Perfekt. Alles ist perfekt. Wo wir gerade sind, ist einer der Orte, an denen sich das Gefüge von Zeit und Raum auflöst, wo die Gravitation aufhört Materie an die Erde zu binden. Hier, wo wir gerade sind, ist das perfekte Jetzt.
Nachdem uns eine kleine Taschenlampe mit ihrem schwachen Licht durch die Dunkelheit des Waldes geführt hat, sitzen wir nun in der Kühle einer Spätsommernacht im feuchten Sand auf unseren Jeansjacken und schauen auf die bebende Oberfläche des vor uns ausgebreiteten Meeres. Allein das Licht der Sterne, die sich wie eine geknüpfte Decke über den gewölbten Himmel biegen, bringt den Strand zum Leuchten. In Campingbechern aus buntem Plastik, ein Gemisch aus Cola und billigem Rum, das wir zuvor an der Tankstelle des kleinen Küstenortes gekauft haben. In Neonlicht getaucht befüllten wir den Tank des alten Kombis, der uns dem Tag der Stadt entrissen hat, um uns schon bald an den nächtlichen Strand zu entlassen, während Karla auf dem Rücksitz schlief. Für einen kurzen Moment fühlten wir uns wie die jungen Helden eines Films aus den 90ern, für immer auf flimmernde Magnetbänder gepresst. Jetzt rinnt die Wärme des Rums unsere Kehlen hinunter und verdünnt unser Blut, das rhythmisch durch unsere Körper pumpt. Langsam verschwimmen die Bilder vor unseren Augen und werden zu pulsierenden Piktografien eines längst begrabenen Teenagertraums. Karla schlägt Räder auf dem kalten Sand, bis sie schließlich in der Dunkelheit verschwindet und nur noch ihr betrunkenes Glucksen aus der Ferne zu hören ist.
Wir lachen und erzählen uns Geschichten. Leise ruht meine Hand neben deiner, die stille Berührung deiner Haut ahnend, während ich beobachte, wie dein Atem vor deinen Lippen kondensiert. Der weiße Hauch verliert sich im Dunkel, als die schwarze Himmelsdecke plötzlich von einem hellen Punkt durchbrochen wird, der sich seinen Weg über den fernen Horizont bahnt. Eine Sternschnuppe zieht ihren glühenden Schweif in Richtung Erde. Panisch schleudere ich im Gegenzug einen schnellen Wunsch zurück ins All, denn ich weiß, dass dieser glühende Punkt unsere direkteste Verbindung ins Universum ist, der Ort, der unsere tiefsten Wünsche kennt und unsere geheimsten Sehnsüchte in der Unendlichkeit begräbt.
Ein tiefer Atem, ein Augenschlag, doch alles bleibt, wie es ist. Unverändert rauscht das Meer in unseren Ohren, unsere Herzen schlagen betrunken gegen die Bögen, die unsere Rippen spannen und regungslos liegt meine Hand neben deiner. Genauso schnell wie mein Wunsch, der sich auf seinem Weg durch die Atmosphäre längst in seiner eigenen Glut aufgelöst hat, vergeht auch unser perfekter Moment, als sich Karlas Rückkehr durch ein wildes Lachen ankündigt.
Das immer schwächer werdende Licht unserer Taschenlampe führt uns zurück in den Wald. Während meine schwarzen Stoffschuhe beginnen sich in der Dunkelheit aufzulösen, denke ich an die kleinen Lichter. Die Lichter, die uns all das versprechen, was gerade so unmöglich scheint. Ausgespuckt vom Universum, verdammt, ihre letzten Züge durch eine erblindete Welt zu ziehen. Ich lege mein Glück in die Hände eines zum letzten Mal erleuchtenden Sterns. Ein sterbender Meteor, der von meinen Begehren nichts mehr wissen will.
Unsere Taschenlampe erlischt und lässt uns in der Finsternis zurück. Den letzten Mut, den der billige Alkohol müde durch meine Venen presst, gesammelt, greife ich nach deiner Hand, die du mir widerstandslos gibst. Keine Lichter, keine Sterne, nur zwei Hände. Mit flüsternder Stimme fragst du mich, ob ich Angst habe, warum ich deine Hand halten will. Und die einzig wahre Antwort, die ich habe, ist: Weil ich weiß, dass du sie mir morgen nicht mehr gibst.
Headerfoto: Elvis Ma via Unsplash.com (Gedankenspiel-Button hinzugefügt.) Danke dafür!
Autorenfoto: Florian Grey