Es ist Mittag, als ich mit rot lackierten Fußnägeln auf dem Balkon mit dem Kaffee in der Hand sitze und mir Freudentränen über die Wange kullern. Ich muss selbst über mich lachen, während ich da so sitze. Dass ich mich so sehr über deinen Wegzug freue.
Ich erinnere mich daran, dass ich dich nachts volltrunken anrief, um dich zu fragen, ob du mit mir eine Pommes essen gehst und dir einen Heiratsantrag machen wollte, nachdem du entschieden hast, dass du das Kapitel mit mir nicht länger schreiben willst. Nicht so.
Ich erinnere mich daran, wie ich dir auf dem Weihnachtsmarkt sagte, dass mit dir „nicht alles scheiße“ ist. Ein für meine Verhältnisse damals sehr großes Kompliment.
Ich erinnere mich daran, wie ich dir auf dem Weihnachtsmarkt sagte, dass mit dir „nicht alles scheiße“ ist. Ein für meine Verhältnisse damals sehr großes Kompliment. Ich erinnere mich an das viel zu kurze Kleid, in dem ich mich nach den Kürbisscheiben im Ofen bückte und dir den blanken Hintern entgegen streckte. Daran, dass wir Weihnachten einfach zum Kartoffelfest umgeschrieben haben.
Ich erinnere mich, wie du im Winter die ganze Schellingstraße entlang ranntest, nachdem du mich hast warten lassen. Um mich daran zu hindern, dass ich eingeschnappt den Bus nach Hause nehme. Die Zahnpasta, die im Bad umher flog, weil ich zum ersten Mal eine elektrische Zahnbürste benutzte. Deine.
An die Besuche bei deiner Familie in der Heimat. An das Eindösen neben dir, während du deine Bücher gelesen hast. An die vielen Unsicherheiten, die du unbewusst in mir hervor gerufen hast. Es war eine andere Zeit.
Ich erinner mich an das Konzert. Das Knutschen in der Hipsterbar. Das erste Kennenlernen mit deinem Mitbewohner. Die Geburtstagsparty in der Maxvorstadt. Deinen neun Quadratmeter großen Kabuff, den du Schlafzimmer genannt hast. Deine Hände. Deinen Schmollmund, wenn ich dich wieder geärgert habe.
Ich erinner mich an das Konzert. Das Knutschen in der Hipsterbar. Das erste Kennenlernen mit deinem Mitbewohner. Die Geburtstagsparty in der Maxvorstadt. Deinen neun Quadratmeter großen Kabuff, den du Schlafzimmer genannt hast. Deine Hände. Deinen Schmollmund, wenn ich dich wieder geärgert habe.
Deine viel zu scharfe Pasta mit Tomatensauce. Deine Liveaufzeichnung vom Fred Fesl im Auto. Den Kuss über den Schüsseln mit Reisnudeln. Den Kuss nach meiner Rückkehr aus Berlin. An den Abend, an dem wir entschieden haben, uns einen Rahmen zu geben. Uns zu definieren.
All das ist lange her. Es folgten alljährliche obligatorische „Hey, ich wollte kurz nachhorchen, wie es dir geht.“-Nachrichten. Ein kurzes updaten. Sich Gutes wünschen. Mal ein kurzes Treffen. Wieder Tschüss sagen.
Ausflug in die Vergangenheit
Ich stehe in der U-Bahn mit den Kopfhörern im Ohr als mein Display deinen Namen aufploppen lässt. „Lust auf Bier?“. Ich muss schmunzeln, dass du dich ausgerechnet an diesem Abend meldest. Erst einige Minuten zuvor habe ich meiner Chefin am Telefon gesagt, dass ich den Job kündigen werde. Neue Wege gehen möchte. Etwas Neues ausprobieren.
Du warst immer derjenige, der darauf gepocht hat, dass ich mich auch mal etwas trauen sollte. Mich nicht unter Wert verkaufen. Nicht immer so viel geben und so wenig zurückbekommen. Für diesen Abend musste ich dir absagen, weil die Frühschicht am nächsten Tag wieder rief. Ich bereits seit vierzehn Stunden auf den Beinen war. Aber wir holten unser Bier dann doch schnell nach.
Du siehst anders aus. Noch immer der Großgewachsene mit dem hübschen Gesicht. Den Lachfalten. Dem Schmollmund. Aber du siehst gezeichnet aus.
Du siehst anders aus. Noch immer der Großgewachsene mit dem hübschen Gesicht. Den Lachfalten. Dem Schmollmund. Aber du siehst gezeichnet aus. Du erzählst mir von deiner Not-OP einige Monate zuvor. Du als Arzt nutzt gleich wieder Fachsimpelei, die ich nicht verstehe. So wie früher. Du erzählst von deiner Exfreundin. Du sagst, du hättest sie bedingungslos geliebt. Ich finde, das klingt schön. Du erzählst von deinen Wünschen, von deinen Plänen. Ich fühle mich in unsere Zeit versetzt. Diese Wünsche haben sich scheinbar bis heute noch immer nicht erfüllt. Du hast sie dir selbst nicht erfüllt. In all der Zeit. Das lasse ich dich wissen.
Ich erzähle dir von meinen desaströsen Liebschaften. Meiner Fotografie. Dass mir das Schreiben so gut tut. Dass ich endlich anfange, ich selbst zu sein. Keine klischeehafte Reise zu mir selbst. Eher der Mut, Altes loszulassen. Wir lachen beide darüber, dass wir wohl beziehungsunfähig sind. Aber die Hoffnung nicht aufgeben.
Die Geister der Vergangenheit waren die, die es uns damals nicht einfach gemacht haben. Die letzten Endes dazu geführt haben, dass es zum Ende geführt hat. Nachdem wir die Bar verlassen haben und wir rauchend auf meinem Balkon stehen, sind wir uns beide einig. Unsere Geschichte war verrückt, urig, intensiv, irgendwann anstrengend. Für beide.
Unsere Geschichte war verrückt, urig, intensiv, irgendwann anstrengend. Für beide.
Vor allem aber war sie sehr lehrreich. Dass es doch kein Ende ist. Dass eine Verbundenheit besteht, wenn sich zwei Seelen wie unsere einmal geprägt haben. Egal, wie lange die gemeinsame Geschichte angedauert hat. Dass wir beide sehr dankbar sind.
„Ich hab es dir nie gesagt, aber von allen warst du mir der Liebste.“ Du nimmst dieses Kompliment überrascht an. Diesmal ist es ein schöneres als „mit dir ist nicht alles scheiße“. Und ich meine es so. Ohne einen romantischen Gedanken. Ich meine es aus dem Bauch heraus.
Dank dir habe ich so viel gelernt. Über mich selbst. Wie ich nicht sein möchte. Dass sich Mut auszahlt. Dass man den Menschen, die man gerne hat, die schönen Dinge offen sagen sollte, die man wegen ihnen fühlt.
Du verbringst die Nacht bei mir. Wie früher. Zu träge, um nach Hause zu fahren. Es fühlt sich jedoch nicht wie früher an. Du und ich. Verbunden. Aber nicht mehr nahe. Nicht mehr so wie damals.
Jedes Ende ist vielleicht auch ein Anfang
Dieser Abend tat unglaublich gut. Ich habe einige Zeit gerätselt, warum wir uns gerade in dieser Nacht wieder so lange unterhalten haben. Gedanken miteinander geteilt. Reflektiert. Dinge ausgesprochen, zum ersten Mal. Heute weiß ich es.
Was am meisten in mir danach gerattert hat, ist, dass deine Worte die gleichen waren wie damals. Dass du immer noch so viel reist, Menschen triffst, Orte erkundest. Aber deinen Weg noch immer nicht gehst. Lediglich darüber sprichst, was dir gut tun könnte. Wovon du träumst. Davon, dass du offensichtlich immer noch nicht so recht glücklich bist.
Ich habe meine Wünsche erfüllt. Die Möglichkeiten dankend angenommen, die man mir geschenkt hat. Gerade meine eigene Fotoausstellung in München. Den Job gewechselt. Alles dafür getan, dass ich einer Kündigung wegen Eigenbedarfs entgehen konnte. Widme meine Zeit den Menschen, die es wirklich wert sind.
Heute also sitze ich weinend auf dem Balkon. Weil ich so glücklich bin. Weil ich mich so sehr für dich freue.
Heute also sitze ich weinend auf dem Balkon. Weil ich so glücklich bin. Weil ich mich so sehr für dich freue. Du hast es endlich getan. Du bist raus aus dieser Stadt. Diesem Trott. Diesen Kapiteln, die dir offensichtlich nicht gut taten. Ich bin so glücklich, weil ich dich mutig finde.
Weil ich Dankbarkeit empfinde, dass ich dir damals begegnen durfte. Für unseren letzten Abend. Dass du mich geprägt hast. Dass du nun den ersten Schritt gegangen bist, um dein Glück zu finden. Dass ich selbst über mich lachen muss, dass ich es so schön finde, dass eine gute Seele weggezogen ist. Adieu, wer wird schon aus Liebe weinen?
Headerfoto: Ron Lach (Kategorie-Button hinzugefügt und Bild gecroppt.) Danke dafür!