Ein glücklicher Zufall

Du und ich sitzen Kaffee trinkend in der Leipziger Innenstadt an einem der schönsten warmen Septemberabende. Ich höre dir schon lange nicht mehr zu, denn gedanklich bin ich dabei festzustellen, wie besonders du bist. Ich mag es, wie du mich ansiehst und grinst – auch wenn ich keine Ahnung habe, wovon du in diesem Moment redest. Ich mag es, wie du deine linke Augenbraue hebst, wenn du zweifelst. Gerade in diesem Moment lachst du herzlich – ich wünschte, es würde nie aufhören.

Wenn ich dich ansehe, dann möchte ich nur eins: dich berühren. Ich will deine perfekt zurechtgemachten Haare zerstören und dir den Kopf verdrehen. Ich will keinen Zentimeter mehr zwischen uns, will deine Zonen erkunden, die dich willenlos machen, und dir dann völlig hemmungslos … „Alles okay mit dir?“ Deine Stimme drängt sich in meinen Tagtraum. Er nimmt langsam Fahrt auf. „Du wirkst auf einmal so abwesend“. Wie aufmerksam von dir. Die Café-Geräusche werden lauter und dein Blick fesselt mich erneut. Wir sind viel zu vertieft in unser Gespräch, um dem neben uns stehenden Kellner wirkliche Aufmerksamkeit zu schenken. Es ist, als würde die Welt still stehen, wenn wir reden. Reden, mit einem verdammten Tisch zwischen uns, der keine zufällige Berührung zulässt. „Vegetarisch verbale Verschmelzung“ taufe ich es – und feiere im gleichen Augenblick meine ziemlich gekonnte ungewollte Alliteration – nicht.

Du sagtest zu Beginn, du seist nicht auf etwas Festes aus. Aber sagt das nicht jeder irgendwann mal, um sich nach vermutlich schlechten Dates mit gutem Gewissen zurückziehen zu können? Wir aber hatten keine schlechten Dates, im Gegenteil! Jeder Moment eine wertvoll verschlossene Erinnerung, aufgeschrieben in doppelt passwortgeschützten Dokumenten, damit niemand die peinlichen Details lesen kann. Details aus: Wie isst man eigentlich während des ersten Dates elegant einen Salat voller Rucola Strunze, ohne dass das Dressing durch die Gegend fliegt? Und die Geschichte von:

Wie ist es eigentlich gewesen, sich im betrunkenen Zustand elefantös über eine Mauer heben zu lassen, nachdem man merkte, dass man im letzten Jahr doch das ein oder andere Workout versäumte für den Fall, dass man mit jemanden nachts in einem abgeschlossenen Park seine Runden drehen will?

Nun sitzt du da, zwanzig Zentimeter von mir entfernt, und ich weiß, dass das nächste Treffen zu lange auf sich warten lassen wird. Du studierst eben dort und ich arbeite hier (rhetorisch gelungene Ist-Feststellung).

Ich steige in dein Auto, sehe die Lichter an uns vorbeiziehen. Der Wunsch, das Ende unseres zweiten Treffens hinauszuzögern, sei mir nicht vergönnt. Physiker sagen, man müsse nur den Raum krümmen. Ich versuche dies beim nächsten Mal zu berücksichtigen.

Ich mag es nicht, dass ich bei keinem unserer Abschiede den Mut fassen konnte, dir zu zeigen, wie sehr ich dich anfange zu mögen. Stattdessen steh ich da, nach Worten ringend und wartend auf ein Wunder oder irgendeine Geste, die mir noch eindeutiger zeigt, dass du mich mindestens genauso sehr magst, wie ich dich. „Wann sehen wir uns wieder?“, fragst du. Eigentlich will ich nicht mal, dass du fährst – zu lange wird es dauern, bis wir wieder zusammenfinden. Du steigst wieder ein, und kaum bist du weggefahren, wünschte ich, du würdest umkehren, auf einmal wieder vor mir stehen und sagen, du hättest etwas auf deinem Weg vergessen: mich.

Unsere Autorin macht in ihrer beruflichen Freizeit irgendwas zwischen studierter Mathematik und Kaffee trinken. Nach anfänglicher Schüchternheit zeigt sich ihr wahres Ich. Dieses ist ein bisschen verrückt, ein bisschen abenteuerlustig und extrem infantil. Je nach Bedarf und Situation jedoch auf Knopfdruck wahnsinnig seriös und erwachsen – soll vorkommen.

Headerfoto: Felipe Alonso via Creative Commons Lizenz 2.0! (Gedankenspiel-Button hinzugefügt.) Danke dafür!

siebert

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