Zwischenräume

Wir sitzen nebeneinander am Rhein, auf diesem kleinen Steg, den man vom Weg oben nicht richtig sehen kann – die Sonne geht schon langsam wieder auf. Zwischen uns stehen eine fast leere Flasche Wein und viel zu viele Emotionen. Wir lachen zusammen, schwelgen in Erinnerungen an die Zeit, in der diese scheiß Gefühle noch nicht versucht haben, uns die Idee von Sex ohne Liebe auszureden.

Ein Jahr lang zwischen hin und her, ja und nein. Zwischen Verlangen und Beherrschung, zwischen Liebe und Hass. Gut, richtig gehasst haben wir uns wohl nie, richtig geliebt vielleicht auch nicht, wer weiß das schon so genau. So viele Flaschen Wein habe ich schon damit zugebracht, an dich zu denken. So viele fremde Mädchen hast du aufgerissen, um nicht an mich denken zu müssen. Und jetzt sitzen wir wieder hier und reden darüber, dass sich etwas ändern muss, weil wir nicht miteinander können und nicht ohneeinander, und weil wir uns jeden zweiten Tag auf der Arbeit sehen. Hätte ich mal auf meine Mutter gehört, als sie sagte, ich solle bloß nichts mit einem Kollegen anfangen. Wäre es da nicht längst zu spät gewesen.

Ich muss daran denken, wie einfach das früher in der Grundschule war. Da wurde ein zusammengefalteter Zettel quer durch den Klassenraum gereicht, und dann musste man einfach nur ankreuzen ob Ja oder Nein. Manchmal gab es ein Vielleicht für die Unentschlossenen, aber eigentlich wollte man miteinander gehen oder eben nicht. Und heute?

Kennenlernen, sich irgendwie gut finden, erst mal noch zwei andere Leute daten, um sich auch sicher zu sein. Sex, nicht melden, irgendwann dann doch melden, beim Feiern gehen jemanden kennenlernen, zweifeln, Zweifel in Wein oder Schnaps ertränken, besoffen anrufen, Sex. Und dann? Dann kommt Ja oder Nein. Oder Vielleicht. Oder „Ich kann das jetzt nicht so spontan entscheiden.“ Oder „Der Zeitpunkt ist gerade unpassend.“ Oder „Ich bin gerade nicht bereit für etwas Festes, aber lass uns doch einfach vögeln.“

Irgendwo auf dem Weg von Grundschulalter zu Volljährigkeit haben wir wohl unsere Fähigkeit verloren, einfach mal Ja zu schreien, wenn wir doch nichts lieber wollen, als mit dieser einen Person morgens auch ohne Kater aufzuwachen und dann nicht nur einen lauwarmen Kaffee, sondern ein richtiges Frühstück zu teilen. Und danach die Dusche und den restlichen Nachmittag, nicht nur feucht-fröhlich-verzweifelte Nächte.

Eigentlich habe ich gar keine Lust mehr auf deine Spielchen. Seit so vielen Monaten bist da immer wieder du, der mein Herz nicht ganz, aber eben doch so ein kleines bisschen festhält. Du willst, dass du für mich der Eine bist, aber dir genügt ein einziges Mädchen nicht. Zweimal hab ich dich gefragt, ob Ja oder Nein, und zweimal wusstest du nicht, was du sagen sollst. Ich hab mir immer wieder meine Hand gegen die Stirn geschlagen und mich gefragt, was ich denn eigentlich von dir will. Aber manchmal kann der Kopf einfach nicht empfinden, was das Herz fühlt, und das Herz kann nicht kommen sehen, was der Kopf längst weiß.

Also sitze ich wieder mit dir zusammen und wir reden. Und als ich dir, mutig von den tausend stillen Proben vor meinem Spiegel, dann sage, dass ich langsam nicht mehr darauf warten möchte, dass du mir wieder weh tust, und dass wir das alles endlich beenden sollten, fängst du plötzlich an zu reden.

Du erzählst mir, dass du mehr für mich empfindest, mehr als nur Mögen oder Vögeln wollen. Dass du Angst davor hast, dass dir das zu spät eingefallen ist und ich nun nicht mehr möchte. Dass du all diese fremden Mädchen nur mit zu dir genommen hast, um dich von mir abzulenken, und dass es mit keiner einzigen funktioniert hat. Gedanken schwirren in meinem Kopf und Schmetterlinge in meinem Bauch. Vielleicht sind es auch keine Gedanken und Schmetterlinge, sondern nur das Ergebnis der drei Flaschen Chardonnay, aber alles in mir schwirrt und mein Kopf versucht panisch, meinem Herzen sein Recht auf Meinungsfreiheit zu verwehren.

Du sagst, dass du mich nie verletzen wolltest, dass du das nie wieder tun wirst, und deine glasigen, betrunkenen Augen sehen so verdammt ehrlich aus. Und dann nimmst du plötzlich mein Gesicht in deine Hände, wischst die Tränen weg, von denen ich nicht mal gemerkt habe, dass ich sie weine, und schaust mich an. Ich denke, dass du mich küssen willst, aber du küsst mich nicht. Du schaust mich an und stellst mir ein verdammtes Jahr zu spät diese dumme, kindische Frage. „Willst du mit mir zusammen sein?“ Ich spüre, wie meine Kinnlade nach unten klappt, wie ich um Worte und Fassung ringe, wie ich mich mal wieder in einem Zwischenraum befinde. Ein Zwischenraum zwischen dich küssen oder ohrfeigen wollen. „Ja oder Nein?“, flüsterst du. Mein Kopf weiß, dass du mir wieder wehtun wirst, doch mein suizidales Herz schreit trotzdem Ja, aus voller Kehle.

„Ich kann das jetzt nicht so spontan entscheiden“, sage ich. „Du bist betrunken und ich auch ein bisschen, und ich hab Angst mir wieder weh zu tun.“ Du nickst verständnisvoll und ich sage, wir sollten noch mal reden. Ohne Wein und ohne eine durchtanzte Nacht als Prolog. Wieder nickst du.

Als ich dir zwei Tage später schreibe, ob wir uns treffen können, sagst du, du hast keine Zeit. Am Tag darauf auch nicht. Noch am selben Abend sehen wir uns bei der Arbeit wieder. Ich abgefuckt von der Hitze, den anstrengenden Gästen und dem Gedankenchaos in meinem Kopf, und du an der Bar. In der einen Hand ein Cocktail, in der anderen ein fremdes Mädchen. Ich ohrfeige mich innerlich für den Stich, den du meinem Herzen mit diesem Anblick versetzt. So schnell hast du deine eigene Frage also beantwortet.

Als ich Stunden später verschwitzt und erschöpft meine Wohnungstür aufschließe und die Schuhe von meinen Füßen streife, vibriert mein Handy.

Du fehls mri. Knan ich vorbei kommen und wir redn?

Ich muss lächeln, als ich deine betrunkenen Worte lese. Ein bisschen, vielleicht viel mehr als nur ein bisschen bin ich dir dankbar für diese Nachricht. Weil du mir endlich, nach zwölf Monaten Zwischenraum-Dasein, klar machst, dass es nur eine Antwort gibt.

Nein.

Headerfoto: Joanna Nix via Unsplash.com. („Gedankenspiel-Button“ hinzugefügt.) Danke dafür.

LUISA ist geboren im Süden, hat Wurzeln im Osten, studiert in der Pfalz und heute ihr Zuhause mit Mann und Hund in Hamburg gefunden. Dort arbeitet sie als selbstständige Texterin und Konzeptionerin. Und nach Feierabend? Liebe Menschen, guter Vino, offene Gespräche. Alles, was es braucht.

5 Comments

  • Toller Text.
    Blicke mit einem Lachen zurück. Er hat dir auch viele schöne Momente in deinem Leben gebracht. Sei dankbar dass du die Erfahrung machen durftest und gehe mit diesem Wissen in dein nächstes Liebesabenteuer.
    Mir geht es gerade ähnlich und auch ich bin froh, endlich nicht mehr an ihn denken zu müssen gleichzeitig mich selbst fragend, warum ich das eigentlich tue (ist ja alles locker und easy) und erst vor ein paar Tagen endlich erkannt habe: „Er ist es nicht.“ Das dauert halt manchmal. 😉

  • Warum in Gottes Namen saufen so viele so viel? Auch in diesem Text spielt Alkohol die führende Rolle, habe ich den Eindruck. Mich ermüdet das und lässt mich lieber Single bleiben, als mir immer wieder die alkoholgeschwängerten Säuseleien anzuhören, die morgen wieder vergessen sind.
    Klarer Verstand, dann klappts auch mit den echten Gefühlen.

    • Ich glaub, Alkohol hat dabei schon immer eine recht große Rolle gespielt. Weil viele Menschen es mit klarem Verstand eben nicht schaffen, über echte Gefühle zu reden, weil der Mut oder sonst was fehlt. Heißt nicht, dass ich das gut finde, eher, dass es oftmals die Realität ist.

  • Super gerne gelesen. Und sehr gelacht bei dem betrunkenen Arschloch-Versuch doch wieder angekrochen zu kommen. Und dann gemerkt, selber schon so Nachrichten verschickt zu haben.

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