Warum es mir ab jetzt egal ist, was alle anderen machen

Wir haben das Glück, uns dank Internet & Co. auf so gut wie jede neue Situation, Probe oder Veränderung vorbereiten zu können. Blasenspiegelung? Beziehungsende? Bestes Bulettenrezept? Kein Problem: Irgendwer in den virtuellen Katakomben der freien Meinungsäußerung wird dazu schon eine Idee haben.

Ich mag es, vorbereitet und so halbwegs gerüstet zu sein. An das Abenteuer Freiberuflichkeit bin ich also nach ausführlicher Recherche realistisch herangegangen.

Ich mag es, vorbereitet und so halbwegs gerüstet zu sein. An das Abenteuer Freiberuflichkeit bin ich also nach ausführlicher Recherche realistisch herangegangen – mit einer guten Mischung aus Augen-zu-und-durch-Prinzip und kreativen Entwürfen möglicher Horrorszenarien. Aber so klar mir auch war, dass nicht alles rosarot sein würde, so sehr habe ich eine Sache unterschätzt, die nicht unbedingt gleich unter die Top Drei der Probleme von Selbstständigen fällt.

Vielleicht, weil sie sich weder auf dem Bankkonto noch im Kühlschrank bemerkbar macht. Vielleicht, weil sie von der Angst zu scheitern erst belächelt und dann in die Ecke gedrängt wird. Vielleicht, weil sie eigentlich überhaupt nicht greifbar ist. Diese Sache ist nämlich vielmehr ein Gefühl, das immer dann aufkommt, wenn ich mich an alte Lebensstrukturen erinnere und sie mit dem Hier und Jetzt vergleiche. Meine Gedanken verheddern sich dann wie Kopfhörer in der Tasche und treiben mich beim Entwirren in den Wahnsinn.

„Aber ich muss das doch so wie früher und wie alle anderen machen. Nur wer morgens um acht am Schreibtisch sitzt, der arbeitet auch wirklich und ist produktiv. Lange Mittagspausen sind was für Loser. Und Powernaps was für faule Socken. Und Zeit fürs Schreiben ist  Zeit-Vergeudung. Einen schlechten Tag mit Lesen beginnen ist bloß Prokrastination. Ach was, lausige Tage gibt’s doch gar nicht!“

Dieses Gefühl ist das schlechte Gewissen, das mich heimsucht, wenn ich die Dinge nicht so wie ‚alle anderen’ mache – wie ich sie früher gemacht habe, weil ich eben musste.

Dieses Gefühl ist das schlechte Gewissen, das mich heimsucht, wenn ich aus den gesellschaftlichen Normen ausbreche und die Dinge nicht so wie alle anderen mache – wie ich sie früher gemacht habe, weil ich eben musste. Es fängt im Kopf an und wandert immer weiter, bis es sich in der Magengrube breitmacht und Panik schiebt und ich mich irgendwann frage: „Ist das nicht eigentlich total widersprüchlich?“

Eigentlich schon. Denn eigentlich habe ich mich ja für diesen Weg entschieden, weil ich mich eingeengt gefühlt hatte, zwischen Mechanismen und Abläufen, die gegen meine Natur sind, die mich zu einem Roboter machen und meine Fähigkeiten und Stärken untergraben. Ich musste mich an das anpassen, was mir vorgegeben wurde, was als normal galt.

Viel Spielraum für meine persönlichen Bedürfnisse und meinen eigenen Rhythmus gab es da nicht.

Viel Spielraum für meine persönlichen Bedürfnisse und meinen eigenen Rhythmus gab es da nicht. Und jetzt erwische ich mich manchmal dabei, wie ich krampfhaft versuche, diesen neuen Lebensabschnitt, der mir endlich selbst die Zügel in die Hand gibt, an genau diese alten Muster und Leitfäden anzupassen – und wie ich mich selbst eine Runde drangsaliere, wenn es nicht klappt.

Dieser innere Zwiespalt, sich einerseits von den gesellschaftlichen Vorgaben losreißen zu wollen und andererseits aber auch immer wieder seinen Wert an dem festzumachen, was scheinbar alle anderen tun und meinen, lässt sich auf so vieles übertragen. Das ist für mich die Freiberuflichkeit und für andere allgemein der Beruf oder das Studium.

Das kann die eigene Lebensweise oder das Verhalten in der Gruppe sein – oder aber auch Eigenschaften, die in bestimmten Momenten zum Vorschein kommen und die man am liebsten ausradieren würde. Ich glaube, dass dieser Zwiespalt auch normal ist, weil es uns als Gewohnheitstieren eben schwerfällt, Altes abzulegen und Neues zu verinnerlichen.

Aber – mehr noch als das – hat es oft mit einer ganz banalen, unterschwelligen Angst zu tun: aufzufallen, anders zu sein, nicht ins große Ganze zu passen.

Aber – mehr noch als das – hat es oft mit einer ganz banalen, unterschwelligen Angst zu tun: aufzufallen, anders zu sein, nicht ins große Ganze zu passen.

Und diese Angst geht eindeutig über die Pubertät hinaus; sie begleitet uns vielleicht ein Leben lang. Der Vorteil am Anpassen ist ja, dass man unsichtbar werden kann und dass so die Elemente, die man selbst als negativ einstuft und abstempelt, glücklicherweise in der Masse untergehen. Im Strom schwimmt es sich einfacher, schneller, weil man mitgetragen wird.

Und nicht aufzufallen ist ja auch irgendwie schön. Es wiegt einen in Sicherheit, es bescheinigt einem Normalität, es gibt einem das Gefühl, dass man nichts falsch macht, dass man ein unkomplizierter, geradliniger, liebenswerter Mensch ist, der nicht aneckt und potenziell als Freund taugt. Wer will das nicht?

Ich kann das so gut verstehen, weil ich es mir selbst so oft gewünscht habe. Man spart sich Selbstzweifel und Erklärungsversuche und noch mehr Stempel – meist von außen. Problematisch wird es nur, wenn man genau spürt, dass man sich in eine Hose zwängt, die einem einfach zu klein geworden ist (oder im Grunde genommen nie gepasst hat), egal wie sehr man auch versucht, sie hopsend hochzuziehen.

Problematisch wird es nur, wenn man genau spürt, dass man sich in eine Hose zwängt, die einem einfach zu klein geworden ist – oder im Grunde genommen nie gepasst hat.

Es fühlt sich nicht richtig an, aber man macht es trotzdem. Und damit nimmt man nicht nur in Kauf, mit halb nacktem Hintern durch die Gegend zu laufen, sondern auch all das, was individuell in einem steckt, was einen tatsächlich zu einem Unikat macht, aufzugeben.

Dabei mag ich den Gedanken, dass man als Mensch genau das ist: ein einziges Mal genau so, in dieser Art und Weise, vorhanden. Dass man aus einem einzigartigen Geflecht aus Geschichten, Eigenschaften, Vorlieben, Ansichten, Wünschen, vor allem aber aus ‚Was-bei-mir-funktioniert-Methoden’ besteht. Dass man ein Bauchgefühl hat, das Alarm schlagen oder Mut zusprechen kann und das einem dem Weg weist. Man muss nur bereit sein, zuzuhören und sich leiten zu lassen.

Ich glaube, dass der Zwiespalt mit der Zeit kleiner wird, wenn man anfängt, dieses vermeintliche ‚Von-der-Norm-Abweichen’ anzunehmen und zu sehen, was einem guttut und wie man es am besten nutzt – anstatt krampfhaft zu versuchen, die eigenen Bedürfnisse zu unterdrücken und weniger man selbst zu sein. Dann erkennt man irgendwann vielleicht auch, dass Gertruds Buletten zwar lecker sind, die eigenen aber ja noch viel besser.

Headerbild: Kyle Loftus via Unsplash.com. (Gesellschaftsspiel-Button hinzugefügt.) Danke dafür.

CAROLIN(A) widmet sich nach einer Auszeit vom Müssen und Sollen endlich voll und ganz dem Schreiben. Und so nebenbei: Dingen, die glücklich machen. Das sind immer Bücher. Filme und Serien. Gedanken rund ums Leben. Weißwein, halbtrocken. Wasabi-Erdnüsse. Blubberndes Apfelmus. Mehr von ihr gibt es bei Instagram.

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