Körper. Liebe. Kind. Angst.

Die Liebe schmeckt nach Honig, nach frischen Erdbeeren, nach reiner Luft, klarem Wasser, weißem Schnee, Schokolade und einem unendlich langen Kuss von dem Liebsten. Die Liebe hat etwas Magisches. Man kann sie nicht sehen, man fühlt sie nur in diesem Muskel in unserer linken Brust. Die Liebe sucht nicht nach dir, sondern ist einfach da. Die Liebe ist für alle deutlich sichtbar. Sie strahlt von innen heraus, sie lächelt und ist niemals traurig. Die Liebe kennt keinen Hass und auch keine Gewalt. Die Liebe ist das reinste Gefühl auf dieser Erde. Die Liebe kann einseitig sein, sie kann dich verrückt werden lassen. Die Liebe ist nicht für alle sichtbar, sondern manchmal nur für dich. Du strahlst es aus und trotzdem wird es nicht gesehen, von demjenigen, den du liebst. Die Liebe kennt sehr wohl den Hass, den Hass der Verzweiflung, wenn man nicht zurück geliebt wird.

Wunderschönes Wetter. Strahlender Sonnenschein. Er fährt mit dem Auto vor, ich hole den Einkauf vom Beifahrersitz. Er sucht weiter nach einem Parkplatz und ich setze mich auf die Treppen und warte. Warte, dass dieses ungute Gefühl in meinem Bauch verschwindet oder die Tränen aus dem Augenwinkel einfach weg gehen. Doch das tun sie nicht. Von hinten schleicht er sich ran, nimmt mich so fest in seine Arme, strahlt, weil es ein perfekter Tag für ihn war. Er rechnet mit nichts, außer mit einem schönen Abend, gutem Wein und hemmungslosem Sex.

In seiner Wohnung ist es sehr gemütlich. Ich habe mich vom ersten Augenblick wohl gefühlt. Ein großer Balkon, der gerade restauriert wird, grenzt an sein Zimmer. Quadratisch, weiß, 1,80-Bett, blaue Couch vor dem Fernseher, großer Wandspiegel, in dem kein Spiegel mehr ist, sondern nun Postkarten kleben. Ich mag’s. Er hat aufgeräumt. Seit 4 Monaten räumt er auf, wenn ich komme. Irgendwann wird er das ablegen und schlampig sein, wie immer. Doch jetzt, in der Anfangsphase, legt er Wert darauf.

Er bemerkt, dass etwas nicht stimmt. Nimmt mich in den Arm. Ich ertrage das nicht so gut, löse mich und setze mich auf das Sofa. Wie fängt man an? „Ich bin zu 90% schwanger!“ Er sitzt neben mir, schaut mich an und zeigt auf mich und auf sich. Stutzt. Offener Mund. Steht auf. Fährt sich durch die Haare. Läuft durchs Zimmer und sucht Zigaretten. Setzt sich wieder. Dreht eine. Währenddessen erzähle ich von meinem Besuch beim Frauenarzt heute Morgen, von dem Routine-Test, weil ich seit zwei Tagen überfällig bin. Ich erzähle von dem leicht positiven Streifen auf dem Schwangerschaftstest, von dem Ultraschallgerät, welches komische Punkte in meiner Gebärmutter zeigt. Von dem Beratungsgespräch mit der Ärztin.

Ich stehe auf, gehe auf den renovierungsbedürftigen Balkon und lasse meine Beine baumeln. Hier gibt es kein Gitter mehr. 3. Stock. Er kommt raus, setzt sich neben mich und fängt an zu reden. „Ich bin komischerweise gar nicht so geschockt“. Natürlich ist er geschockt. Mehr als das. „Nein, sagen wir nicht geschockt. Ich habe keine Angst.“ Das ist was anderes. Er ist knapp 30 Jahre, er will Kinder. Angst ist da überflüssig. Ich aber habe Angst. Eindeutig geht mir die Pumpe. Und zwar ganz schön doll. Und dann passiert es. Seine Reaktion ist fantastisch.

Er schaut mich an, wir sitzen immer noch auf dem Balkon, und er geht mit mir zusammen alle möglichen Situationen durch. Erzählt mir, wie sehr sich seine Oma freuen würde, dass er sich bereit fühlt, Vater zu werden, dass wir dieses Projekt hinkriegen würden, mit Unterstützung unserer Freunde. Und dann geht er die andere Möglichkeit durch. Redet davon, dass wir erst so kurz zusammen sind, dass unsere Familien nicht hier wohnen, dass wir vielleicht noch nicht bereit sind. Er ist mehr als fantastisch. Er ist großartig. Er bedrängt mich nicht, redet gelassen und überlegt. Er raucht. Viel. Aber das ist auch okay. Dann nimmt er mich, nach 1 ½ Stunden in den Arm. Wir haben uns noch nicht geküsst. Aber ich liege dort so sicher und geborgen, wie ein Baby. Und das ist das beste, was an diesem Tag passieren konnte. Und da ist es: Das Gefühl der Liebe. Das erste Mal in diesen Monaten ist es eindeutig zu fühlen. Ich sage es nicht. Aber es ist da. Zwei fast erwachsene Menschen, die sich 5 Monate kennen, die Spaß haben, vögeln, saufen, auf Festivals fahren, ihr Leben leben und einfach wunderbar zusammen sind, bekommen ein Kind.

Niemals geht das gut. Projekt abgeblasen.

Trotz dieser Liebe in mir, die ich schon ewig nicht gefühlt hatte, will ich das nicht. Es zerstört alles. Es macht alles kompliziert. Es lässt uns alt werden, es lässt unseren Status der Beziehung, die noch eine Knospe ist, alt werden. Dazu bin ich nicht bereit. All den Spaß zu opfern, den ich mit ihm noch erleben will. Mit diesem Mann, den ich gerade erst liebe. Und ich entscheide mich in dieser Umarmung gegen dieses Kind. Ich hatte mich schon vorher dagegen entschieden, ihm nur die Möglichkeit gelassen, auch etwas dazu zu sagen. Eine eigene Entscheidung zu treffen.

Eine Woche später bekomme ich meine Periode. Es ist schmerzhaft und fies und blutig. Aber: Ich musste nichts mehr entscheiden, das Zellgebilde in meiner Gebärmutter hat sich selbst entschieden – dass diese beiden Menschen nicht bereit sind. Nicht für ein Kind. Nicht einmal füreinander.

Lin ist noch 28 und legt darauf auch sehr viel Wert. Sie hasst Katzenvideos und die Zahl 30, findet, dass Wegrennen etwas für Anfänger ist, dass Musik jede Situation verschönert, die meisten Menschen nie vernünftig handeln, Fahrradfahren Pflicht sein sollte und Männer nicht zu durchschauen sind. Lin schreibt im Berufsleben über Medien-Schnickschnack, geile Biere, seitenlange Reportagen über Weltenbummler und manchmal auch klassische Filmkritiken. Hier lässt sie ihren Seelenmüll raus über Vieles – aber hauptsächlich über Jungs, Väter, gestandene Männer, Raketen, Nerds, Hipster und Co.

Headerfoto: Vance Osterhout via Unsplash.com. („Gedankenspiel-Button“ hinzugefügt.) Danke dafür.

imgegenteil_Lin

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