Was ich bisher nie gesagt habe: Ich bin bisexuell

Ich bin „jetzt“ übrigens bi. Dies ist keine fixe Idee, die mir über Nacht kam oder ganz plötzlich in meinem Kopf aufkeimte – viel mehr war es eine mal leise, mal laute Ahnung über meine Sexualität, welche ich wohl seit meinem 15. Lebensjahr hegte. Manifestiert hat sich die finale Erkenntnis allerdings erst dieses Jahr.

Eine ganze Weile überlege ich nun schon hin und her, ob ich darüber öffentlich schreiben möchte, es ist ein Zwiespalt zwischen „eigentlich sollte es so normal sein, dass man sich nicht mehr outen muss“ und „leider ist es noch nicht normal, sodass man sich eben doch outen muss“ – wobei „müssen“ muss natürlich niemand irgendwas. Und dann stelle ich mir auch die Frage, ob meine Sexualität etwas im Internet zu suchen hat – ich denke schlussendlich könnte es vielleicht helfen, darüber zu schreiben. Hoffentlich euch und auch mir.

Die eigene sexuelle Orientierung entdecken

Aber langsam. Wie habe ich denn eigentlich meine Bisexualität entdeckt? Die banale Antwort lautet: Bei Germanys Next Topmodel, als ich mit 15 feststellte, dass ich auch Frauen unfassbar anziehend finde(n kann). Das in Verbindung mit meiner andauernden, hoffnungslos unglücklichen Verliebtheit warf die Frage bei mir auf, ob es nicht schöner und einfacher sein könnte, mit einer Frau zusammen zu sein. Mit 15 kann man wohl nicht unbedingt von „Frau“ reden und von wirklichen Beziehungen noch viel weniger – aber das ist ein anderes Thema.

Es gab zwei Knutschereien mit Freundinnen auf Partys im Alter von 16 oder 17, doch darüber hinaus habe ich in dem Zeitraum zwischen 15 und 23 lediglich heterosexuelle Beziehungen geführt und auch nur Kerle gedatet. Trotzdem war da immer dieser Gedanke, der Wunsch und die Fantasie „es“ doch wenigstens mal auszuprobieren. Mal intensiv und vehement, mal leise bis hin zu fast in Vergessenheit geraten. Doch ganz losgelassen hat es mich nie.

Ich habe lediglich heterosexuelle Beziehungen geführt und auch nur Kerle gedatet. Trotzdem war da immer dieser Gedanke, der Wunsch und die Fantasie ‚es‘ doch wenigstens mal auszuprobieren.

Darüber geredet habe ich in diesen acht Jahren – soweit ich mich erinnern kann – mit niemandem. Vielleicht hat es sich einfach nicht ergeben, vielleicht hatte ich auch mehr oder weniger bewusst Angst davor, was andere dazu sagen.

Außerdem gab es ja keinen konkreten Anlass dazu. Zumal es sich irgendwie so angefühlt hat, als würde man erst darüber reden, wenn es hieb- und stichfeste Beweise gibt. (Was für ein Blödsinn!)

Darüber geredet habe ich in diesen acht Jahren – soweit ich mich erinnern kann – mit niemandem. Vielleicht hat es sich einfach nicht ergeben, vielleicht hatte ich auch mehr oder weniger bewusst Angst davor, was andere dazu sagen.

Da ich eine Weile wieder im Dating-Game mitgemischt habe, ist dieser leise Wunsch, die bestehende Ahnung, nun endgültig ganz konkret geworden. Das, was immer eine Frage war, die ich nicht ganz sicher beantworten konnte (Wobei ich jetzt denke: Wenn eine Frage über die eigene Sexualität da ist, dann wird sie wahrscheinlich nicht unbedingt zu 100% hetero sein.), ist nun eine konkrete Antwort:

Ja. Ich stehe auch auf Frauen und habe den Beweis für mich gefunden. Wobei: Wozu braucht man überhaupt einen Beweis? Meine Sexualität muss ich niemandem, im Grunde genommen nicht einmal mir selbst, beweisen.

Das „Outing“

Ob man nun davon reden kann, dass ich ein „Outing“ hatte, weiß ich nicht genau. Ich habe es irgendwann einfach erzählt – meinen Freund:innen und auch meinen Eltern. Solange ich es für mich behalten habe, hat es sich nicht real angefühlt. Als mein kleines Geheimnis war es kein wirklicher Teil meiner Identität und fühlte sich für mich eher wie etwas an, für das ich mich doch schäme oder vor dem ich Angst habe. Obgleich Sexualität eben auch nur einen kleinen Teil unserer Identität ausmacht, den sicher nicht jeder kennen muss – oh ups, hi Internet!

Solange ich es für mich behalten habe, hat es sich nicht real angefühlt. Als mein kleines Geheimnis war es kein wirklicher Teil meiner Identität und fühlte sich für mich eher wie etwas an, für das ich mich doch schäme oder vor dem ich Angst habe.

Jedenfalls bin ich ein verdammtes Glückskind, denn alle Reaktionen waren bislang super positiv. „Okay“, „Danke, dass du’s mir sagst“ und „Du weißt, dass du keine Angst haben musst, uns so etwas zu sagen!“. Das ist wohl oder übel und leider, leider, leider nicht selbstverständlich und das zu wissen, tut weh. Ich wünsche allen von ganzem Herzen diese liebevollen oder eben auch im guten Sinne gleichgültigen Reaktionen, die ich erlebt habe.

Nun gut, ich bin also bisexuell. Keine große Sache für mich (Bis ich es irgendwann mal meinen Großeltern erzählen muss …) und mein Umfeld. Trotzdem ist da noch eine Angst: Die Angst, dass meine tolerante, liberale LGBTQIA+-Instagram-Bubble irgendwann platzen wird, wenn es dann mal ernst wird.

Da ist die Angst vor Sexismus, Anfeindungen, blöden Sprüchen, Ablehnung. Angst, wie es in meiner Kleinstadt aufgenommen wird, wenn man nicht das hetero-normative Beziehungsmodell lebt. Ich weiß nicht, ob ich als super sensibler Mensch dafür gewappnet bin. Ob ich bereit bin, mich damit konfrontiert zu sehen.

Trotzdem ist da noch die Angst, dass meine tolerante, liberale LGBTQIA+-Instagram-Bubble irgendwann platzen wird, wenn es dann mal ernst wird. Da ist die Angst vor Sexismus, Anfeindungen, blöden Sprüchen, Ablehnung.

Doch darum soll es eigentlich nicht gehen, denn Angst ist kein guter Ratgeber. Schließlich geht’s um die Liebe. Liebe ist bunt und Liebe ist Liebe. Ganz egal, was andere denken oder sagen könnten. Sexualität ist nicht schwarz-weiß, nicht entweder-oder. Im Gegenteil! Sie ist so vielfältig, wie wir es eben sind. Sie ist ein Spektrum und oftmals befinden wir uns doch irgendwo dazwischen. Ob und wie man sich outet oder nicht, bleibt dabei – finde ich – allen selbst überlassen.

Sexualität ist nicht schwarz-weiß, nicht entweder-oder. Liebe ist bunt und Liebe ist Liebe.

Ich wünsche mir einfach, dass irgendwann solche Texte à la „Übrigens bin ich bi-/homosexuell/+“ zur Normalität gehören und gar nicht mehr geschrieben werden müssen. Dass Oma Erna (und der Rest in der ganzen Fußgängerzone) sich nicht mehr erschüttert auf der Straße umdreht, weil sich zwei gleichgeschlechtliche Menschen küssen oder ähnliches. Dass jeder einzelne Mensch auf dieser Welt mit demselben Respekt behandelt wird.

Ich wünsche mir doch einfach nur, dass wir uns alle leben und lieben lassen, so wie wir sind. Ist das denn so utopisch?

In diesem Sinne: Happy Pride-Month. Und ich finde, der darf jeden Monat sein!

Headerfoto: Anna Shvets via Pexels. (Kategorie-Button hinzugefügt und Bild gecroppt.) Danke dafür! 

Nele schreibt und reflektiert – um sich selbst, das Leben und seine Herausforderungen zu verstehen. Und um die chaotischen Gefühle und Gedanken zu sortieren, die sich manchmal so groß und so überwältigend anfühlen können. Ansonsten fotografiert sie, stapft auf der Suche nach Entschleunigung durch die Natur und philosophiert mit ihren Freundinnen über Spiritualität, den Sinn des Lebens und Männer.

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