Was ich davon gelernt habe, beim Sex keinen Orgasmus zu bekommen


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Ich bin zwar nicht gekommen, als ich das allererste Mal Sex hatte, lange gedauert hat es aber nicht, bis es geklappt hat – vielleicht bei meinem sechsten oder siebten Versuch. Ich kann mich noch an jedes kleine Detail dieser Nacht erinnern: an die frische, duftende Bettwäsche auf dem Bett seiner Eltern, an die Jeans, die ich leidenschaftlich auf den Boden warf und daran, wie ich meine Beine um meinen Freund schlang und ihm zeigte, was genau er machen muss, damit ich komme.

Vor dieser Nacht hatte ich mich schon fast damit abgefunden, dass Sex peinlich, langweilig oder schmerzhaft ist. Doch in diesem Moment realisierte ich, dass es genauso aufregend wie Masturbieren sein kann. Das war eine echte Offenbarung für mich.

Heute habe ich beim Sex keinen Orgasmus mehr. Beziehungsweise nur noch sehr, sehr selten.

Doch heute habe ich beim Sex keinen Orgasmus mehr. Beziehungsweise nur noch sehr, sehr selten. Wenn ich mir wirklich Mühe gebe, mich ganz intensiv auf meine Empfindungen konzentriere, Sextoys verwende oder meinem Partner ganz genaue Anweisungen gebe, dann habe ich eine Chance, zu kommen. Ich vergleiche Orgasmen gern mit dem Besteigen des Mount Everests: Es ist möglich, aber ich bin so damit beschäftigt, nach oben zu kommen, dass ich mir keine Zeit dafür nehme, die Aussicht und den Weg dahin zu genießen oder mich selbst zu fragen, ob mir das gerade überhaupt Spaß macht.

Nach dem ersten Orgasmus fiel es mir sehr leicht, den Höhepunkt beim penetrativen Sex zu erreichen. So leicht, dass ich meinen Partnern immer erzählte, ich hätte ein Talent dafür: Ich müsste mich nur in die richtige Position bringen und meine Muskeln anspannen und dann könnte ich problemlos sogar noch vor ihnen kommen. Ich hatte Glück. Bis sich das Blatt irgendwann wendete.

Anorgasmie ist eine häufige Nebenwirkung von  Antidepressiva, die ich verschrieben bekam, als mein Arzt bei mir eine schwere Angststörung diagnostizierte.

Anorgasmie ist eine häufige Nebenwirkung von selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern, sprich Antidepressiva, die ich verschrieben bekam, als mein Arzt bei mir eine schwere Angststörung diagnostizierte. Ein paar Wochen nachdem ich mit der Medikamenteneinnahme begonnen hatte, fühlte sich meine Klitoris taub an und ich hatte selbst bei der Selbstbefriedigung Probleme – vom Sex ganz zu schweigen. Ich hasse die Tabletten nicht. Sie helfen mir, beruhigen mich, überbrücken die Zeit bis zur langfristigen Lösung – einer Therapie. Aber sie haben mich meiner Orgasmen beraubt. Und ich war entschlossen, sie mir wieder zurück zu holen.

In den ersten Wochen, in denen ich versuchte wieder zu kommen konzentrierte ich mich aufs Masturbieren. Ich benutzte Sextoys und versuchte, neu zu lernen, was bei mir persönlich funktioniert und was nicht. Kraftvolle Zauberstäbe wie die von Doxy (Massagegeräte und Vibratoren) oder Zumio (hat eine Spitze, die kreisförmige Bewegungen macht) wurden zu meinem Rettungsanker.

Das Experimentieren mit verschiedenen Techniken sorgte dafür, dass ich die empfindungslose Welt, in der ich bis dahin gelebt hatte, hinter mir lassen konnte.

Das Experimentieren mit verschiedenen Techniken sorgte dafür, dass ich die dumpfe, empfindungslose Welt, in der ich bis dahin gelebt hatte, hinter mir lassen konnte. Ich glaube, das ist eins der wichtigsten Dinge, die ich gelernt habe: Mal etwas anderes auszuprobieren und selbst für mehr Abwechslung zu sorgen – sei es in Form von einem neuen Toy oder neuen Techniken – kann ein echter Game Changer sein. Es hat Wochen gedauert, aber als ich dann endlich mal wieder ein Orgasmus hatte, bin ich praktisch aufgesprungen und jubelnd durch mein Schlafzimmer gerannt. Beim Sex kam ich allerdings immer noch nicht.

Wenn ich beim Sex keinen Orgasmus hatte, fühlte ich mich immer gleich schuldig. Ich wusste, es war nicht meine Schuld. Mein Partner wusste, es war nicht meine Schuld. Aber trotzdem wurde ich dieses Gefühl nicht los, dass ich kaputt und nutzlos bin. Die ganze Sache wäre schon schlimm genug gewesen, wenn sie vor 10 Jahren passiert wäre. Aber heute bin ich eine Sex- Bloggerin!

Wenn ich beim Sex keinen Orgasmus hatte, fühlte ich mich immer gleich schuldig.

Sex ich nicht einfach nur ein Hobby für mich, es ist mein Job. Ich habe so viele Artikel über Orgasmen und die Orgasm Gap (Frauen kommen seltener beim Sex als Männer) geschrieben. Wenn ich selbst nicht mehr kommen kann, worüber soll ich dann noch schreiben? Ich fühlte mich wie eine totale Hochstaplerin.

Meiner Meinung nach gibt es also gleich zwei Probleme, die meine Situation so schwierig machten: der Sex an sich und das Thema Schuld. Was den Sex anging versuchte ich, es wie damals anzugehen, als ich das erste Mal gelernt hatte, was für mich funktioniert. Ich lernte, mich mental komplett darauf einzulassen und physisch den richtigen Winkel beim penetrativen Sex zu finden. Ich sprach mit meinem Partner über die richtige Technik. Das beste sind langsame, harte Stöße in der Missionarsstellung. Dabei muss ich meine Hände auf seinem Po haben und ihn führen. Außerdem muss ein sehr starker Kontakt zwischen seinem Schambein und meiner Klitoris bestehen.

Ich lernte, mich mental komplett darauf einzulassen und physisch den richtigen Winkel beim penetrativen Sex zu finden.

Und dann muss ich mich nur fokussieren, meine Augen schließen, meine Vagina anspannen und mir vorstellen, wie Orgasmuswellen durch meinen Körper fließen. Ansonsten helfen oft auch Sextoys. Zum Beispiel haben wir einen kraftvollen Cockring entdeckt, dank dem meine Klitoris stimuliert wird, während er mich penetriert. Wir haben auch verschiedene Vibratoren ausprobiert, die klein und handlich, aber trotzdem sehr kraftvoll sind. Ich habe meinem Partner ganz genau erklärt und gezeigt, wie ich mich selbst befriedige und er hat gelernt, die Bewegungen, die Geschwindigkeit und den Druck nachzumachen.

Während dieser Phase des Ausprobierens und Lernens wurde mir etwas bewusst: Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich beim Geschlechtsverkehr nicht kam. Doch die Art von Sex, die ich am meisten liebe ist die Art von Sex, bei der Orgasmen am unwahrscheinlichsten sind! Ich bin eine verrückte Submissive und mag es, versohlt, benutzt und gewürgt zu werden. Ich steht auf den Doggy-Style und beuge mich gern über das Sofa, einen Stuhl oder was auch immer gerade in der Nähe steht. Bei der oben beschriebenen Technik in der Missionarsstellung komme ich zwar vielleicht, aber trotzdem gibt es mir nicht die Befriedigung, die ich mir eigentlich wünsche.

Bei der oben beschriebenen Technik komme ich zwar vielleicht, aber trotzdem gibt es mir nicht die Befriedigung, die ich mir eigentlich wünsche.

Um noch mal auf das Thema Orgasm Gap zu kommen: Ja, viele Frauen in heterosexuellen Beziehungen haben nicht so regelmäßig Orgasmen beim Sex wie ihre Partner – und das ist etwas, worüber wir auf jeden Fall sprechen müssen! Aber wir müssen aufpassen, dass wir nicht eine heteronormative Idee mit einer neuen ersetzen: „Es ist nur richtiger Sex, wenn ein Penis in eine Vagina gesteckt wird und der Mann am Ende kommt“ ist genauso Schwachsinn wie „Sex ist nur gut, wenn beide es schaffen, einen Orgasmus zu haben“.

Wenn es dir wichtig ist, beim penetrativen Sex zu kommen, dann go for it! Besorg dir ein paar Sextoys, rede mit deinem Partner und probiere neue Techniken aus. Aber es gibt keine universelle Vorschrift, die besagt, dass du um jeden Preis kommen musst – ob du nun selbst überhaupt Bock darauf hast oder nicht.

Wenn ich keinen Orgasmus haben kann, während wir die Dinge beim Sex machen, die mir Spaß machen, dann verzichte ich lieber auf den Orgasmus als auf das, was mir Spaß macht.

Ich persönlich bin zu folgender Entscheidung gekommen: Wenn mein Körper keinen Orgasmus mehr haben kann, während wir die Dinge beim Sex machen, die mir Spaß machen, dann verzichte ich lieber auf den Orgasmus als auf das, was mir Spaß macht.

Im Moment läuft es bei mir oft so ab: Mein Partner verwöhnt mich mit dominantem Sex – stöhnen, schlagen, an den Haaren ziehen und all das Zeug, was ich so geil finde – und dann besorge ich es mir selbst, während er schon mal das Wasser für ein gemütliches Post-Sex-Heißgetränk kocht.

In der Phase, in der ich versuchte, das Kommen wieder zu lernen, war ich dazu gezwungen, herauszufinden, was mir wirklich Spaß macht.

Die Fähigkeit zu verlieren, beim penetrativen Sex zum Orgasmus zu kommen, sorgte dafür, dass ich mich schuldig, kaputt und beschämt fühlte. Doch in der Phase, in der ich versuchte, das Kommen wieder zu lernen, war ich dazu gezwungen, herauszufinden, was mir wirklich Spaß macht. Ich stellte fest, dass einen Orgasmus haben kann, wenn ich viel Zeit und Arbeit investiere.

Aber der Sex, den ich persönlich am geilsten finde, beschert mir keinen Orgasmus. Seitdem ich mich vom Schamgefühl verabschiedet habe und mich mehr auf das Vergnügen konzentriere, habe ich endlich Sex, der mich glücklich macht. Und der ist heiß genug, dass ich ihn ihn meinem Kopf abspeichern und ihn mir beim Masturbieren vorstellen kann.

Headerfoto: Stockfoto von JKstock/Shutterstock. („Körperliches“-Button hinzugefügt.) Danke dafür!

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