Dating mit Autismus – wenn das Gespür fürs Flirten fehlt

Es ist wieder passiert: „Sorry, ich mag dich echt gern, aber nicht auf diese Weise. Du interpretierst da etwas, was nicht da ist.“ Okay, da kann man nichts machen, aber danke für deine Ehrlichkeit. Nichts für ungut. Wirklich nicht. Mir passiert das häufiger, das mit den Gefühlen, die nicht da sind. Ich bin da einfach etwas dusseliger als andere. Genau genommen bin ich ziemlich kurzsichtig, was das angeht: die kleinen Körperzeichen, die subtilen Signale, die ganze nonverbale Kommunikation. Man kann sagen, ich bin Autist. Ja, genau: Autist.

Und so geschieht es immer wieder: Ich finde Interesse an einer Frau, gehe auf sie ein, mitunter auch mit ihr aus, verknalle mich vielleicht sogar, schwebe im siebten Himmel. Nur um zu erfahren, dass alles nur eine Illusion war, dass die Dame meines Herzens eigentlich nichts von alldem im Sinn hatte. Das kann jedem passieren, keine Frage, aber für mich und viele andere, denen soziale Interaktion nicht so gut liegt, ist es Normalität. Darüber kann man in Trauer verfallen; ich versuche eher, das Beste daraus zu machen.

Denn wo es an nonverbalen Fähigkeiten mangelt, braucht es eben mehr klare Worte. Über Gefühle zu sprechen, ist manchmal eben doch einfacher, als solch wichtige Dinge im Ungewissen zu lassen. Daher begann ich, mich schon früh zu bekennen und um Verständnis zu bitten, dass ich in zwischenmenschlichen Dingen etwas anders ticke, autistische Züge aufweise.

Autismus ist mehr als nur Rain Man und Mathebegabung.

Und dann die üblichen Fragen: Nein, ich kann nicht mit einem Blick die Murmeln in einem Glas zählen und, nein, ich kann mir auch nicht die Zahl Pi bis zur tausendsten Stelle merken. Mathe liegt mir zwar, aber auch das nur im Rahmen des Normalen. Und, Überraschung, meine verbalen Skills sind auch ganz okay. Tatsächlich falle ich im Alltag kaum auf, kann problemlos Freundschaft schließen und bin auch sonst eher der gesellige Typ.

Autismus ist eben nicht nur Rain Man und Inselbegabung, nicht nur schüchterne, immerzu abwesende Kinder. Autismus ist ein Spektrum, an dessen unteren Ende alles auf den ersten Blick normal scheint. Etwa jeder Hundertste ist betroffen und viele können ein weitestgehend normales Leben führen. Nur wenn es um die subtilen zwischenmenschlichen Dinge geht, gibt es einen Aussetzer.

Meine Freunde sind bemüht, mich zu verkuppeln. Das ist süß, aber hilft nicht unbedingt weiter.

Meine engsten Freunde ahnen zumindest, dass irgendwas an mir anders ist. Wenn ich manchmal einen sarkastischen Witz nicht verstehe. Oder wieder einmal davon berichte, wie ich mich nächtelang in irgendeinem Nischenthema verloren habe. (Zuletzt: die komplizierte Herstellung von getrockneten Fischflocken für standesgemäße japanische Suppengerichte.)

Und trotzdem kann keiner von ihnen so recht verstehen, warum ich nach all den Jahren immer noch Single bin. Ich wäre doch eigentlich ein netter Kerl und überhaupt, Töpfe und Deckel, Fische im Meer et cetera, et cetera; aber was sollen sie auch sagen, es ist ja, als würde meine Mutter für mich eine Kontaktanzeige schalten – liebe Worte, sehr bemüht, vielleicht etwas zu sehr.

Mit der nonverbalen Kommunikation hab ich’s nicht so.

Und so folgt, was wohl viele Langzeit-Singles kennen. Aufmunterung, Ratschlag und Verkupplungsversuche, immer wieder, immer wieder anders, stets gut gemeint und gern aufgenommen. Helfen tut all das aber nicht unbedingt, denn das Problem wurzelt tiefer als einfach nur in Glücklosigkeit.

Mir fehlt das Gespür für nonverbale Kommunikation, wenn es keine verbalen oder kontextuellen Hinweise gibt. Im Alltag ist das keine große Herausforderung, da wird das Wesentliche ausgesprochen und wenn nicht, dann kann es nicht so wichtig sein. Aber beim Daten, wenn man sich langsam kennenlernt und vorsichtig aneinander vortastet, sind diese kleinen Hinweise in der Körpersprache oder der Tonlage oftmals alles, was der Gegenüber preisgibt.

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Frauen sind für mich, was das angeht, eine Blackbox. Bis heute weiß ich nicht, wie man flirtet, und kann mir nur vorstellen, wie viele Frauen sich bisher an mir die Zähne ausbissen und wohl dachten, wie schwer von Begriff ich sein muss. Tut mir leid, aber was soll’s. ¯\_(ツ)_/¯

Hier fängt das Problem aber erst an: Ich weiß eigentlich sehr genau, welche nonverbalen Zeichen eine Frau aussendet, wenn sie von einer Person angetan ist. Wie sie den Kopf zur Seite legt, wie sie mit ihrem Haar spielt, wie sich ihre Pupillen weiten und so weiter, und so fort.

Nonverbale Kommunikation – ein Buch mit sieben Siegeln, das ich sorgsam studierte und trotzdem nicht verstehe.

Unzählige YouTube-Videos, WikiHows, Psychologie-Ratgeber und genaue Beobachtungen an der Bar bildeten mich zu einem regelrechten FBI-Verhörspezialisten aus. Oder vielleicht auch nicht, vielleicht ist das alles übertrieben oder schlicht falsch. Was weiß ich schon. Aber immerhin, wieder so ein Thema, mit dem ich mich stundenlang auseinandersetzen kann.

Allein das explizite Wissen um die Feinheiten der nonverbalen Kommunikation reicht nicht aus, um sie im wesentlichen Moment auch zu erkennen und sich ihrer bewusst zu werden, geschweige denn auf einer emotionalen, unbewussten und impliziten Ebene eine adäquate Reaktion ganz natürlich, spielerisch leicht folgen zu lassen. Und wenn ich dann mal den Entschluss fasse, meine Anziehung etwa durch eine Berührung zum Ausdruck zu bringen, dann fühlt es sich sogar für mich plump und gestellt an. Ich möchte nicht wissen, wie das auf Außenstehende wirken mag.

Und trotzdem ist Kommunikation der Schlüssel.

Ich ziehe die Lehre daraus, offener darüber zu reden, was in mir vorgeht. Das hat den schönen Nebeneffekt, dass häufig ein gegenseitiges Bekenntnis erfolgt und mit einem Mal all das, was zuvor unausgesprochen blieb, wie ein kniffliges Kreuzworträtsels aufgelöst wird. Bisher war diese Strategie noch nicht von Erfolg gekrönt, es räumt aber mit der nagenden Ungewissheit auf, die mich sonst so lange umtrieb.

Gleichermaßen ist es wie ein Geschenk, wenn eine Frau von sich aus die Initiative ergreift und klare Töne anstimmt – das wünscht sich wohl jeder Mann, ob er nun auf dem sozialen Ohr schwer von Begriff ist oder nicht. Und wenn es dann mal klappt, dann ist viel gewonnen. Vielleicht sogar eine Beziehung, in der man offen über alles reden kann. Das, finde ich, ist ziemlich anziehend.

Die Freunde unseres Gastautors haben schon alles versucht, er bleibt ein unvermittelbarer Single. Mittlerweile ist klar, dass er autistische Züge trägt, wie es im Fachjargon heißt, obwohl er im Alltag kaum auffällt. Allein das Daten bleibt eine Herausforderung. Denn es fällt ihm schwer, zu erkennen, wenn eine Frau auf ihn steht.

Headerfoto: chester wade via Unsplash.com. („Wahrheit oder Licht“-Button hinzugefügt.) Danke dafür!

10 Comments

  • Hey!

    Ich finde das Geschriebene einfach nur super cool, ehrlich, authentisch, geistreich und anziehend. 🙂

    Zum Vorschlag „such Dir eine Autistin“: Ich bin (meines Erachtens) keine Autistin und finde die Art der Offenheit und Deine Wortgewandtheit einfach mega sexy. Und das auch, obwohl ich selber bereits in jemanden verliebt bin, dessen geistreiche Art, die ich mehrfach habe aufblitzen sehen, mich mit 1.000 Schmetterlingen im Bauch versorgt. 🙃

    Somit bin ich mir sicher, dass es auch andere Frauen gibt, die sich für das Hören Deines neu erworbenes Wissen – der Herstellungsprozess von getrockneten Fischflocken für asiatische Suppengerichte; rostige Krümmer sind früher ein häufiges Problem von Honda-Civic-(CRX-)Autos gewesen (ist das heutzutage immer noch so?) oder was es sonst so interessantes gibt – bei Kerzenschein oder beim Kuscheln im Bett begeistern können.

    Es ist manchmal einfach schwierig einen Menschen zu finden, der sich mit einem „Du“ und „ich sehe hinter Deine Fassade; ich sehe Dein wahres ich“ und eine ggf. „Abweichung“ der Norm, auseinander setzt und anziehend findet.

    Danke für das wahrhaftige Teilen Deines Seins. Es hat mich stark berührt! Ich wünsche Dir von Herzen, dass Du eine liebevolle tolle Frau kennen lernst. Ich finde, das hast Du eindeutig verdient.

    Viele Grüße, Dir und Deinen Lieben ein frohes Weihnachtsfest sowie einen guten Rutsch in ein gesundes neues Jahr!

    Herzlichst,
    jellie

  • Ich fühle den Blog zu 100%…
    Damals in der Schule, hatte ich zwar ein paar Freundinnen und gelegentliche Liebeleien, doch wenn ich mal etwas, in der Richtung, nicht kapiert habe, konnte ich es noch, auf die Pubertät schieben.
    Und ja, damals haben die Mädels von sich aus die Initiative ergriffen. Aber wenn ich das versucht habe, bei Mädels in die ich richtig verknallt war… nunja… da bin ich gegen eine Wand geknallt.(badumtss…^^)
    Ich bin (ohne selbstverliebt klingen zu wollen) ein recht gut aussehender junger Mann und durchaus intelligent. Zumindest was den Durchschnitt meiner Umgebung anbelangt.^^
    Nur leider finde ich mich im Leben/in der Gesellschaft nicht wirklich zurecht und ich glaube, dass das auch noch ein Faktor ist, der andere von mir abschrecken lässt.
    Am liebsten, wäre mir, sowohl eine Bedienungsanleitung für Menschen, als auch für das Flirten. 😀
    Genug erstmal über mich.. Der Grund warum ich hier einen Kommentar schreibe, ist dass ich mir erhoffe, eine Community oder zumindest eine Person, die das selbe durch macht, wie ich, zu finden mit der man sich austauschen kann.
    Ich konnte bisher mit niemandem wirklich darüber reden, da es niemand wirklich verstanden hat. (Und Therapeuten sind für mich gar keine Lösung… die besten Aussagen, von zwei verschiedenen Therapeuten(nach jeweils der ersten Stunde), waren Ritalin oder psychiatrische Beobachtung, weil ich mich nicht in die Gesellschaft integrieren kann… tolle Hilfe)

    Falls jemand eine Community kennt, oder sich selbst darüber austauschen möchte, schreibt gern einen Kommentar und wir werden eine Austausch Möglichkeit finden.

    -Erik

    • Hallo Erik,

      mir geht es ähnlich, bin momentan auf der Suche nach einer Community, Singlebörse oä,, vielleicht könnten wir uns ja mal näher austauschen?

      Ich suche seit jeher nach einem Partner. Flirten ist mir nicht möglich, eine schnelle Annäherung, auch körperlicher Art ein echtes Problem. Ich erkenne nicht oder erst spät, wenn ich angeflirtet werde/wurde, weiß dann aber selbst wenn ich es erkenne und den Mann attraktiv finde nicht, was ich dann tun soll, um zu zeigen, dass ich interessiert bin. Ich habe nun auf meine „alten Tage“ hin (49…) verstanden, dass ich jemanden suchen muss, der so gerade heraus ist wie ich, d.h. auch autistische Züge hat, aber plus ADHS oder Züge davon.

      Falls jemand von euch eine Singlebörse oder eine Online Gruppe kennt, auf der man gezielt ADHSler und/oder Aspies kennen lernen kann, wäre ich sehr dankbar um eine Nachricht.

      Hanna

  • Ich habe genau das gleiche Problem und dachte bis heute, das ich ein völlig einzigartiges tollpatschiger nicht therapierbarer Datingtrottel wäre, wie es scheint aber nicht.
    Habe doch auch schon so oft versucht zu verstehen was die Frau gegenüber gerade meine ( bin verbal) wie sie reagiert auf mich, doch ich Checks einfach nicht,. Im Alltag habe ich in Jahre länger arbeit erlernt mich unter Kontrolle zu halten und damit und dem ADS Aufmerksamkeits Defizit Syndrom mit Ritalin zurecht zu finden.
    Aber in der Liebe klappt’s einfach nicht, vielleicht setz ich mich noch immer zu fest unter Druck.
    Das schlimmste für mich ist es, all die glücklichen Paare Tag für Tag sehen zu müssen, und so scheint es mir, zu wissen, dass ich es nicht schaffen werde.
    Na ja eben, es fällt oft schwer, aber man darf die Hoffnung nie verlieren.

    • Was soll ich noch dazu sagen?

      Ich bin Autistin mit ADHS. Manchmal wünsch ich mir einen Tag „normal“ zu sein, ein Tag ohne Störung, einmal mich als Erwachsene fühlen, was ich eigentlich bin. Das schlimme ist, ich wusste bis vor kurzen mein ganzes Leben lang noch nicht mal, dass ich Autistin bin. Ich hatte nur die Vermutung, aber das ist noch mal etwas anderes, wenn du so eine E-Mail von deinem Arzt bekommst und er deine Untersuchungen/ Tests bestätigt. Natürlich bin ich Single und das soll sich nicht depri anhören, aber wie soll ich jemanden kennen lernen, wenn ich es nicht merke, welche Signale mir mein Gegenüber senden möchte? Ich wünschte mir einen Tag normal zu sein, um jemanden zu Daten und um zu verstehen was er möchte..

  • Haha, kenn ich! xD Kenn ich sehr gut.
    Vor allem auch dieses „übertreiben“ weil man es alles eben nur theoretisch und nicht natürlich kennt!

    Mittlerweile bin ich aber dazu übergegangen bzw. lerne wie es ist „zu flirten“. Oder auch nicht ôO
    Ich übe einfach nur Menschen anzulächeln, Blickkontakt zu suchen, Komplimente zu machen, etc.
    Mittlerweile macht es Spaß, besonders wenn es erwiedert wird. Es gibt dann ein Erfolgserlebnis.
    Das Daten an sich rückt dabei jedoch in den Hintergrund ^^ Mir gehts echt nur ums Lernen.

    Ob jemand auf mich auch steht, kann ich dadurch zwar auch nicht besser sagen, aber das ist auch gar nicht nötig. Irgendwann wird schon wer auftauchen, der mich so nimmt wie ich bin ^^
    Da braucht man gar nicht verzweifeln.

  • Ich zerbreche gerade ziemlich da dran. Als Frau. Ich weiß nicht, wie ich mit dem Wissen, „das wird wahrscheinlich nie was“ (du wirst nie geliebt) klar kommen soll. Es ist jetzt seit Jahren und nochmal mehr Jahren so. Und immer kommt ein „du bist mir einfach zu schräg“ von den Männern.

    • Lass den Kopf nicht hängen. Unsereiner muss nunmal büffeln, um hinzukriegen, was andere Leute automatisch können, aber das heißt nicht, dass du dein Leben allein verbringen musst.
      Mir geht’s da grade wahrscheinlich wie dir… Ich lerne einen Menschen kennen, wir verstehen uns eine Woche gut und dann sind sie weg. Das ist unglaublich frustrierend und hintenrum nagt auch immer der Gedanke, ob ich nicht doch nur ne Arschgeige bin, mit der niemand was zu tun haben will, aber jede diese Erfahrungen ist eine Gelegenheit zu lernen.
      Kommunikation ist wahrscheinlich Dreh- und Angelpunkt. „Hey, ich bin Autist und habe Probleme mit XYZ“ (zB Infodumping, das kann ich ganz gut…) Damit fahre ich bisher… Besser als vorher. Nicht gut, aber besser…

  • Hm.
    Das spricht mir tüchtig aus der Seele.
    Auch als Frau.
    Ich habe manchmal Momente – Stunden nach (vermeintlichen) Flirtbegebenheiten – da kommt die Erkenntnis wellenartig, das Gefühl zur Situation: huch, da hat tatsächlich jemand mit mir geflirtet. Und ich hielt es für Höflichkeit, nach bzw. trotz „fundierter“ Recherchen (Netz, Psychoratgeber, Gespräche mit Kundigen, usf.).
    Ich muss aufpassen bei allzu argem Unmut berühmte Flinte nicht ins Korn zu werfen, denn ich gewöhne mich an das Ohne-Du zu sein.

    Danke für den Beitrag – der ist schön!

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