Von Wunden, Pflastern und Narben – Für F.

Manche Wunden können gar nicht richtig heilen, weil man irgendwie und irgendwo immer wieder hängen bleibt. Die zarte, rosa Haut, die über die klaffende Stelle wächst, reißt immer wieder auf. Das Blut strömt lauwarm über den Körper und tropft auf den kalten Fliesenboden, bis sich eine kleine Pfütze gebildet hat.

Aber irgendwann hört es auf zu bluten. Irgendwann hört es einfach auf zu bluten und dann ist an dieser Stelle vielleicht eine Narbe. Wenn ich mit dem Finger darüberfahre, ist die Haut erhaben und ganz knubbelig. Und jede einzelne dieser Unebenheiten erinnert an das, was da mal war.

An manchen Tag tun sie ganz besonders weh und es fühlt sich so an, als würde jemand Salz auf die offene Stelle streuen.

Manchmal, da wünsche ich mir glatte Haut. So ganz ohne Makel. Egal, wo man mich berühren würde, es wäre da nichts außer glatte, ebenmäßige Haut.

Manchmal, da wünsche ich mir glatte Haut. So ganz ohne Makel. Egal, wo man mich berühren würde, es wäre da nichts außer glatte, ebenmäßige Haut.

An anderen Tagen entdecke ich dann die ganz alten Narben – die, die schon fast verblasst sind und die man nur noch im Sommer sieht, wenn die Haut drum herum braun wird, nur eben diese Stelle nicht. Jene Narben, die nicht einmal mehr im Herzen wehtun, sondern vielleicht nur einen bittersüßen Geschmack im Mund hinterlassen.

Wehmütig streiche ich über eine solche Narbe und versuche mich an den Schmerz von damals zu erinnern. Doch die einst so tiefe Wunde ist verheilt und die kleine Stelle Haut, die nicht so recht zum Rest passen will, ist das einzige Relikt an die blutige Zeit. Vielleicht sind Narben gut. Ich lasse meinen Finger weiter gleiten und halte bei jeder Unebenheit kurz inne. Manchmal muss ich sogar lächeln, wenn ich mich zurückentsinne, wie sie entstanden sind. Vielleicht sind Narben gut.

 Sie sind wie kleine Stecknadeln auf der Landkarte, die besondere Punkte markieren. Auch wenn man am Ende der langen Reise gar nicht mehr weiß, wo man überall gewesen ist, erinnern die Nadeln an das, was da mal war. Ganz viel Blut und nach einer Weile sind da einfach belanglose Narben auf der Haut. Ein Hauch Nostalgie an vergangene und manchmal auch verlorene Kriege.

Ja, Narben sind gut. Denn jede einzelne erzählt eine Geschichte. (M)Eine ganz persönliche Lebensgeschichte. Unsere Geschichte.

Ja, Narben sind gut. Denn jede einzelne erzählt eine Geschichte. (M)Eine ganz persönliche Lebensgeschichte. Unsere Geschichte.

Ohne die schmerzende Wunde von damals, ohne all das geflossene Blut und ohne die Ozeane an Tränen, stünden wir heute nicht vor dieser neugesetzten Stecknadel und verfluchten den Schmerz. Auch wenn ich keinem eine blutende Wunde wünsche, bin ich überzeugt, dass sie gut sind. Letztendlich.

Denn am Ende ergeben all diese kleinen Stecknadeln, kreuz und quer und über Stock und Stein einen Weg. Manchmal sieht man das erst, wenn man dann von oben herunterschaut und erkennt, dass diese roten Stecknadelköpfe gar kein blutiges Schlachtfeld sind, sondern ein wunderschönes Bild ergeben und jeder einzelne Zwischenstopp die Route erst komplett macht.

Und dann gibt es da diese Menschen, die sind die Pflaster. Sie halten schweigend Deine Hand, während das Blut auf den kalten Fliesenboden klatscht. Sie streichen Dir über den Rücken, während Du kurz davor bist, zu verbluten. Aber sie lassen Dich nicht verbluten. Niemals. Schützend kleben sie ein Pflaster auf die offene Stelle. Es wird dann immer ganz warm. Im Herzen. Und auch die Tränen verdunsten, noch bevor sie die Wangenknochen erreicht haben.

Und dann gibt es da diese Menschen, die sind die Pflaster. Sie halten schweigend Deine Hand, während das Blut auf den kalten Fliesenboden klatscht. Aber sie lassen Dich nicht verbluten.

Es gibt da diese Menschen, die Du irgendwann und irgendwie mal getroffen hast. Und zwischen all den ungesagten Worten und den zugeworfenen Blicken haben wir doch irgendwie das Tor aufgemacht, für all die Heerscharen an Kriegern, die manchmal einfach ungefragt in fremdes Territorium eindringen und alles niedertrampeln. Aber wo stünden wir und was wären wir, hätten wir damals wahrhaftig den Schlüssel für dieses Tor ins Meer geworfen?

Ich bin verdammt froh, dass wir noch immer die Möglichkeit haben, ab und an mal reinzuschauen, wie es da so aussieht – hinter diesem Tor.

Und wenn einzelne Krieger ein Schlachtfeld hinterlassen und wir nicht wissen, wohin mit all dem Blut, müssen wir froh sein. Ja, froh und dankbar – über jede weitere Stecknadel auf der Karte und über jede beschissen schöne Narbe auf unserer weichen Haut. Denn das macht uns lebendig. Und solange einer von uns beiden immer ein Pflaster in der Hosentasche hat, ziehe ich immer wieder aufs Neue mit Dir in den Krieg.

Headerfoto: Caique Silva via Unsplash.com. (Gedankenspiel-Button hinzugefügt, Bild gecroppt.) Danke dafür!

JULIA hat meistens gute Laune und macht beim Rückwärtseinparken die Musik leiser – der besseren Sicht wegen. Sie studierte Internationales Marketing und Volkswirtschaftslehre und mag neben Zahlen auch ganz gern Buchstaben. Am liebsten die mitten aus dem Herz. Seitdem sie beim Bügeln fast einen Brand ausgelöst hätte, lässt sie das mit dem heißen Eisen lieber sein. Sie hat mal aus Versehen einen ganzen Löffel Wasabi gegessen und denkt darüber nach, sich bald ihre eigene Welt zu kaufen, in der Ausschlafen ein Grundrecht wäre.

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