Raphael | 30 | Berlin

„Liebe Mutter, ich habe seit Tagen nicht geduscht!“

Raphael ist ein guter Typ, so viel schon mal vorweg. Auf der IUVENTA gehörte er zu den Deckhands/Gurken ohne Seeerfahrung, was ihn natürlich sofort zu meinem Verbündeten machte. Alle Warnschilder übersehend, verbrannte er sich gleich in den ersten Tagen beim Duschen an irgendeinem Heißwasser-Nöppel. Respekt! Dies ist übrigens ein IUVENTA-Special, live für euch vor der Küste Libyens gefertigt, bei mindestens ganz hohem Seegang.

Raphael hielt beim Auskranen des Beibootes dieses eine blaue Seil, dabei trug er einen grünen, mit „Rap“ beschrifteten Helm, den sogenannten Rap-Helm. Das fand ich witzig. An Raphael ist eh Vieles witzig, zum Beispiel seine Witze. Oder die Mails, die er seiner Mutter schrieb. (Auf See hat man es nicht so mit dem Briefgeheimnis). Außerdem half er den Geflüchteten nach der Rettung aus dem Schlauchboot in die IUVENTA. Sein sehniger Arm schaffte es so sogar ins Wall Street Journal! Der letzte Refugee war kaum an Bord gezogen, da saß der gelernte Journalist schon mit seinem Diktiergerät mittendrin, sammelte O-Töne, machte Notizen in sein Büchlein. Ich bin mir sicher, diese Experience war eine willkommene Abwechslung zum „besorgten“ deutschen Bürgertum, mit dem er sich sonst hauptsächlich beschäftigt.

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Als Qi-Gong-Lehrer der Herzen konnte er unsere Energien auf dem Vordeck in Schwung bringen und auch die Skeptiker restlos überzeugen. Vielleicht, weil nach jedem Kurs ein Eis-Kaffee serviert wurde, wer weiß. Und wenn ihm so Gruppen-Dinge auf den Sack gingen, nahm er sich seinen Freiraum, hing auf der Brücke in der Ecke ab oder unter den Rettungswesten an Deck. Neben Raphael konnte man auch gut sitzen und einfach nur in den Sonnenuntergang starren.

Raphael kommt manchmal vielleicht minimal unbeteiligt rüber, aber bestellte man ihm ein Rudel Delfine ans Schiff, freute sich der Junge wie eine Fünfjährige im Kettenkarussel. Kurz vor unserer Rückkehr nach Malta schaffte er es noch irgendwie, den kleinen Mast am Bug des Schiffes abzureißen. Ich nehmen an, es waren seine stahlharten Muskeln. Als der Maschinist das Ding bei hohem Wellengang total mutig wieder anschweißte, stand Raphael drei Meter weiter und fürchtete sich vor den Funken. Immerhin filmte er – halt ganz der Journalist. Für mich aber wirklich sehr viel mehr als das, nämlich ein rechtschreibsicherer Mann mit Gehirn und Herz. Nur den grauen Fischerhut, den müsste ihm bitte zeitnah jemand verbieten. Du vielleicht? Ja, spitze. Dann lies hier weiter:

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Wo kommst du her und wie war es, dort aufzuwachsen?

Ich bin in Bonn aufgewachsen und das war mit Sicherheit okay, bis man 18 war. In der Schule war ich interessiert und daher ganz gut, ich war ein neugieriger Schüler. Leider hab ich dann den großen Fehler begangen, auch in Bonn zu studieren, und mich zu Tode gelangweilt.

Irgendwelche Verletzungen erlitten?

Nee. Keine Brüche, keine Herzbrüche … Obwohl. Ich hatte einen Herzbruch als ich 13 war.

Wie hieß sie?

Ronja.

Ach ja, richtig. Die mit den feuerroten Haaren. Beileid. Was hast du gelernt?

Beruflich oder generell? Beruflich: Ich hab Politik studiert, war noch auf einer Journalistenschule und bin jetzt Journalist. Und generell, was ich vom Leben gelernt habe: Dass es Spaß macht, möglichst viel hineinzupacken.

Wie verdienst du dein Geld und macht dir das Spaß?

Mit Journalismus. Das macht mir sehr viel Spaß. Das ist der schönste Job der Welt. Von Februar bis Mai war ich zum Beispiel in Sachsen unterwegs und habe versucht zu verstehen, warum so viele Leute zu Pegida und anderen Anti-Asyl-Demos gehen, und darüber ein Online-Magazin geführt. Danach habe ich in Mecklenburg-Vorpommern bei den Landtagswahlen recherchiert, warum die AfD so viele Stimmen bekommt. Spannende Themen.

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Was machst du auf der IUVENTA?

Da ZEIT Online gut fand, was ich bisher gemacht habe, bin ich für die als Journalist hergekommen. Die Anfrage, ob ich auf die Reise Lust hätte, kam am Freitag und am Dienstag musste der Flug schon gehen. Ich hab trotzdem sofort zugesagt, weil ich da Mega-Bock drauf hatte. Es war aber auch vor der Reise schon klar, dass ich hier viel mit anpacken würde, weil das natürlich kein Passagierschiff ist, sondern Menschen gerettet werden. Ich wurde auch voll in die Mission integriert.

Was war das krasseste/bewegendste/witzigste Ereignis für dich an Bord?

Auf jeden Fall die Geschichten der Flüchtlinge. Das, was sie erzählt haben über Libyen, wie sie da geprügelt und misshandelt werden, erschossen, erpresst, gekidnappt. Und dann wartet man und wartet man und wartet man als Crew und hofft, dass weitere Boote kommen, dass mehr Leute da rauskommen aus diesem Drecksloch. Dann ist aber irgendwas, das man nicht ganz versteht – ob es das Wetter ist oder die Situation an Land. Jedenfalls kommen die Boote nicht und man sitzt den ganzen Tag hier rum und weiß, dass die Menschen da vorne festsitzen.

Was vermisst du nach zwei Wochen an Bord am meisten?

Ruhe. Zeit für mich. Stille. Auf meinem Bett liegen. Spazierengehen.

Bist du so ein introvertierter Typ?

Ich glaube, ich bin beides. Ich bin sehr gerne in Gesellschaft und ich bin echt gerne alleine. Ich hab einmal für ein Jahr alleine in einem kleinen Hexenhaus gewohnt, am Waldrand. Und das war voll geil morgens aufzuwachen und keiner war da. Da kannst du erst mal in Ruhe nen Kaffee trinken und aus dem Fenster gucken.

Das hast du hier doch auch gemacht?

Ja, aber hier ist immer irgendwer. Was ja auch schön ist! Ich hab die Zeit hier sehr genossen und sich in der Gruppe aufzuhalten formt ja auch viel intensivere Erlebnisse. Aber jetzt reicht’s mir. (Lacht.)

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Was ist die IUVENTA?

Die IUVENTA ist das Schiff des spendenbasierten Vereins Jugend Rettet, der es sich zum Ziel gemacht hat, in Seenot geratene Flüchtende vor der Küste Libyens zu helfen. Allein in den ersten vier Monaten konnten so über 4000 Menschen vor dem Ertrinken gerettet werden.
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Wann hast du das letzte Mal geduscht?

Gerade eben.

War das mit der Brücke abgesprochen?

Nein. Ich glaub, wir haben wieder Duscherlaubnis, oder?

Lieblingsfilm, Lieblingsbuch?

Der letzte Film, der mich sehr beeindruckt hat, war The Artist is Present von Marina Abramovic – das ist eine Doku um die Künstlerin. Buch? Der erste Mensch von Albert Camus.

Apropos. Man munkelt, du hättest am Ende deines Hemingway-Buches geweint – stimmt das?

Als ich es das erste Mal gelesen habe, ja. Aber nicht jetzt hier an Bord.

Lieblingskünstler, -song, -album?

Aim mit Cold Water Music – ein sehr altes Trip-Hop-Album aus den Neunzigern.

Tekken 4, Sims 2, FIFA 06?

FIFA oder Sims hab ich beides nicht gespielt, kann also nur Tekken sein.

Die Legende besagt ja auch, dass du im Tekken unschlagbar seist. Ist das korrekt?

Das ist nicht korrekt. Ich hab auf der ganzen Fahrt nur zweimal gewonnen. Ich glaub, ich war der Schlechteste an Bord.

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Multiple Choice: Qi-Gong, Kampfsport, Schwimmen oder Zirkeltraining?

Ganz klar Qi-Gong. Ich war ja quasi der Qi-Gong-Lehrer. Ich hab das irgendwann mal auf YouTube gelernt. Das gibt mir morgens einen Moment des Innehaltens, aber vor allem gibt es mir, dass mein krummer Ich-muss-Artikel-am-Laptop-schreiben-Rücken wieder ein bisschen gerade wird.

Was kannst du besonders gut?

Neugierig bin ich. Ich kann Menschen sehr gut ihre Geschichten aus der Nase ziehen. Ich bin außerdem natürlich sehr gut im Bett. (Lacht.)

Natürlich. Und was kannst du nicht so gut?

Mich schnell öffnen auf zwischenmenschlicher Ebene. Was noch? Hmm. Abzuschalten, mir genügend Auszeiten zu nehmen.

Kannst du gut Autofahren?

Ich hab erst vor sechs Wochen meinen Führerschein gemacht.

Herzlichen Glückwunsch! Kannst du gut Autofahren?

Nein. Also, na ja, den Umständen entsprechend …

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Monogame Zweierbeziehung, freie Liebe oder One Night Stand?

Freie Liebe. One Night Stands sind langweilig, außer der Sex ist total gut. Aber wenn der Sex gut ist, dann kann man ja auch gleich ein Freie-Liebe-Ding draus machen. Auf eine Beziehung hätte ich sogar auch Lust drauf, aber ich glaube, da fehlt mir gerade ein bisschen die Zeit für.

Was hast du zu Hause immer im Kühlschrank?

Ich bin so selten zu Hause in Leipzig. Meine Mitbewohnerin hat da meistens zwei Flaschen Bier drin und vielleicht eine ausgedrückte Tube Senf. Und ich, wenn ich da bin, hab Käse drin und Eier und Butter.

Wenn du eine Superpower hättest, welche wäre das?

Neulich haben wir mit Freunden so ein Psychospiel gespielt. Die Frage war, was man machen würde, wenn man an eine sehr hohe Mauer gelangt. Ein Freund meinte, er würde versuchen, ein Loch zu finden, um erst mal durchzugucken, ein anderer wäre einfach wieder umgedreht, und ich hab gesagt: Ich wäre gerne Spiderman. Also: Spiderman!

Du bist nicht der Erste, der „Spiderman“ sagt, und erst die zweite Person, die ich interviewe. Spannend! Gibt es einen Wunsch, den du dir gerne mal erfüllen würdest?

Das wäre so was cheesiges Weltpolitisches wie Frieden? Genug Essen für alle?

Letzte Worte?

(Überlegt.) Ich glaube, dass ich immer genau das tue, was ich fühle und möchte und ein sehr ehrlicher Mensch bin, aber nicht immer einfach im Umgang für meine Mitmenschen.

Das ist der letzte Satz, der im Porträt stehen soll?

Wieso nicht? Ist doch nur ehrlich?

Gut! Vielen Dank!

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Bonusfact: Raphael singt und pfeift richtig gerne. Wenn du Bock auf „Drunken Sailer“ in Dauerrotation hast, tippel dich unten durchs Formular. Zuvor aber noch eine kleine Bitte: Unterstützt den Verein Jugend Rettet e.V. und die Missionen im Mittelmeer, denn jeder Mensch verdient die Rettung aus Seenot. Alle Infos gibt es auf der Webseite, bei Facebook und auf Betterplace. Fände Raphael bestimmt auch spitze! Wo wir wieder beim Thema wären:

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JULE ist Gründerin von im gegenteil und Head of Love. Sie schreibt (hauptsächlich zu therapeutischen Zwecken über ihr eigenes Leben), fotografiert Menschen (weil die alle so schön sind) und hat sogar mal ein Buch verfasst. Mit richtigen Seiten! Bei im gegenteil kümmert sie sich hauptsächlich um Kreatives, Redaktionelles und Steuererklärungen, also alles, was hinter dem Rechner stattfindet. In ihrer Freizeit schläft sie gerne, sortiert Dinge nach Farben und/oder trägt Zebraprint. Wer kann, der kann. Inzwischen ist sie - entgegen ihrer bisherigen Erwartungen - glücklich verheiratet.