Wenn Social Media krank macht – Instafluch(t) Teil 2

Teil 1 des Selbstversuchs kannst du hier lesen.

Tag 3. Gestern hatte ich ziemlich schlechte Laune und motzte rum, wenn meine Freunde ihr Smartphone zückten, war etwas passiv-aggressiver als gewohnt. Das sei erst mal normal. Wobei meine engeren Freunde, denen ich von meiner Pause erzähle, sogar extra darauf verzichten, unser gemeinsames Essen bei Insta zu posten, um mich zu schonen. Holla die Waldfee – ein echter Entzug.

 

Ausflug ohne Zuschauer

Ich fahre mal raus, vier Stunden mit dem Zug von Leipzig nach Mainz. Ohne Spotify und Instagram ist die Zugfahrt schon echt langweilig. Ich schlafe die ganze Fahrt und wache schwitzig auf; Sonne und Zugfenster, bargh. Schlechte Laune steigt kurz auf, bevor ich doch wieder einschlafe. Produktiver war ich – um ehrlich zu sein – mit Internet auch nicht. Habe meistens die ganze Fahrt über Hörspiele oder Podcasts gehört und sinnlos gesurft. Und an meinem kleinen Handydisplay Artikel gelesen, das Smartphone umklammernd kurz geschlafen. Aufwachen, Sachen liken, posten, schlafen. So war das. Also keine negativen Produktivitätseinbußen, denn gearbeitet habe ich sonst schließlich auch selten.

Mein Papa holt mich am Bahnhof ab. Es ist wohl das erste Mal, seit das erste iPhone rauskam, dass ich nicht exakt bis zum Hallosagen die Kopfhörer in den Ohren habe.

Wir fahren mit dem Cabrio herum, im Rheingau, dann mit der Fähre von Rüdesheim nach Bingen. Ich bekomme einen Espresso mit einer Kugel Vanilleeis, später fahren wir auf einen Landgasthof. In Wiesbaden zeigt mir mein Vater verschiedene Straßen, in denen er mal gewohnt hat. Er erzählt von seiner Mutter, die ich nie kennengelernt habe, deren Geschirr ich aber schon angeberisch auf Instagram gezeigt habe, sobald es mir gehörte. Sie hätte damals für zwei Mark pro Stunde geputzt und seine Stenographie- und Schreibmaschinenstunden bezahlt, die zwölf Mark kosteten. Er sei manchmal nicht hingegangen, weil er keine Lust hatte – das täte ihm heute leid.

Ich kann mich nicht erinnern, wann ich nicht permanent gechattet, Mails beantwortet oder Bilder geschossen habe.

Leid tun. Mir tut jetzt schon so vieles leid, das ich ändern muss, möchte, sollte. Klingt alles sehr romantisch, aber es ist ab und zu so. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich nicht permanent gechattet, Mails beantwortet, Bilder geschossen oder in meiner liebsten Position, nahezu liegend und mein Handy vor mir auf dem Schoß, neben ihm im Auto gesessen habe. Ich kann mich einfach nicht erinnern, mit meinem Vater einen Tag verbracht zu haben, der so schön war. Klar, das kann auch am Wetter oder sonstwas liegen – glaube ich aber nicht. Ich bin einfach viel zu oft und ständig abgelenkt.

Er erzählt etwas über sein Auto, über Baujahre und Lackfarben. Ich höre zu. Natürlich denke ich daran, dass ich normalerweise gerne gefilmt hätte. Storytelling. Cabrio kommt immer cool. Sogar eine kurze Rheinfahrt. Schade drum? Ich habe das erste Mal ein richtiges Glücksgefühl und bin schon irgendwie stolz auf meine freiwillige Abstinenz.

Wir fahren zurück und ich nehme mir vor, darüber zu schreiben und ihn wissen zu lassen, dass es ein schöner Tag war.

 

Klarsicht, Einsicht, Aussicht

Tag 7 geht auch vorbei.

Mein Fazit: Es war leichter und schwerwiegender – beides. Ab zu Instagram zur Belohnung nach diesem Entzug? Ja, aber wirklich nur kurz.

Denn diese eine Woche hat mich sicher nicht geheilt. Das wäre wie 51 Wochenenden zu koksen und sich dann eine Woche lang beweisen wollen, man bräuchte es ja gar nicht. Einen gesunden Umgang erlernen, wie es so schön heißt, und präventiv alles im Blick haben, wenn es mal wieder problematisch wird und man zehn seiner zwölf Tagesstunden vor Instagram hängt und an Selbstzweifeln und Neid krepiert, steht ganz oben auf meiner Wunschliste.

Nachts schalte ich das iPhone ganz aus.

Daher habe ich die Internetlosigkeit perfektioniert, indem ich nicht mehr alle mobilen Daten ausschalte, sondern nur noch für Facebook, Messenger und Instagram. Pushbenachrichtigungen für alles aus, vor allem für WhatsApp. Nachts schalte ich das iPhone ganz aus.

Drei Dinge, die ich übrigens gelernt habe:

  • Erstens, wenn es wichtig ist, ruft die-/derjenige schon an. Kein dotierter Kunstpreis welcher Art auch immer wird euch, mir, uns entgehen, nur weil man bei Facebook nicht online ist.
  • Zweitens, es geht mir besser. Einfach so. Ich kann mich für andere im face-to-face-Gespräch freuen, fühle mich nicht so komplexgeplagt wie vor den sieben Tagen. Ich sehe weniger Angeberei und gebe selbst weniger an. Simple as that.
  • Drittens, ich habe medial nichts verpasst. Ich habe im so-called Hier und Jetzt besser zugehört, war aufmerksam und habe sehr viel besser geschlafen.

Wem will und muss ich denn ständig beweisen, wie krass gut alles läuft und wie sensationell-einmalig-cool ich bin?

Nehme mir hiermit vor, ab jetzt nur noch einmal pro Tag Instagram zu besuchen. Und mich nicht mehr so grenzenlos narzisstisch selbst zu produzieren – wem will und muss ich denn ständig beweisen, wie krass gut alles läuft und wie sensationell-einmalig-cool ich bin? Also.

Mit gutem Gewissen kann ich euch sagen: Es tut gut. Versucht es mal, wenn ihr euch dabei ertappt, ständig zu surfen, ständig wegzuhören und diese App ungerechtfertigt massig sozialen Raum einnimmt und euch gleichzeitig soziale, reale Beziehungen wegnimmt.

Ich möchte nicht mehr mit Instagram die Stunden ins Nichts verstreichen lassen. Echt nicht.

Headerfoto: Henry Laurisch („Wahrheit oder Licht“-Button hinzugefügt.) Danke dafür.

NASTI lebt und arbeitet in Leipzig. Als Medienwissenschaftlerin ist sie notorisch smartphonesüchtig und lässt euch bei Instagram alles miterleben, was sie so macht. Sie schreibt noch den ein oder anderen Text über Erlebnispornographie, Sex und Beziehung unter dem Pseudonym Antoinette Blume bei Mimi & Käthe.

1 Comment

  • Ehrlich, es tut unglaublich gut zu lesen, dass es Menschen gibt die einsehen wie traurig das ganze ist. Ich poste selber nicht wirklich etwas aber bin kleiner Konsument und Beobachter. Ständig frage ich mich ob das Leben der Menschen die ihr Leben so projezieren wirklich so viel besser ist als mein eigenes. Das lässt mich so viel zweifeln und Neid ist natürlich manchmal nicht zu vermeiden. Dein Artikel zeigt mir, dass eigentlich sie diejenigen sind die das Leben verpassen und nicht ich.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.