht, dann ist das auch vollkommen in Ordnung. Dann werde ich mir eben wieder eine andere Ecke dieser Welt anschauen. Und mich alleine auf den Weg machen. Und auf das nächste Jahr hoffen. Dieselbe Prozedur wie jedes Jahr.

Headerfoto: Mädchen mit Tannenbaum via Shutterstock.com. („Gedankenspiel“-Button hinzugefügt, Foto gespiegelt.) Danke dafür!

SAVINAR umrundet entweder gerade die Welt oder begibt sich auf emotionale Gefühlsreise und Erkundung ihrer selbst. Nach ein paar aufregenden Jahren im Überall und Nirgendwo hat sie sich vorerst wieder in Deutschland niedergelassen. Seit neuestem geht sie den spirituellen Weg und hofft, in ihren Meditationen Erkenntnisse zu gewinnen, um mehr Ruhe in das Gefühlschaos ihrer Gedankenwelt zu bringen.

6 Comments

  • Du hast mir aus der Seele gesprochen bzw. geschrieben. So geht es mir auch jedes Jahr und immer wieder mit der Hoffnung im nächsten Jahr wird alles anders. Frohe Weihnachten und ein tolles neues Jahr mit vielen schönen Momenten.

  • Ich finde die dunken Tage auch hervorragend um sich schwermütig und niedergeschlagen zu fühlen. Reisen und Sonne klingen da nach einer guten Idee!
    Du schreibst: aber zeigen möchte ich meine Verletzlichkeit nur ungern. Auch nicht bei meinen Liebsten. Denn dann fühle ich mich schwach und wie eine Versagerin.
    Eien Versagerin bist Du ganz sicher nicht und man kann nicht immer stark sein. Lass es zu. Das gehört zu Dir und das ist gut so. Ich finde echte, tiefe Emotionen viel spannender als oberflächliche Stärke. Also, denke dran, Du bist gut so wie Du bist und ein Partner macht Dich nicht besser oder glücklicher. Er kann Dir höchstens ein wenig helfen Dein Glück zu finden. Aber wird schon, sei Stark und lass Schwäche zu!

  • Empfinde genauso und Danke dir für deine starken Worte am Ende denn genauso sollte man damit umgehen…das Leben genießen bis “er” ins Leben tritt. Frohe Weihnachten und allen Dauersingles Glück, dass er im neuen Jahr kommt 🤗

  • So gut, so trefffend. Verbunden mit dir, liebe Fremde, fühle ich mich durch die gleichen Tage und Emotionen, immer mit der Hoffnung, dass es nächstes Jahr anders sein könnte.

    • Hallo Matthias, wo denn genau in Portugal? Habe mich dieses Jahr in das Land verliebt und würde mich über Geheimtipps zu Portugal freuen 🙂 Viele Grüße, Anne

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