Vom Wünschen und Verwünschen

Meine Haltung zum Fest der Liebe änderte sich vermutlich mit dem Tag des Schneidezahns. Meine Schwester rannte vor ein Auto und ich konnte abends im Bett ihren losen Beißer hin- und herwackeln. Da jenes Weihnachten auch zugleich das erste war, an das ich mich erinnere, kann ich heute eigentlich nicht mehr so genau rekonstruieren, welche Meinung ich vor den quietschenden Reifen jenes Abends hatte. Ich schätze mal, es gab auch davor schon wenig Süßkram und viele Orangen. Daher würde ich sagen, sie änderte sich von mittelschlecht zu ängstlich. Mutter gab sich dennoch immer die größte Mühe (dass sich daran auch nicht viel änderte).

Ich war in der zweiten Klasse. Also war ich acht, glaube ich. Offen gestanden weiß ich nicht mehr, wie alt man in der zweiten Klasse ist. Aber ich weiß, ich war Fan eines damals nicht besonders beliebten Fußballvereins. Es war die Zeit, in der Geld noch nicht jedes Turnier gewann und deswegen Borussia Dortmund im Sommer zuvor die Meisterschale holte. Und ich war der einzige Junge der Grundschule, der mit Bayern München nichts anzufangen wusste. Außenseiter since 1996.
Weil man acht ist oder neun, oder was weiß ich, musste man sich zu Weihnachten etwas wünschen und man hatte keine Ahnung, was Liebe oder wer Jesus genau war. Letzterer war für mich damals dieser maximal krasse Typ, der sich halbnackt an ein Kreuz hatte bolzen lassen. Ich weiß nicht, ob ich bis dato jemals in einer Kirche war.

Ich wünschte mir Bettwäsche vom BVB 09, ist klar. Der Weihnachtsabend kam, ich durfte mein Päckchen unterm Baum hervorziehen und ungeduldig aufreißen. Und da schimmerten sie, die Farben der Gewinner. In Gelb und Schwarz. Als Acht- oder Neunjähriger, oder was weiß ich, ist man nicht in der Lage, zu erkennen, dass in einem Bündel, das nicht viel größer ist als zwei Paar Socken, keine Bettwäsche eingepackt sein kann. Daher erschrak ich, als aus meiner BVB-Bettwäsche etwas anderes wurde. Nämlich ein Schal. Ein Dynamo-Dresden Schal.

Ich sagte zu Mutter: „Das ist aber keine BVB-Bettwäsche!“ Mutter sagte: „Ist doch aber auch schwarz-gelb!“

Ich hatte einen strengen Stiefvater, der mich ein viertel Jahr später zu einem Därbie – so nannte er das – zwischen Dynamo Dresden und dem FC Erzgebirge Aue mitnehmen wollte. Selbstverständlich hatte ich den Schal nur wenige Wochen nach Jahreswende in der Turnhalle liegen lass … äh … verloren. Verloren! Abgesehen von den Schlägen, die ich dafür bezog, hatte es auch sein Gutes: Ich habe in meinem Leben bis heute noch kein Spiel der beiden Vereine gesehen.

Ein paar Jahre und mittelschlimme Geschenke später (Haustier gewünscht – Wackeldackel bekommen. Echt-Single „Junimond“ gewünscht – Rio Reiser-Album bekommen), war ich mit dreizehn der einzige Typ in meinem Freundeskreis ohne Computer. Mutter fragte im Herbst, was ich mir eigentlich zu Weihnachten wünsche. Die Sache mit dem Computer war ernst. In erster Linie wegen der ganzen schmutzigen Filmchen, die sich da im Internet tummelten. Ich meine, hallo? Ich war dreizehn! Ich konnte mein eigenes Testosteron riechen und meine Bettdecke regelmäßig der Länge nach an die Wand lehnen.

Lange Geschichte, irgendwas Ende: Es wurde Weihnachten und ich freute mich auf die unendlichen Weiten und den Klang des Internets. Kkkkrrrrraaapfiiiiiiiwiuwiuwiurararararakipiepiepiep usw. Der Karton war groß und sperrig. Es gab keinen Grund für Zweifel. Ich riss das Geschenkpapier in Fetzen, um mich herum schien es in Luftschlangen und Konfetti niederzuregnen. Ich war auf dem Weg in den Himmel der Jugendlichkeit. Dann las ich auf der Verpackung in fett gedruckten Lettern den Namen des Herstellers. OLYMPIA. Mein Computer war eine elektronische Schreibmaschine.

Auch wenn es nicht das schlimmste Weihnachtsfest meines Lebens war, so dauerte es eine Weile, bis ich leise wimmernd einschlief.

Ein Jahr später – ich hatte alle Ferien durchgearbeitet – war ich noch immer ohne eigenen Computer.
Mutter fragte: „Na, was wünschst du dir zu Weihnachten?“
Ich antwortete: „Ach, weißt du, es ist doch das Fest das Liebe. Ich bin froh, wenn wir alle gesund sind.“
Mutter: „Das hast du aber schön gesagt. Aber irgendwas musst du dir doch wünschen!“

Es war ein Falle und ich wusste, ich würde hineintappen. Die Sehnsucht nach dem Computer, den ich nicht hatte, war unermesslich. Ich überlegte und zögerte und überlegte.

Dann sagte ich: „Geld, Mutti, ich wünsch mir Geld.“

Headerfoto: Roberto Nickson (@g) via Unsplash.com (Gedankenspiel-Button hinzugefügt.) Danke dafür!

MARKOURT ist 27 Jahre alt und weiß, dass das beste Album der Nullerjahre “Give up” von Postal Service ist. Er und Alkohol sind das Rezept für wochenlangen Gesprächsstoff und Witze auf seine Kosten. Für ihn gilt: Lieber brechend volle Tram als Individualverkehr, lieber telefonieren als Kurznachricht und für immer Francis „Frank“ McCourt. Jedes verdammte Katzenvideo findet er besser als pseudopolitische Diskussion in WG-Küchen und sozialen Netzwerken. Immer wenn es Winter wird, wünscht er sich, dass da eine Person an seiner Tür klingelt, der von Kälte und Wind die Nase läuft. Und dass diese kalte Nase sein Gesicht berührt, wenn er sie küsst.

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