Unsere Welt hat mit ihren verschiedenen Kulturen und Gesellschaften seit der Antike und noch früherer Zeit die unterschiedlichsten Beziehungsmodelle miterlebt. Von der polyamourösen Liebe im Götterkult des antiken Griechenland und Rom über den noch immer und seit Gründung der katholischen Kirche vorherrschenden priesterlichen Zölibat (zumindest offiziell) und das Mätressentum der mittelalterlichen Könige und der späteren barocken Fürsten.
Bis zur optionalen ehelichen Bindung an eine Person leben die meisten Menschen unter uns heutzutage in serieller Monogamie.
Von der nicht mehr wegzudenkende Idee der romantischen und monogamen Liebesehe, bis hin zur freien Liebe in der 68er Generation und gefühlt wieder zurück zum traditionellen Familienbild der 50er Jahre. Immerhin: Bis zur optionalen ehelichen Bindung an eine Person leben die meisten Menschen unter uns heutzutage in serieller Monogamie. Das heißt, dass sie einem Partner so lange treu bleiben, bis sie nicht mehr wollen – aus welchem Grund auch immer.
Seit ein paar Jahren jedoch hat sich ein neuer Trend im breiten Spektrum der Beziehungsmodelle aufgetan. Noch dazu einer, der sich immer größerer Beliebtheit erfreut – mehr als die offene Beziehung, die den meisten Menschen noch immer zuwider zu sein scheint.
Besagter neuer Trend nennt sich „Freundschaft Plus“. Das Konzept dahinter sieht wie folgt aus: Man nehme eine*n bereits vorhandene*n Freund*in oder ertindere sich eine*n neue*n, mit dem*der man in seiner Freizeit all das machen kann, was eine normale Freundschaft so an Aktivitäten zu bieten hat. Man geht ins Kino oder essen, einen Kaffee trinken oder trifft sich abends auf ein Bierchen an der Alster – oder Spree.
Doch warum dann heißt es Freundschaft Plus und nicht einfach nur Freundschaft? Allein aufgrund der Tatsache, dass die Freundschaft Plus eben nicht nur die Alltags-Aktivitäten beinhaltet, die man mit guten Freunden unternehmen kann, sondern eben noch ein Plus – und dieses Plus meint: Sex.
Besonders beliebt ist die Freundschaft Plus, da sie eine Möglichkeit verspricht, immer dann nette und intime Gesellschaft zu haben, wenn es einem gelegen kommt.
Besonders beliebt ist dieses Modell, da es eine Möglichkeit verspricht, immer dann nette und intime Gesellschaft zu haben, wenn es einem gelegen kommt. Eine Freundschaft Plus erlaubt Sex trotz Freundschaft– oder vielleicht eher: Sie erlaubt eine Freundschaft trotz Sex. Denn Sex ist hierbei obligat, während die Freundschaft einem nur das gute Gefühl vermitteln soll, dass man nicht einfach nur eine Affäre ist – oder hat.
Aber warum dann nicht einfach eine Beziehung führen?, frage ich mich jedes Mal, wenn ich über dieses Thema nachdenke. Was unterscheidet diese Form von Beziehung denn von einer gewöhnlichen Liebesbeziehung und was unterscheidet sie, wenn es sich im wesentlichen um den Sex-Aspekt dreht, von einer Affäre? Oder von einer offenen Beziehung, wenn man sich zwar mit einer Person irgendwie verbindet, aber gleichzeitig Sex mit anderen nicht ausschließt?
Die Frage mag vielleicht folgend zu beantworten zu sein: Was ist einer Freundschaft Plus nicht obligat ist – im Gegensatz zum Sex – ist: das Commitment. Die emotionale Bindung an den anderen. Der Gedanke, dass dieser Mensch, mit dem ich gerade schlafe, derjenige ist, mit dem ich gerne alles teilen möchte.
Gefühle, die über die für einen guten Kumpel hinausgehen (Mit Ausnahme der sexuellen Anziehung), haben in einer Freundschaft Plus nichts verloren. Also ist es dann doch eher so eine Art Affäre?
Eine Verbindung ist, das sagt die Bezeichnung schon, etwas Verbindliches. Etwas, das echte Bereitschaft und auch Arbeit und Aufwand erfordert.
Die Attraktivität der Freundschaft Plus besteht meines Erachtens vor allen Dingen darin, dass sie das Sehnen nach einer gewissen Intimität stillt, nach Verbindung. Eine Verbindung ist jedoch, das sagt die Bezeichnung schon, etwas Verbindliches. Etwas, das echte Bereitschaft und auch Arbeit und Aufwand erfordert.
Eine Freundschaft Plus gaukelt diese Intimität nur vor, durch den meist artifiziellen Aspekt der freundschaftlich vertrauten Beziehung zum anderen – damit man sich eben nicht der „moralischen Verwerflichkeit“ schuldig macht, die einer gewöhnlichen Affäre mit einer flüchtigen Club- oder Barbekanntschaft noch immer anhaftet. Denn das macht man nicht – so spießig ist die Generation Beziehungsunfähig bei aller Freiheitsliebe dann doch noch.
Stattdessen suhlt man sich in dem guten Gefühl der moralischen Überlegenheit über diese „Schlampen“ und „Fuckboys“, die jedes Wochenende jemanden neues mit nach Hause nehmen und auch spürt man einen Triumph über diejenigen, die zum Beispiel eine offene Beziehung allein aus dem Grund führen, da sie – so heißt es oft – „zu feige sind, sich zu trennen, wenn sie trotz echter Gefühle doch noch mit jemand anderem Sex haben wollen, als nur mit ihrem Partner“. Denn das müsse ja zwangsläufig in einer Katastrophe enden. Da würden ja Gefühle verletzt.
An dieser Stelle muss ich einschieben, dass beide Modelle auf mich keinen besonderen Reiz ausüben. Ich könnte mir weder vorstellen, meine Beziehung für Sex auch mit anderen Menschen zu öffnen, noch glaube ich, dass sich Sex auf eine gesunde Art und Weise mit einer echten Freundschaft verknüpfen lässt. Zumindest nicht unbedingt, wenn diese nach einer möglichen Beendigung des „Plus“ weiterhin bestehen soll.
Die offene Beziehung negiert weder die Liebe zu einer bestimmten Person noch die Lust an etwas Neuem ab und an.
Grundsätzlich muss ich aber zugeben, dass mir nach reiflicher Überlegung das Konzept der offenen Partnerschaft irgendwie logischer und vor allem ehrlicher erscheint als das der Freundschaft Plus. Denn die offene Partnerschaft schließt vielleicht körperliche Treue bisweilen aus, nicht jedoch echte Gefühle für den oder die Eine*n; sie negiert weder die Liebe zu einer bestimmten Person noch die Lust an etwas Neuem ab und an. Wohlgemerkt: so lange es denn auch nur bei dem Aspekt der Lust-Erfüllung bleibt.
Vielmehr glaube ich, dass offene Beziehungen – so sie einvernehmlich und beidseitig sind – oft eine wesentlich stabilere Emotionalität aufweisen als so manch andere Beziehung, denn wenigstens um das Risiko des heimlichen „Fremdgehens“ muss man sich hier keine weiterreichenden Sorgen machen.
Währenddessen bedeutet das Konzept von Freundschaft plus Sex für mich eine Lösung für Feiglinge und Lügner. Man ist zu feige, sich dazu zu bekennen, dass man gerne unverbindlich bleiben möchte, denn sonst würde man auch eine Affäre nicht verteufeln und dazu stehen, dass zwangloser Sex mit verschiedenen Partnern einen Reiz ausübt.
Zum Lügner macht diese Form von zwischenmenschlicher Beziehung einen indes, indem man den oder die Freundschaft Plus-Partner*in glauben lässt, auf diese Art und Weise könne niemand verletzt werden, wenn es doch am Ende nicht so gut läuft und man getrennte Wege geht. Commitment von vornherein zu verweigern bedeutet leider keineswegs, dass nicht doch Gefühle bei einer solchen Beziehung ohne Beziehung entstehen können und demnach auch nicht, dass nicht schrecklicher Liebeskummer das Ende einer solchen markieren kann.
Es funktioniert nicht, Gefühle kategorisch und mit Ansage aus zwischenmenschlichen Beziehungen zu verbannen.
Denn die meisten Gefühle lassen sich irgendwie mit den verschiedenen Konstellationen zwischen Menschen vereinen, lassen sich darin einschließen: Liebe, Hass, Eifersucht, Erregung, Neid, Geborgenheit, Intimität – und noch viele mehr. Was nicht funktioniert, ist das: Gefühle kategorisch und mit Ansage aus zwischenmenschlichen Beziehungen zu verbannen. Denn um das glauben zu können, habe ich selbst zu oft das Gegenteil gesehen.
Headerfoto: Korney Violin via Unsplash. („Gedankenspiel“-Button hinzugefügt.) Danke dafür!